War sie Täterin? Oder selbst Opfer? Im Münchner Prozess um die Versklavung zweier jesidischer Mädchen im Irak schweigt die Angeklagte weiter – dafür spricht einer ihrer Angehörigen. Der Onkel der 29-Jährigen berichtete vor dem Oberlandesgericht (OLG) München, seine Nichte sei von ihrem Vater, einem Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), zur Heirat mit einem anderen IS-Mitglied gezwungen worden. „Ihr Vater ist schuld an ihrem Schicksal“, sagte er. „Ihr Vater war ein gefährlicher Mann.“
Ihr Mann habe sie dann ebenfalls bedroht. „Alle anderen IS-Männer haben ihre Frauen untereinander ausgetauscht“, soll der Ehemann gesagt haben, wie die Angeklagte ihrem Onkel berichtet habe. „Sie solle froh sein, dass er das nicht macht.“
Außerdem habe sie gesehen, wie er zwei jesidische Mädchen vor ihren Augen vergewaltigte. „Sie hat gesagt, ich konnte nichts machen, weil der Ehemann sagte: „Ich bringe Dich um”“, sagte der Onkel.
Die Frau ist gemeinsam mit ihrem 43 Jahre alten Ehemann, der einst aus München in den Irak ausgereist war, angeklagt. Dort heirateten die beiden.
Das irakische Ehepaar soll dort laut Ermittlern als Teil der Terrororganisation IS zwei jesidische Mädchen als Sklavinnen gekauft, ausgebeutet und sexuell missbraucht haben. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen unter anderem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Nach Angaben der Ermittler soll der Mann seiner Frau kurz nach der islamischen Hochzeit auf deren Wunsch zwischen Oktober und Dezember 2015 ein damals fünf Jahre altes jesidisches Mädchen als sogenannte Brautgabe gekauft haben.
Das Kind wurde demnach daraufhin mehr als zwei Jahre lang im Irak und in Syrien von dem Paar gefangen gehalten, wirtschaftlich als Arbeitskraft sowie sexuell ausgebeutet, erniedrigt, gequält und vergewaltigt.
Gleiches soll einem zweiten jesidischen Mädchen widerfahren sein, das der Anklage zufolge Anfang Oktober 2017 als Zwölfjährige von dem Paar gekauft worden war.
„Sobald die jesidischen Sklavinnen aus Erschöpfung die Arbeit einstellten oder Fehler machten, wurden sie von den beiden Angeschuldigten misshandelt“, heißt es in der Anklage. Als die Jüngere erst sieben Jahre alt war, soll die Angeklagte, die mit ihrem mitangeklagten Ehemann selbst eine Tochter hat, sie beispielsweise mit heißem Wasser verbrüht haben.
Beide jesidischen Kinder wurden Ende November 2017 an andere IS-Kämpfer weitergereicht. Während das ältere Mädchen wenig später von ihrer Familie freigekauft werden konnte, ist das Schicksal des jüngeren Mädchens ungeklärt.
Ursprünglich war für den Verhandlungstag eine Einlassung der Angeklagten selbst erwartet worden – doch sie überlegte es sich offenbar anders. Anders als angekündigt wollte sie keinen Angaben machen, erklärte einer ihrer Anwälte. Weder zur Person noch zu den Vorwürfen gegen sie wolle sie sich äußern. Als während der Zeugenaussage ihres Onkels Fotos von ihrer Familie gezeigt wurden, brach die junge Frau, deren Mutter starb, als sie noch ein Baby war, in Tränen aus.
Im August 2014 führte der IS einen Angriff auf das Siedlungsgebiet der Glaubensgemeinschaft der Jesiden im Umkreis des im Nordwesten des Iraks gelegenen Sindschar-Gebirges durch. Er hatte zum Ziel, die jesidische Religion zu vernichten, indem ihre Angehörigen zwangskonvertiert, religiös umerzogen, verschleppt, versklavt, Frauen und Mädchen vergewaltigt und Männer, die nicht konvertieren wollten, hingerichtet wurden.
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