Dass Andreas Wellinger und Marius Lindvik gemeinsam bei einer Skisprung-Siegerehrung grinsen, wird so schnell wohl nicht mehr passieren. Der Ski-Weltverband Fis suspendierte Normalschanzen-Weltmeister Lindvik, dessen norwegischen Landsmann Johann Andre Forfang sowie drei Offizielle des skandinavischen Teams mit sofortiger Wirkung vorläufig von der Teilnahme an FIS-Wettkämpfen und an Wettbewerben, die von einem nationalen Skiverband organisiert werden.
Das Ethik- und Compliance-Büro der Fis hatte wegen deren mutmaßlicher Beteiligung an illegalen Ausrüstungsmanipulationen beim Springen von der Großschanze bei der WM in Trondheim formell die Ermittlungen aufgenommen.
Auf Ersuchen der externen Ermittler beschlagnahmte die Fis am Dienstag alle Sprunganzüge, die von norwegischen Teams bei den Weltmeisterschaften in Trondheim getragen wurden - sowohl im Skispringen als auch in der Nordischen Kombination, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Die Anzüge werden im Rahmen der laufenden Ermittlungen zur erneuten Überprüfung vorgelegt.
Was das nach den vielen Tagen, die zwischen den einzelnen Wettkämpfen bis Dienstag vergangen sind, noch bringt, sei dahingestellt. Es ist ein Anfang. Denn die vorsätzliche Anzug-Schummelei des Gastgebers bei der WM in Trondheim hat tiefe Spuren hinterlassen und wird die Skisprung-Szene lange beschäftigen, nicht nur bei der am Donnerstag in Oslo beginnenden Raw-Air-Tour. Zumindest kündigte der Weltverband für den Rest der Saison eine Anpassung der Anzugkontrolle im Skispringen und der Kombination an.
„Die Situation ist natürlich äußerst beunruhigend und enttäuschend. Seit dem Wochenende arbeiten sowohl das unabhängige Ethik- und Compliance-Büro der Fis als auch die Fis-Verwaltung unermüdlich daran, so schnell wie möglich eine umfassende und gründliche Untersuchung durchzuführen und gleichzeitig Fairness und ein ordnungsgemäßes Verfahren zu gewährleisten“, sagte Fis-Generalsekretär Michel Vion.
Doch wie sah die mutwillige Manipulation eigentlich aus? Anonyme Videos zeigen, wie in einer Loge im Stadion von Rosenborg Trondheim auf illegale Weise Anzüge bearbeitet wurden. Anzug auf, stabilisierendes Band rein, Anzug zu: So einfach operierten die Norweger an dem sensiblen Stoff, der im Flug so wichtig ist, herum. Und verschafften sich offenbar einen nicht unwesentlichen Vorteil.
Lindvik, der im Gesamtweltcup Rang 13 belegt, wurde plötzlich zum alles überragenden Springer der WM. Das aberkannte Silber dürfte er verkraften können, solange ihm die Titel mit dem Mixed und im ersten Einzel bleiben. Trainer Magnus Brevig und zwei weitere Mitwisser hatte der norwegische Verband in den vergangenen Tagen suspendiert. Sämtliche Springer und Sportchef Jan Erik Aalbu sollen ahnungslos gewesen sein - so die Argumentation der Norweger.
Den anderen Verbänden reichen diese Erklärungen und ein paar vermeintlich einfache Bauernopfer nicht. „Es ist nur ganz schwer nachvollziehbar, dass jemand, wenn er schon dreimal ganz oben gestanden ist, erst beim vierten Springen noch einmal so viel riskiert, dass er erst dort einen Anzug umnäht“, sagte Österreichs Sportdirektor Mario Stecher. Genau das behaupten sie aber im norwegischen Verband.
Was aber passiert mit den WM-Resultaten von Trondheim, wo Norwegens Nordische reihenweise Titel abräumten? „Es ist definitiv Betrug. Doping ist vielleicht noch ein anderes Thema, aber es ist trotzdem ein krimineller Vorsatz irgendwo dahinter, wenn man die Videos gesehen hat“, sagte Kombinierer Vinzenz Geiger dem Bayerischen Rundfunk.
Bei einer Annullierung aller Ergebnisse wäre der bei der WM nur von Norwegern besiegte Geiger plötzlich vierfacher Weltmeister. Fis-Rennleiter Sandro Pertile sagte noch am Samstag, ein solcher Vorgang sei nicht absehbar. „Im Prinzip nicht. Wir haben ein System - wenn die Kontrolle fertig ist, ist sie fertig.“ Doch seither ist der Druck auf die Fis weiter gewachsen. Doch vorläufig beschränkt sich der Weltverband auf ein paar Suspendierungen.
Das ist die große Frage. Bei Lindvik und Forfang wurde in einem Wettbewerb wissentlich betrogen, so viel hat der Verband öffentlich eingeräumt. Doch nicht nur die Skispringer zeigten bei der WM starke Leistungen auf der Schanze, sondern auch die Skispringerinnen und beide Kombi-Teams. Dass die Fis die Anzüge aller vier norwegischen Teams konfisziert hat, deutet zumindest auf ein gewisses Verdachtsmoment hin. Und auch die Suspendierung eines Mitgliedes des Kombinations-Service-Teams der Norweger wegen einer manipulierten Skibindung bei Joergen Graabak während des Mannschaftswettbewerbes der Kombinierer lässt zumindest erahnen, dass die Fis ernst machen will.
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