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Veröffentlicht am 25.04.2023 04:33

Der Miura ist die Essenz von 60 Jahren Lamborghini

Stier als Kurvenstar: Alle Sinne sind gefordert, um den Miura auf der Straße zu halten. (Foto: Lamborghini/dpa-tmn)
Stier als Kurvenstar: Alle Sinne sind gefordert, um den Miura auf der Straße zu halten. (Foto: Lamborghini/dpa-tmn)
Stier als Kurvenstar: Alle Sinne sind gefordert, um den Miura auf der Straße zu halten. (Foto: Lamborghini/dpa-tmn)

Es war der 7. Mai 1963, an dem der Traktorenbauer und Klimaanlagen-Produzent Ferruccio Lamborghini aus Wut auf den herablassenden Enzo Ferrari seine eigene Automobilfirma gründete. Genervt von vielen kleinen Mängeln an seinem Ferrari 250 GTO war Lamborghini zu Enzo Ferrari nach Maranello marschiert, um ihm sein Leid zu klagen und ein paar Verbesserungsvorschläge zu machen.

Der Commendatore jedoch war davon so wenig angetan, dass er Lamborghini mit dem Hinweis vom Hof jagte, er möge sich doch weiter um seine Traktoren kümmern und den Bau von Sportwagen jemandem überlassen, der sich mit so etwas auskennt.

Alternative zu Ferrari

Stur wie der Stier, den Lamborghini danach zu seinem Markenzeichen machte, wollte er diesen Affront nicht auf sich sitzen lassen und legte nur 20 Kilometer von Ferrari entfernt in Sant’Agata den Grundstein für einen Sportwagenhersteller, der im 60. Jahr längst auf Augenhöhe mit dem alteingesessenen Konkurrenten fährt.

Schon der 350 GT von 1964 als Lamborghinis erstes Auto hat mehr als einen Achtungserfolg errungen. Er wurde auf Anhieb als Ferrari-Alternative akzeptiert, sagt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Analytics. Doch genau wie sein Nachfolger 400 GT wird sein Ruhm meist von jenen Rennern überlagert, die nach ihm kamen - da waren etwa der Countach, der Diablo, der Murciélago. Und vor allem: der Miura.

Der wurde im November 1965 als rollendes Chassis auf dem Autosalon in Turin präsentiert. Und in kaum mehr als zehn Wochen kleidete ihn der aufstrebende Stardesigner Marcello Gandini bei Bertone für den Genfer Salon im März 1966 in eine atemberaubend knappe und mit 1,01 Metern extrem flache Hülle.

Supersportwagen mit Tempo 300

Er war nicht nur der erste Lamborghini mit einem V12-Mittelmotor und der erste mit einem Kampfstier als Taufpaten. „Sondern der Miura gilt als erster Supersportwagen der Welt und hat dem Ferrari Daytona bei Design und Fahrleistungen die Schau gestohlen“, sagt Wilke.

Immerhin leistete der 3,9 Liter große Motor schon zum Start 257 kW/350 PS und später im Miura SV sogar 283 kW/385 PS. Er schaffte damals unerreichte 300 km/h - während zum Beispiel die Fahrer eines Porsche 911 noch mit 96 kW/130 PS und 210 km/h vorliebnehmen mussten. Das hatte seinen Preis: 75.500 D-Mark verlangte Lamborghini damals in Deutschland, so viel wie Porsche für dreieinhalb Elfer.

Verglichen mit aktuellen Modellen aus Sant’Agata ist der Miura noch ein beinahe elegantes, fast graziles Auto. Die Ära der Donnerkeile begann erst 1974 mit dem ebenfalls von Gandini gezeichneten Countach.

Während Lamborghini heute vor allem die Aeronautik als Vorbild nimmt, zeigt der Miura sogar noch animalische Züge: Die Kippscheinwerfer erinnern an Glubschaugen von Fröschen oder Krokodilen. Die schwarzen Rippen am Rahmen der vorderen Seitenfenster kaschieren nicht nur die Türschließer aus dem Fiat-Regal, sondern imitieren auch die Hörner eines Stiers. Und selbst der Name ist so ans Heck gepinselt, dass aus dem M zwei Hörner und aus dem A ein Schwanz wachsen.

Reduziert und eng

Innen liegt der Fokus allein auf dem Fahren: Zwei Spaghetti-dürre Lenkstockhebel, ein paar Zusatzinstrumente für die Vitaldaten des Antriebs in der Mittelkonsole. Diese ragt breit wie eine überhängende Felsnase ins Cockpit. Die Schalter für die Fensterheber und die Kippscheinwerfer sind grob wie Bauklötze. Der Außenspiegel wirkt wie eine Eiswaffel, die auf dem Kotflügel vergessen wurde.

Aber mehr braucht man nicht für diesen Stierkampf. Und für den Sozius haben sie - aus gutem Grund - einen massiven Haltegriff auf den Mitteltunnel geschraubt. Was es noch braucht, ist ein wenig Geschick: Denn schon das Einsteigen ist mühsam und erfordert zirkusreife Gymnastiktalente.

Die Sitzposition erinnert an den Elternabend im Kindergarten, so zierlich sind die Sessel, nur dass man darin fast liegen muss, um den Kopf in die Kabine zu bekommen, während man von dem im Dach verankerten Gurt fast stranguliert wird. Wer größer ist als 1,70 Meter, der macht die Beine breit wie ein Frosch, weil sie sonst nicht um das riesengroße, spindeldürre Lenkrad passen.

Stierkampf auf der Straße

Und die Pedale stehen so hoch im Fußraum, dass man mit Schuhen größer als 36 beim Kuppeln bisweilen unter dem Armaturenbrett hängen bleibt. Leidenschaft, das lernt man schnell in diesem Lamborghini, hat beim Miura wirklich was mit Leiden zu tun. Um so befriedigender ist es, wenn man diesen Boliden zu beherrschen beginnt. Der Miura adelt den Fahrer zum Torero und macht jede Kurve zu einem Kampf.

Schon das Anlassen braucht Übung, weil der V12, der hinter einer Wand aus Blech und Plexiglas direkt am Nacken der Insassen kitzelt, sonst gerne abstirbt. Deshalb muss man ihn schon vor dem Start mit Drehzahl bei Laune halten, lässt mit einem möglichst schlanken Fuß die schwere Kupplung kommen - und schon fliegt man dem Horizont entgegen.

Dabei beschleunigt er so schnell, dass die Italiener die ersten 40 km/h auf dem Tacho kurioserweise gestrichen haben - und die Skala dafür am anderen Ende bis 320 km/h ausreizen.

Noch im ersten Gang klettert der Drehzahlmesser über 4000, 5000 Touren. Und erst weit jenseits der 60 km/h knüppelt man mit starkem Arm den nächsten Gang durch die offene, handliche Kulisse, während die feine Nadel nach weniger als sieben Sekunden die Tempo-100-Marke passiert. Die linke Hand umklammert dabei krampfhaft das Lenkrad und versucht, den Kurs zu halten. Dieser Sportwagen ist ein Stier, der bezwungen werden will.

Sündhaft schön und sündhaft teuer

Er ist nicht der erste Lamborghini, nicht der stärkste, nicht der berühmteste und auch nicht der seltenste - selbst wenn zwischen 1966 und 1973 laut Polo Storico erst als P400, dann als P400 S und zum Schluss als P400 SV zusammen gerade einmal 763 Exemplare gebaut wurden. Und er war nicht einmal der erste mit einem Zwölfzylinder.

Aber der Miura ist der mit Abstand schönste und für viele zugleich der spektakulärste Sportwagen in der 60-jährigen Geschichte des Ferrari-Konkurrenten - und deshalb entsprechend wertvoll, sagt Wilke.

Während es den Erstling 350 GT heute für 740 000 Euro zu kaufen gibt, kostet ein Miura schon in der Grundversion 1 Million Euro und wird in der ultimativen Ausbaustufe SV für rund 2,4 Millionen Euro gehandelt.

© dpa-infocom, dpa:230424-99-433112/2


Von dpa
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