Mit dem seligen Lächeln eines stolzen Siegers im Gesicht kündigte Lukas Dauser einen kleinen Abschied an. Zum letzten Mal hat der Turn-Star bei deutschen Meisterschaften Gold im Mehrkampf gewonnen, zum letzten Mal hat der 30-Jährige aus Unterhaching überhaupt einen Sechskampf bei nationalen Titelkämpfen bestritten.
„Der Titel bedeutet mir enorm viel. Für mich ist es der letzte auf jeden Fall. Ich habe mich zwar noch nicht entschieden, ob ich nach den Olympischen Spielen weiter mache oder nicht. Aber auf jeden Fall werde ich keinen Mehrkampf mehr turnen. Deswegen war das für mich die letzte Chance“, sagte der Barren-Weltmeister in Frankfurt/Main.
Noch maximal drei kraftraubende Sechskämpfe aus Boden, Pauschenpferd, Ringen, Sprung, Barren und Reck wird Deutschlands Sportler des Jahres absolvieren: Bei der zweiten Olympia-Qualifikation am 22. Juni in Rüsselsheim sowie im Team-Wettbewerb bei den Olympischen Spielen und eventuell in der Pariser Einzel-Entscheidung. „Ich werde keinen Mehrkampf mehr turnen, bei den Olympischen Spielen hoffentlich meinen letzten“, betonte er.
Als Rücktritt auf Raten will der Barren-Spezialist seine Ankündigung dennoch nicht verstanden wissen. Vielmehr will sich der Schützling von Trainer Hubert Brylok auf sein Paradegerät konzentrieren. „Wenn man mal in die führenden Nationen guckt, wie viele Mehrkämpfer da dabei sind, da gibt es Spezialisten, die turnen ihr ganzes Leben lang nur drei, vier Geräte. In meinem Alter weiter Mehrkampf zu turnen, das ist nicht förderlich für die anderen Geräte, wo ich mehr unterstützen könnte“, erklärte Dauser.
Am Sonntag lieferte er erneut einen Beweis seiner Extraklasse am Barren und siegte mit 15,500 Punkten. „Das ist so ein weicher Stil, wie ein Kater macht er das“, sagte Bundestrainer Valeri Belenki.
In vergangenen Jahren hatte der deutsche Vorzeige-Turner auch immer wieder gesundheitliche Rückschlägen zu verkraften. Zwei Jahre hintereinander hatte er Europameisterschaften verpasst, zuerst wegen eines Muskelbündelrisses in der Schulter, zuletzt im April wegen eines hartnäckigen bakteriellen Infektes. Fünf Wochen war er deswegen außer Gefecht gesetzt. Er habe auf der Couch gelegen, nichts machen können und sei deswegen unausstehlich gewesen. „Ich hatte immer das Gefühl, ich muss irgendwas aufholen, weil ich krank war“, berichtete Dauser, „alle gehen immer davon aus, ja, der Dauser macht das sowieso. Aber so einfach ist es halt nicht.“
Nach seinem Sieg in der Frankfurter Ballsporthalle mit 82,765 Punkten umarmten sich Dauser und sein langjähriger Freund und Auswahlkollege Andreas Toba mehrmals herzlich. Der 33-jährige Hannoveraner wurde Zweiter mit 82,398 Zählern - noch einmal hatten die beiden Routiniers und bekanntesten deutschen Turner die aufstrebende Jugend mit Vorjahresmeister Pascal Brendel (Wetzlar/20) auf Platz vier und Timo Eder (Ludwigsburg/18) als Drittem an der Spitze in Schach gehalten.
„Das Größte und das Erste, was ich sagen muss, ist, ich danke Gott dafür, dass er mir die Kraft gegeben hat, die letzten Jahre zu überstehen und hier immer noch stehen und turnen zu können“, sagte der als „Hero de Janeiro“ berühmt gewordene Toba. Familie, Trainer und Freunde hätten mehr an ihn geglaubt als er selbst an sich. „Man ist immer nur so stark wie die Menschen, die dahinterstehen.“ Beim Titelgewinn am Reck mit 14,475 Punkten bot er noch eigener Aussage „die gelungenste, die beste Übung“ seit EM-Silber an diesem Gerät 2021 in Basel.
Während sich die sportlichen Karrieren der beiden Altmeister dem Abschluss entgegen dämmern, ging spätestens in Frankfurt der Stern von Helen Kevric auf. Mit gerade einmal 16 Jahren gewann die Stuttgarterin mit international wertvollen 55,500 Punkten den Mehrkampf der Frauen. Damit hat sich das Ausnahmetalent gleich im ersten Jahr bei den Erwachsenen in eine verheißungsvolle Ausgangsposition für das letzte Olympia-Ticket gebracht.
Im Duell mit der deutschen Rekordmeisterin Elisabeth Seitz hat Kevric zwei Wochen vor dem finalen Qualifikations-Wettkampf in Rüsselsheim die Nase vorn. „Helen ist in der Pole Position“, sagte Bundestrainer Gerben Wiersma. Mit dem Mehrkampf-Wert kommt der Jung-Star dem Nominierungskriterium Medaillen- und Finalchance im Vergleich zu 14,600 Punkten der 30-jährigen Seitz am Stufenbarren am nächsten. „Anhand der Kriterien sieht man, dass Helen auf dem vierten Platz ist im Mehrkampf und Elisabeths Wertung am Barren Platz fünf ist“, erläuterte Wiersma.
Seitz nahm den Fehdehandschuh auf, gewann am Stufenbarren ihren 26. Meistertitel und lieferte mit 14,750 Punkten dabei einen Spitzenwert ab. „Mit 14,75 braucht es wenig Worte, um zu verstehen, dass ich relativ nah an einer Medaille sein könnte international“, sagte sie kämpferisch.
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