Selbst in der Dortmunder Spielerkabine wackelten die Wände. Berauscht von der epischen Gala gegen Atlético Madrid und den Ovationen der Fans ließen es die Profis wenig später mächtig krachen. Mit inbrünstigen Gesängen feierten sie den 4:2 (2:0)-Erfolg und den ersten Einzug ins Halbfinale der Champions League seit 2013.
„Wir haben erneut BVB-Geschichte geschrieben“, kommentierte Sportdirektor Sebastian Kehl mit sichtlichem Stolz. Und selbst der erfahrene und eher als Dauerkritiker bekannte Vereinsberater Matthias Sammer geriet nach der emotionalen Achterbahnfahrt ins Schwärmen. „Es ist mit nichts zu bezahlen, was der Fußball einem bieten kann.“
In Dortmund ist der Zauber alter, glorreicher Europapokal-Abende zurück. Noch Minuten nach dem Schlusspfiff glich der heimische Fußball-Tempel einem Tollhaus. „Das war magisch“, sagte Niclas Füllkrug im TV-Interview bei Amazon Prime.
Wie der Nationalstürmer mochte auch Julian Brandt den ausgelassenen Siegertanz der gesamten Mannschaft vor der tosenden Gelben Wand nur ungern beenden: „Das sind diese Abende, für die du Fußball spielst, die dich komplett mitnehmen. In diese glücklichen Gesichter auf der Südtribüne zu blicken, macht süchtig.“
Der Traum vom erneuten Endspiel in London, wo der BVB 2013 den Bayern im unvergessenen deutschen Königsklassen-Showdown unterlag, lebt bei allen Beteiligten weiter und könnte mit einem Triumph im Halbfinale gegen Paris Saint-Germain Wirklichkeit werden.
Füllkrug hofft auf eine ähnliche Sternstunde gegen die Franzosen, auf die der BVB schon in der Gruppenphase (0:2/1:1) traf: „Über Paris nach Wembley? Das ist natürlich ab jetzt das Ziel. Das nicht auszusprechen, wäre Quatsch.“
Vereinsboss Hans-Joachim Watzke wirkte so glücklich wie lange nicht. Mit einem breiten Grinsen stürmte der bald aus dem Amt scheidende Geschäftsführer unmittelbar nach dem Schlusspfiff auf den Rasen und umarmte Torschütze Füllkrug und Trainer Edin Terzic. „Das war außergewöhnlich. Es ist ein stolzer Tag für alle Borussen“, befand der 64-Jährige nach Treffern von Julian Brandt (34.) Ian Maatsen (39.), Füllkrug (71.) und Marcel Sabitzer (74.).
Zur Freude von Watzke gelang dem BVB am nahen Ende einer bislang durchwachsenen Saison doch noch ein Coup mit erheblichem Imagegewinn, der zudem satte Mehreinnahmen von mindestens 12,5 Millionen Euro in die Vereinskasse spült. Damit dürfte die 100-Millionen Euro-Schallmauer bereits erreicht sein und die Personalplanungen für die kommende Saison leichter werden.
Sportdirektor Kehl nutzte die Gunst der Stunde, um der anhaltenden Kritik an einer verfehlten Personalpolitik entgegenzutreten: „Wenn man mal überlegt, wie wir durch die schwere Gruppenphase durchmarschiert sind, welche Gegner wir geschlagen haben, dann zeigt das, dass diese Mannschaft unglaublich viel Qualität hat. Das zeigt, dass sie zusammengewachsen ist, dass sie gereift ist.“
Vor allem Edin Terzic wirkte wie von einer schweren Last befreit. Die beste Saisonleistung seiner Mannschaft dürfte die Gerüchte um seinen möglichen Abgang nach Saisonende vorerst beenden. „Wenn man sagt, dass man gegen Atlético Madrid verdient weiter gekommen ist, dann ist das für uns als Verein eine große Sache“, urteilte der Dortmunder Fußballlehrer, „es war ein fantastischer Abend“.
Positiver Nebeneffekt: Mit dem Sieg trug sein Team dazu bei, dass die Bundesliga den zweiten Platz in der Ein-Jahres-Rangliste der UEFA vorerst festigte und weiter auf einen fünften Startplatz für die kommende Saison in der Königsklasse hoffen darf.
Doch darauf will sich beim BVB niemand verlassen. Das berauschende Erfolgserlebnis gegen Atlético soll dem Bundesliga-Fünften helfen, die nun anstehenden schweren nationalen Aufgaben gegen den neuen deutschen Meister aus Leverkusen und den punktgleichen Vierten aus Leipzig zu meistern, um sich auch ohne Sonderregelung für die Champions League zu qualifizieren.
„Es ist zu früh für Genugtuung und auch zu früh, um sich zurückzulehnen. Wir sind noch lange nicht fertig“, sagte Kehl. Auf magische Abende wie den gegen Atlético will der Sportdirektor in der kommenden Saison auf keinen Fall verzichten und erinnerte an das Selbstverständnis der Borussia: „Wir gehören in diesen Wettbewerb.“
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