Nach dem Beginn des israelischen Großangriffs auf die Atomanlagen und andere Ziele im Iran ist die Lage in der Region explosiver denn je. Die Islamische Republik hat in einer ersten militärischen Reaktion nach israelischen Angaben bereits mit Drohnen zurückgeschlagen, die Medienberichten zufolge alle abgefangen wurden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Lage:
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog hat den Großangriff im Iran mit einer existenziellen Bedrohung des jüdischen Volkes begründet. Der israelische Armeesprecher Effie Defrin sagte, Israel habe zuletzt Anzeichen identifiziert, dass der Iran „erhebliche Fortschritte in Richtung nuklearer Fähigkeiten gemacht“ habe. „Das iranische Regime galoppiert in Richtung einer Atombombe“, sagte er. Der Iran hatte dies stets dementiert.
Geheimdienstinformationen hätten gezeigt, dass Teheran ein geheimes Programm betreibe, sagte Defrin weiter. Im Rahmen dieses Programms hätten iranische Atomwissenschaftler Versuche ausgeführt, um es voranzutreiben. Er sprach von einem „eindeutigen Beweis dafür, dass das iranische Regime nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit“ strebe.
Zur Entscheidung für den Angriff - über den schon seit mehr als ein Jahrzehnt lang diskutiert wird - zu diesem Zeitpunkt trug sicherlich auch die Schwächung der iranischen „Achse des Widerstands“ bei. Nach mehr als 20 Monaten Gaza-Krieg ist die islamistische Hamas deutlich dezimiert, ebenso die libanesische Hisbollah. Syrien dient seit dem Umsturz nicht mehr als Korridor für Waffenlieferungen des Irans an die Hisbollah. Nach einem israelischen Angriff im vergangenen Jahr gilt zudem die Luftabwehr des Irans als beschädigt.
Mit großer Aufmerksamkeit wurde in Israel auch die Resolution des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zur Kenntnis genommen. Diese stellte formell fest, dass der Iran seine rechtlichen Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit der IAEA nicht erfüllt. Dies wurde in Israel als „gelbe Karte“ für Teheran interpretiert. Israels Militärchef sagte mit Blick auf den Großangriff im Iran, man befinde sich „an einem Punkt ohne Umkehr“. Man habe nicht mehr warten können.
Der Iran hat nach Angaben von Experten jahrelang daran gearbeitet, seine Atomanlagen gegen die Gefahr militärischer Angriffe zu schützen, was eine vollständige Zerstörung erschwere. „Die Art von Beton, die (die Iraner) verwenden, ist tatsächlich ein sehr spezieller, gehärteter Beton“, sagte der Militäranalyst Cedric Leighton beim US-Fernsehsender CNN.
Es sei unklar, ob israelische Bomben diese Art von Beton durchdringen könnten. „Die Israelis müssten eine Angriffswelle nach der anderen starten“, erklärte er.Einige Atomanlagen befinden sich laut Experten zudem tief unter der Erde. Die israelische Luftwaffe verfüge über keine B-2- und B-52-Bomber, die sogenannte Bunkerbrecher-Bomben des US-Verbündeten transportieren können, berichtete die US-Nachrichtenseite „Axios“. Solche schweren Bomben wären wahrscheinlich nötig, um die unterirdische Uran-Anreicherungsanlage Fordo im Iran zu treffen, hieß es.
Der Angriff war israelischen Medienberichten zufolge begleitet von einer Operation des Auslandsgeheimdienstes Mossad. Bei dem Angriff - vor allem auch bei der Tötung wichtiger iranischer Kommandeure - setzte Israel Berichten zufolge Geheimdienst-Kommandos tief im Inneren des Irans ein. Der großangelegte Schlag gegen Atomanlagen und die Militärführung des Irans sei jahrelang vorbereitet worden, schrieben mehrere israelische Medien unter Berufung auf eine Quelle in den Sicherheitskräften des Landes.
Zu diesem Zwecke hätten Einheiten des Auslandsgeheimdienstes Mossad bereits im Vorfeld der Angriffe Waffen, Fahrzeuge und Drohnenbasen in der Nähe von Raketensilos und Luftabwehrstellungen platziert. Diese Waffensysteme seien zu Beginn der Luftangriffe per Fernsteuerung gegen ihre Ziele gerichtet worden.
Seit Jahren unterhält der Iran ein Atomprogramm mit zwei Anlagen zur Urananreicherung und einem Kernkraftwerk in der Hafenstadt Buschehr. Das Land betreibt außerdem einen Forschungsreaktor nahe der Hauptstadt Teheran sowie weitere Anlagen in der Metropole Isfahan im Zentrum des Landes. In Arak im Westen betreibt der Iran zudem einen Schwerwasserreaktor.
Der Westen wirft dem Staat vor, nach Atomwaffen zu streben. Teheran dementiert das. Laut einem Bericht der IAEA verfügt Teheran bereits über fast 409 Kilogramm an Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Für Kernwaffen wird ein Reinheitsgrad von gut 90 Prozent benötigt. Experten hatten immer wieder bemängelt, dass dies für zivile Zwecke nicht nötig ist.
Seit knapp zwei Monaten verhandeln Washington und Teheran über das iranische Atomprogramm. Zuletzt gerieten die Gespräche jedoch ins Stocken – Hintergrund sind erhebliche Meinungsunterschiede. Die USA fordern einen vollständigen Stopp der Urananreicherung, was Teheran als rote Linie betrachtet.
Eigentlich war für Sonntag unter Vermittlung des Golfstaats Oman eine sechste Gesprächsrunde geplant. Nach Einschätzung von Beobachtern ist ein Treffen nach der jüngsten militärischen Eskalation äußerst unwahrscheinlich. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte einen Deal nur dann für akzeptabel erklärt, wenn er zur Zerstörung aller Atomanlagen im Iran führen würde. US-Präsident Donald Trump hatte sich gegen einen Angriff Israels im Iran ausgesprochen, solange die Verhandlungen noch laufen.
Auch IAEA-Chef Rafael Grossi hatte Israel diese Woche noch vor einem Angriff auf iranische Atomanlagen gewarnt. Diese seien extrem gut geschützt und es würde eine „sehr zerstörerische Kraft erfordern, sie zu beschädigen“, sagte Grossi. Er machte deutlich, dass so ein Angriff nach hinten losgehen könnte. Ihm zufolge könnte ein Angriff „einen Amalgamierungseffekt haben, der, ich sage es ganz deutlich, die Entschlossenheit des Irans, nach einer Atomwaffe zu streben oder aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, festigen würde.“ Der oberste UN-Atomwächter fügte hinzu, er sage das, weil die Iraner ihm das so gesagt hätten.
Der Iran bewertet den Angriff Israels als Kriegserklärung, so Außenminister Abbas Araghtschi. Das Land drohte Israel mit einer scharfen Reaktion.
Es besteht die Befürchtung, dass die Führung des Irans auch Vergeltungsschläge gegen US-Stützpunkte in der Region anordnen könnte. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter hatten diese Woche aus Sicherheitsgründen ihr Botschaftspersonal im Irak reduziert. Stützpunkte des US-Militärs am Persischen Golf sind nicht sehr weit vom Iran entfernt.
Israels Handlungen hätten nicht ohne Koordination und Genehmigung der USA erfolgen können, erklärte das iranische Außenministerium. Daher sei auch die US-Regierung als Hauptunterstützer Israels für die Konsequenzen mitverantwortlich. US-Außenminister Marco Rubio warnte an die Führung in Teheran gerichtet: „Lassen Sie mich deutlich sein: Der Iran sollte US-Einrichtungen oder US-Personal nicht angreifen.“
In seinem Nachbarland Irak übt der Iran großen Einfluss aus, unter anderem über verbündete schiitische Milizen. Zudem verfügt die Regionalmacht über Raketen, die Israels Staatsgebiet erreichen können. Israel stellt sich auch darauf ein, dass Teherans Verbündeter im Jemen, die Huthi-Miliz, ihre Angriffe auf Israel noch verstärken könnte.
Von der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon hieß es, Israel gefährde „die regionale und internationale Sicherheit massiv, mit möglicherweise katastrophalen Folgen“. Die Miliz beschuldigte auch die USA, an der Eskalation beteiligt zu sein. Ohne die „direkte Zustimmung, Koordination und Unterstützung der USA“ hätte der Angriff niemals stattfinden können, hieß es.
Bei seinem Großangriff hat Israel wichtige Generäle von Armee und den Revolutionsgarden ausgeschaltet. Der Kommandeur der Luftstreitkräfte, Brigadegeneral Amir Ali Hadschisadeh, etwa galt als Architekt des iranischen Raketenprogramms in den vergangenen Jahren, er überwachte auch die jüngsten Angriffe auf Israel. Das dürfte Irans Fähigkeit zur Vergeltung schwächen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) berief schon morgens um 7.00 Uhr das Sicherheitskabinett ein, dem mehrere seiner Minister sowie die Chefs der wichtigsten Sicherheitsbehörden angehören. Anschließend tagte der Krisenstab der Bundesregierung, in dem sich Fachleute um konkrete Maßnahmen kümmern. Merz kündigte an, dass der Schutz israelischer und jüdischer Einrichtungen in Deutschland verstärkt wird, ohne Einzelheiten zu nennen.
Das Auswärtige Amt passte seine Reisehinweise für Israel an. In Israel müsse „jederzeit mit weiteren Angriffen durch Drohnen und mit Raketenbeschuss gerechnet werden“ - die Reisewarnung gilt nun für das ganze Land. Bisher hatte es nur eine Reisewarnung für Teile Israels gegeben, die den Norden sowie das Gebiet um den Gazastreifen betraf. In Israel halten sich Tausende Deutsche auf.
Was die neue Situation für die diplomatischen Vertretungen Deutschlands in der Region bedeutet, ist noch unklar. „Wir werden natürlich Sicherheit walten lassen, aber wir müssen auch konsularische Grundfähigkeiten in den Botschaften aufrechterhalten“, sagte Außenminister Johann Wadephul.
Das ließ der CDU-Politiker ebenfalls offen. Darüber werde der Bundessicherheitsrat „in aller Ruhe“ beraten, sagte er bei einem Besuch in Kairo. „Aber weitreichende Entscheidungen erwarte ich jetzt kurzfristig nicht“, fügte er hinzu.
© dpa-infocom, dpa:250613-930-663846/5