Kritik an der Verwendung des Milliarden-Sondervermögens und Vorschläge für eine Reform der Erbschaftsteuer: Die „Wirtschaftsweisen“ fordern die Bundesregierung zu einem Kurswechsel auf. Die Konjunktur kommt nach der neuen Prognose der Ökonomen auch im kommenden Jahr nicht richtig in Schwung. Nach einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr rechnet der Sachverständigenrat mit einem Plus des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 Prozent. Von einem breit angelegten Aufschwung sei auch 2026 nicht auszugehen, heißt es im Jahresgutachten des Sachverständigenrats.
Die „Wirtschaftsweisen“ sprechen sich in ihrem Jahresgutachten dafür aus, die Erbschaft- und Schenkungsteuer zu reformieren - mit dem Ziel einer gleichmäßigeren Besteuerung aller Vermögensarten. Allerdings lehnt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm eine Reform ab.
Aktuell werden bei Erbschaft und Schenkung vor allem Betriebsvermögen steuerlich stark begünstigt. Damit will der Staat vermeiden, dass Betriebe aufgegeben müssen, weil die neuen Besitzer die Erbschaftsteuer aus dem Privatvermögen nicht zahlen können. Der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger kritisierte, durch die sogenannte Verschonungsregelung würden aber ausgerechnet sehr hohe Erbschaften und Schenkungen häufig vergleichsweise gering besteuert.
Die Sachverständigen raten deshalb dazu, diese Sonderregeln einzuschränken und die Erbschaftsteuer stärker am Prinzip der Leistungsfähigkeit auszurichten. Für Betriebsvermögen unter 26 Millionen Euro solle der Verschonungsabschlag erheblich reduziert, für Betriebsvermögen über 26 Millionen Euro die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung ganz abgeschafft oder zumindest erheblich eingeschränkt werden. Stattdessen sollten großzügige Stundungsmöglichkeiten eingeführt werden, damit Betriebe nicht aufgegeben müssen.
Die Vermögensungleichheit in Deutschland sei im europäischenVergleich hoch, heißt es im Jahresgutachten. Der Anteil der Vermögen, der auf Erbschaften und Schenkungen zurückgehe, werde auf 30 bis 50 Prozent geschätzt.
Grimm schrieb in einem Minderheitsvotum, in der aktuellen Lage dürftiger privater Investitionsneigung eine höhere Besteuerung von Erbschaften von Betriebsvermögen zu diskutieren, erscheine „fahrlässig“. Sie verwies darauf, die Mehrheit des Rats schreibe selbst, es sei unklar, wie gravierend das Problem des Liquiditätsentzugs und damit verbundener Risiken für Investitionen und Beschäftigung der übertragenen Unternehmen sei.
Ähnliche Vorschläge zur Reform der Erbschaftsteuer haben SPD, Grüne und Linke bereits vorgelegt - die Union ist dagegen der Meinung, dass das Unternehmen nicht ausreichend schützt. Weitere Reformideen setzen bei Freibeträgen für Schenkungen an. Bisher können diese alle zehn Jahre erneut in Anspruch genommen werden.
Stattdessen könnte ein Lebensfreibetrag für alle erhaltenen Vermögensübertragungen eingeführt werden, schlagen die „Wirtschaftsweisen“ vor. Dies würde bewirken, dass die Steuerlast ausschließlich von der Höhe des übertragenen Vermögens abhängt und nicht mehr vom Zeitpunkt der Übertragung. Auch diese Idee wird politisch bereits diskutiert. Ein noch für dieses Jahr erwartetes Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte die Bundesregierung zu einer schnellen Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer zwingen.
Die „Wirtschaftsweisen“ erwarten auch im kommenden Jahr keinen spürbaren Aufschwung in Deutschland. Der Sachverständigenrat korrigierte seine Erwartungen für 2026 leicht herunter und rechnet nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 Prozent. Im Frühjahr hatten die Ökonomen für 2026 ein Plus von 1,0 Prozent erwartet. Die Bundesregierung rechnet im kommenden Jahr mit einem Wachstum von 1,3 Prozent.
Die Teuerung für die Verbraucher dürfte nach der Prognose der „Wirtschaftsweisen“ im Jahr 2025 durchschnittlich 2,2 Prozent betragen und im Jahr 2026 durchschnittlich 2,1 Prozent.
Die Investitionstätigkeit der Unternehmen dürfte aufgrund der niedrigen Kapazitätsauslastung und der schwachen Umsätze im In- und Ausland gedämpft bleiben, erwartet der Rat. Vom Sondervermögen könnten aber Impulse für Bau- und Ausrüstungsinvestitionen ausgehen.
„Die Chancen, die sich aus dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität ergeben, dürfen nicht verspielt werden“, sagte Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates. Bundestag und Bundesrat hatten ein schuldenfinanziertes Sondervermögen für zusätzliche Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro zur Modernisierung der Infrastruktur und für Klimaschutz beschlossen - um zum Beispiel Brücken und Bahnstrecken, aber auch Schulen zu sanieren und Unternehmen beim klimafreundlichen Umbau zu helfen. Damit soll auch die Konjunktur angekurbelt werden.
Seit längerem aber gibt es Kritik an „Verschiebebahnhöfen“: im Kernhaushalt geplante Investitionen würden ins Sondervermögen geschoben – um mit damit im Kernhaushalt teure Wahlgeschenke zu finanzieren.
Das kritisieren auch die „Wirtschaftsweisen“: Sie erwarten, dass die aktuell geplanten Ausgaben des Sondervermögens nur eine geringe positive Wirkung auf das Bruttoinlandsprodukt haben werden. Das Sondervermögen solle nicht herangezogen werden, um im Kernhaushalt Spielraum zur Finanzierung „fragwürdiger Maßnahmen“ wie der Ausweitung der Mütterrente oder der Anhebung der Pendlerpauschale zu schaffen. Stattdessen sollte der Bundeshaushalt nachhaltig stabilisiert werden.
Die Wirkung des Sondervermögens wäre deutlich größer, wenn die Mittel vollständig für zusätzliche Ausgaben und für Investitionen eingesetzt würden, so der Sachverständigenrat. Die „Zusätzlichkeit“ der Ausgaben werde jedoch aktuell unterlaufen.
© dpa-infocom, dpa:251112-930-283033/2