Sollte Fahrerflucht künftig nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein? Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat diese Möglichkeit im vergangenen Jahr ins Spiel gebracht. Die Meinungen dazu gehen bei Fachleuten und Verbänden auseinander. Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar soll darüber vom 24. Januar an gesprochen werden.
„Die Zeit ist reif für eine Reform“, meint der Verkehrspräsident des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC), Gerhard Hillebrand. Denkbar wäre aus seiner Sicht eine straffreie Meldung eines Unfalls innerhalb von 48 Stunden. Das könne entweder bei der Polizei oder bei neu zu gründenden Meldestellen passieren. Letztere könnten Polizeistellen dann künftig Arbeit abnehmen.
Die Wartepflicht am Unfallort sei überholt. Entscheidend sei einzig und allein, dass der Geschädigte die nötigen Informationen zur Schadensregulierung erhalte.
Bundesjustizminister Buschmann hatte im Zuge einer Reform des Strafrechtes vorgeschlagen, dass Fahrerflucht künftig als Ordnungswidrigkeit statt als Straftat geahndet werden könne. Auf jeden Fall soll es nach derzeitigen Plänen künftig eine Möglichkeit geben, Sachschäden online zu melden, damit der Verursacher nicht mehr vor Ort auf den Besitzer des beschädigten Fahrzeuges oder auf die Polizei warten muss. Derzeit kann eine Fahrerflucht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.
Gegner einer Entschärfung der Strafe sehen - anders als etwa der ADAC - die Gefahr, dass dadurch anderen Straftaten verschleiert werden könnten. „Wer bei einem Unfall flüchtet, hat oft etwas anderes zu verbergen“, meint der Leiter der Unfallforschung beim Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, Siegfried Brockmann. Künftig sei es dann etwa möglich, einen Unfall bei einer Trunkenheitsfahrt erst am Folgetag zu melden.
Dann könne der Alkohol im Blut nicht mehr nachgewiesen werden und man müsse sich nur für die milder bestrafte Fahrerflucht verantworten. Er bezweifele, dass das der Sicherheit im Straßenverkehr diene. Auch eine Entlastung der Polizei hält er für unwahrscheinlich, weil Unfallfluchten auch als Ordnungswidrigkeiten aufgeklärt werden müssten, wenn sich der Verursacher nicht melde.
„Die Aggressivität im Straßenverkehr nimmt nach Erkenntnissen unserer Unfallforschung immer mehr zu“, sagt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Anja Käfer-Rohrbach. Eine Herabstufung der Fahrerflucht sei daher das völlig falsche Signal. Es bestehe die Gefahr, dass weniger Unfälle gemeldet und Unfallopfer auf Schäden sitzenbleiben würden.
Dieser Ansicht ist auch die Gewerkschaft der Polizei (GDP). Ein Meldeportal zur straffreien, nachträglichen Meldung von Sachschäden halten aber auch die Beamten für sinnvoll. Ein einfacher Zettel in der Windschutzscheibe sei nicht ausreichend.
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lehnt eine Herabstufung kategorisch ab, „um die Hemmschwelle für die Tat weiterhin aufrecht zu erhalten“. Eine straffreie Nachmeldung eines Schadens nach 24 Stunden sei denkbar. Eine unabhängige Meldestelle brauche es aber nicht, es reiche aus, die erforderliche Wartezeit an der Unfallstelle konkreter zu benennen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis solle als Strafe zudem komplett gestrichen werden.
Derzeit wird die Fahrerlaubnis laut dem Deutschen Anwaltverein (DAV) für gewöhnlich bei sehr hohen Sachschäden entzogen. Bei einem teuren Neuwagen könne dafür schon ein Lackschäden ausreichen. Aus Sicht des Automobil-Clubs von Deutschland müsse über eine höhere Schwelle für diese Reparaturkosten nachgedacht werden.
Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes ist die Zahl der Unfallfluchten in den vergangenen Jahren leicht rückläufig. Im Jahr 2022 entfernten sich den Angaben nach Fahrer und Fahrerinnen in 32.000 Fällen unerlaubt vom Unfallort. 2019 waren es noch 36.000.
Nach Ansicht des Strafrechtsprofessors Jan Zopfs von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz sind verschiedene Reformen denkbar. Entweder eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit, die unter anderem auch Staatsanwaltschaften entlasten würde, sagt der Professor, der den Arbeitskreis beim Verkehrsgerichtstag leiten wird. Alternativ könne auch der Straftatbestand beibehalten werden und lediglich die Wartepflicht am Unfallort ersetzt werden, etwa durch eine nachträgliche Meldung per App oder bei einer Meldestelle etwa innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Oder es könne auch angepasst werden, dass seltener die Fahrerlaubnis nach einer Unfallflucht entzogen wird und die Entscheidung stärker vom Einzelfall abhängig gemacht wird. Die Diskussion dazu sei völlig offen, meint Zopfs.
Der Deutsche Anwaltverein kritisiert, dass Menschen für das Verlassen des Tatortes nicht bestraft würden, wenn sie ein Auto vorsätzlich demolieren - sehr wohl aber wenn ein Auto aus Versehen beschädigt würden. Dadurch dass Fahrerflucht derzeit eine Straftat sei, werde ein Zwang zur Selbstbezichtigung geschaffen, der eigentlich nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren sei, meint Rechtsanwalt Andreas Krämer von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht beim DAV. Eine Reform sei dringend notwendig. Außer bei schweren Personenschäden sei eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit angebracht.
Der Unfallfluchtparagraf schütze weder Leib, Leben noch Eigentum, sondern nur die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche, heißt es auch vom Auto Club Europa. Eine Herabstufung lehnt der Verein aber ab, da Unfallschäden nicht unwesentlich seien. Die Wartepflicht solle allerdings überarbeitet werden. Auch der Automobil-Club Verkehr ist gegen die Herabstufung, fordert aber eine digitalen Meldestelle für Unfälle mit reinem Sachschaden. Laut einer repräsentativen Umfrage der Versicherung DEVK von Anfang September seien auch 58,3 Prozent der Deutschen gegen die Herabstufung und nur 17,7 Prozent dafür.
Gegen eine Herabstufung ist auch der Deutsche Richterbund. „Die Strafvorschrift hat sich bewährt und gibt den Gerichten ausreichend Spielräume, um Rechtsverstöße jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen“, sagt Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.
Zudem sei davon auszugehen, dass Unfallflucht als Ordnungswidrigkeit zu mehr Arbeit bei Amtsgerichten führen würde, weil Betroffene ihre Bußgeldbescheide dort überprüfen lassen würden. Eine digitale Meldestelle sei zwar denkbar, müsse aber bundeseinheitlich sein.
© dpa-infocom, dpa:240123-99-715073/3