Die Fahrradbranche muss sich bei anhaltendem Gegenwind abstrampeln, während die Kunden noch einige Zeit auf hohe Rabatte hoffen können. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger bleiben die Absatzzahlen neuer Räder in Europa auch in den kommenden beiden Jahren deutlich hinter den Bestwerten aus der Corona-Zeit zurück.
Die Hersteller sitzen auf großen Mengen fertig montierter Räder und teuer eingekaufter Komponenten, während der Handel kaum nachordert, weil er seinerseits zunächst eigene Lagerbestände abbauen muss. Frühestens mit der Saison 2026 werde eine Erholung einsetzen, heißt es in der Marktstudie, für die 40 Brancheninsider vor allem aus dem deutschsprachigen Raum qualitativ befragt wurden.
In den Geschäften dürften Räder daher auch im kommenden Jahr oft nur mit hohen Rabatten verkäuflich sein. Der Preiskampf werde mindestens noch 18 Monate anhalten, sagt Studienautor Michael Heller. Uwe Wöhl vom Händlerverbund VSF beobachtet neben dem Ringen um ausreichende Liquidität auch einen zunehmenden Verdrängungswettbewerb: Große Hersteller böten bereits jetzt Neuware aus der Saison 2025 zu niedrigeren Preisen als im Vorjahr an. Die Lagerbestände der übrigen Anbieter verlieren so automatisch an Wert.
Interessenten können sich also weiterhin auf günstige Preise sowohl bei E-Bikes als auch bei herkömmlichen Fahrrädern einrichten - auch wenn der ADFC vor unüberlegten Schnellkäufen warnt, die nicht zu den eigenen Bedürfnissen oder Körpermaßen passen. Gut für die Verbraucher seien hohe Rabatte auch nur so lange, wie der Fahrradhandel mit seinem Serviceangebot überleben kann, gibt Wöhl zu bedenken.
Weil der Handel auch auf der Frankfurter Leitmesse „Eurobike“ sehr viel weniger bestellt hat als erwartet, gehen die Studienteilnehmer mehrheitlich von weiteren Absatzrückgängen aus. Ein großer E-Bike-Hersteller plant nach eigenen Angaben für 2025 einen Mengenrückgang von 15 Prozent. „Die momentanen Margen für mich als Händler sind aufgrund der laufenden Rabattaktionen so niedrig, dass es deutlich risikoreicher ist, Ware bei meinen Fahrradmarken zu bestellen als auf den Zusatzumsatz zu verzichten“, wird zudem der Geschäftsführer einer Handelskette zitiert.
Insgesamt bleibt der Absatz deutlich unter dem Niveau des Rekordjahres 2021, als im Zeichen der Corona-Pandemie europaweit 22,1 Millionen Räder verkauft und ein Umsatz von 19,7 Milliarden Euro erzielt wurden. Obwohl infolge des E-Bike-Booms der Durchschnittspreis pro Fahrrad steigt, erwarten die Autoren mit rund 20 Milliarden Euro auch noch im Jahr 2026 Erlöse unterhalb des Rekords aus dem Jahr 2022 (21,2 Mrd Euro). Dafür müssten dann aber nur 15,9 Millionen Räder verkauft werden. Im laufenden Jahr werden es laut der Prognose 15,3 Millionen Räder mit einem Umsatz von 17,5 Milliarden Euro werden.
Die Studie, an der auch der Göttinger Pressedienst Fahrrad mitgewirkt hat, sieht den übergeordneten Trend zur CO2-freien Mobilität in Europas Städten aber weiter intakt. Das Fahrrad sei ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende. Umsatzwachstum werde über den wachsenden Anteil von E-Bikes realisiert, die im deutschen Markt schon mehr als die Hälfte aller Verkäufe ausmachen. Andere europäische Märkte haben teils erst E-Bike-Quoten von 30 Prozent, sodass dort zusätzliche Absatzmöglichkeiten bestehen.
Die Durchschnittspreise für E-Bikes dürften sich dafür mit einfacherer Technik auf einem etwas niedrigeren Niveau einpendeln. In Deutschland hat das verbreitete Dienstrad-Leasing bislang besonders hochwertige und kostspielige Bikes begünstigt - eine Verkaufsförderung, die es in vielen anderen Ländern nicht gibt.
Die Roland Berger-Studie rät den Herstellern zu weniger neuen Modellen und einer Stärkung ihrer Marken. Zudem müssten sie sich um einen größeren Anteil an der Wertschöpfung bemühen, in dem sie eigene Komponenten und Zubehör entwickelten, das bislang im großen Umfang zugekauft und nur an ebenfalls zugekaufte Rahmen montiert wird.
Man erwarte zudem, dass die Hersteller zunehmend versuchen, ihre Räder über das Internet direkt an die Konsumenten zu vermarkten. Die etablierten Händler würden dabei aber in die Strategie eingebunden, um Konflikte zu vermeiden. Ausnahme sind hier Unternehmen, die bereits in den vergangenen Jahren einen starken eigenen Online-Vertrieb ohne Händlernetz aufgebaut haben.
Trotz aller Probleme sehen die Akteure den Fahrradmarkt grundsätzlich intakt. Das Fahrrad sei ein wichtiges Instrument zur Lösung der Verkehrsprobleme, sagt zum Beispiel Mitautor Gunnar Fehlau. Die ADFC-Bundesgeschäftsführerin Caroline Lodemann mahnt allerdings einen schnelleren Ausbau der entsprechenden Infrastruktur an. Auf dem Weg zu einem attraktiven Fahrradland brauche es ausreichend Geld, Planungssicherheit und Mut.
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