Der Wahlkampf hat längst begonnen. In den kommenden drei Monaten (1. März bis 31. Mai) werden in rund 28 000 Betrieben in Deutschland die Arbeitnehmervertretungen neu gewählt.
Zur Wahl unter teils schwierigen Corona-Bedingungen stellen sich freie Listen, Einzelbewerber und natürlich gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte. Doch vor den Wahlen gibt es häufig Stress mit den Arbeitgebern.
Für die Gewerkschaften ist die betriebliche Arbeit der wichtigste Zugang zu den Menschen, die Grundlage für alle weitergehenden Zielsetzungen. Flächentarifverträge oder Einfluss auf die künftige Ausrichtung ganzer Industriezweige sind ohne eine Verankerung in den Betrieben nicht denkbar. Wahlzeiten sind daher auch immer Gründerzeiten für neue Gremien. Die Hürden sind seit einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr noch einmal niedriger, aber es gibt immer noch viele Wege, eine Betriebsratsgründung etwa mit Hilfe spezialisierter Anwaltspraxen zu behindern.
Ein Paradebeispiel des „Union Busting“ sieht die Gewerkschaft Verdi gerade beim Autovermieter Sixt - ein weltweit agierendes Unternehmen mit 7000 Beschäftigten, aber keinem einzigen Betriebsrat. Bei Gründungsversuchen an den Flughäfen in Frankfurt und Düsseldorf sahen sich mehrere Initiatoren mit fristlosen Kündigungen konfrontiert, aus den Wahlen wurde nichts. Sixt begründet den Rausschmiss jeweils mit persönlichen Verfehlungen der Betroffenen. Betriebsräte werde man unterstützen, wenn die Belegschaft es wünsche.
„Jede 6. Gründung von Betriebsräten in diesem Land wird behindert. Das muss aufhören“, sagt hingegen die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, und kann sich der Unterstützung des SPD-Arbeitsministers Hubertus Heil sicher sein. Hohe Organisationsgrade fallen in keinem Betrieb vom Himmel, mahnt die IG-Metall-Vize und erinnert an die jahrzehntelange Erschließungsarbeit im US-Unternehmen Ford in Köln, heute eine Bank für die Gewerkschaft. Dem erklärtermaßen gewerkschaftsskeptischen Tesla-Chef Elon Musk habe man in Grünheide schon gesagt: „Willkommen im Land der Mitbestimmung.“
Die IG Metall will auch über die Betriebsräte stärker und früher mitreden, wenn es um strategische Entscheidungen geht, machte Benner unlängst klar. „Unsere Betriebsrätinnen und Betriebsräte müssen proaktiv eingreifen können und beteiligt werden, etwa wenn es um Investitionen in Standorte, um Qualifizierung oder um zukunftsfähige Produkte geht.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund listet gleich eine ganze Reihe von Vorteilen auf, die betriebliche Mitbestimmung den Beschäftigten bringe: Mehr Urlaub, mehr Geld, bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatem und sichere Jobs sind nur die wichtigsten Punkte. Auch die Unternehmen hätten ihre Vorteile, wenn eine engagierte Mitarbeitervertretung die Dinge im Betrieb kooperativ mitregelt: Gewinne und Produktivität seien deutlich besser, lautet das Ergebnis einer Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.
Bereits seit 2009 zeichnet die Fachzeitschrift „Arbeit im Betrieb“ aus dem gewerkschaftlichen Bund-Verlag besonders erfolgreiche Arbeit von Betriebsräten aus. Mehr als 1000 Projekte sind über die Jahre zusammengekommen, 2021 ging der erste Preis an den Betriebsrat des Hamburger Maschinenbauers Hauni, der dem Sparkurs des Managements ein eigenes Konzept zur „Fabrik der Zukunft“ entgegensetzte. Am Ende blieben die Arbeitsplätze in der Fertigung erhalten und in anderen Abteilungen konnten die personellen Auswirkungen in Grenzen gehalten werden.
Als weiteres Beispiel positiven Wirkens nennt die Böckler-Stiftung den Betriebsrat des völlig von der Flutkatastrophe im Ahrtal zerstörten ZF-Werks in Ahrweiler. Von 270 Stammbeschäftigten erlitten rund 100 materielle Schäden und dann stellte die Zentrale auch noch den Standort in Frage. Der Betriebsrat um den Vorsitzenden Rainer Stenz sorgte zunächst mit dafür, dass die Produktion weiterlaufen konnte und setzte mit öffentlichen Protesten schließlich durch, dass die Beschäftigten bei der Wahl des neuen Standorts mitreden dürfen.
Die IG Metall hatte bereits 2018 mit einer sinkenden Wahlbeteiligung in ihrem Organisationsbereich und mit rechtspopulistischen Gruppierungen wie dem „Zentrum Automobil“ zu kämpfen. Deren Erfolg bei den Wahlen blieb zwar überschaubar, verschwunden sind sie aber keineswegs, wie beispielsweise Mercedes-Betriebsratschef Michael Brecht aus dem LKW-Werk in Rastatt berichtet. „Die sagen den Leuten, die IG Metall ist zu progressiv. Die machen Anti-Impf-Aktionen und die Leute laufen denen hinterher.“
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