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Veröffentlicht am 27.10.2025 03:31, aktualisiert am 27.10.2025 15:56

Keine Ermittlung nach möglicher Attacke: Beamter vor Gericht

Der Angeklagte will nichts von den Verletzungen des Opfers gewusst haben. (Foto: Andreas Arnold/dpa)
Der Angeklagte will nichts von den Verletzungen des Opfers gewusst haben. (Foto: Andreas Arnold/dpa)
Der Angeklagte will nichts von den Verletzungen des Opfers gewusst haben. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Von einem Messer wollen die am Tatort eingesetzten Polizisten nichts gewusst haben, Ermittlungen wegen einer möglichen Körperverletzung gibt es nicht - der Richter spricht von Schlamperei: Im Prozess um eine mutmaßliche Strafvereitelung im Amt durch einen Polizisten im fränkischen Alzenau gestaltet sich die Aufklärung der Vorfälle rund um eine mögliche Straftat des späteren Messerstechers von Aschaffenburg (28) schwierig. 

Für den Prozess vor dem Amtsgericht Alzenau (Landkreis Aschaffenburg) sind zwei Tage angesetzt. Am Dienstag könnte das Urteil gesprochen werden. 

Schreie in Flüchtlingsunterkunft 

Es ist die Nacht zum 30. August 2024. Die Polizei wird zu einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau gerufen, Bewohner wollen Schreie gehört haben. In dem Gebäude treffen die ersten beiden Beamten nach Darstellung der Staatsanwaltschaft auf den 28 Jahre alten Verdächtigen, der von Mitbewohnern fixiert wird. Der Afghane soll seine Freundin (45) in der Unterkunft gewürgt und angegriffen haben, vielleicht mit einem Messer, vielleicht auch nicht. Beide sind betrunken, die Frau wird laut Ermittlern nicht ernsthaft befragt.

Zwei weitere Polizisten treffen ein, einer macht Bilder von den Wunden der Frau. Der Mann - psychisch auffällig - kommt eine Nacht in Gewahrsam, kehrt aber am nächsten Tag wieder in die Unterkunft zurück. Ermittlungen werden nicht eingeleitet, eine mögliche Tatwaffe wird weder gesucht noch sichergestellt. 

„Ich habe das Messer nicht gesehen“, sagt eine in der Unterkunft lebende Ukrainerin vor Gericht. Aber sie habe Schreie gehört und Verletzungen gesehen. Eine andere Migrantin meint, ein Messer gesehen zu haben, zudem Blutspuren an der 45-Jährigen. Die Erinnerungen sind mehr als ein Jahr später vage. 

Das mutmaßliche Opfer erzählt am ersten Prozesstag: „Mit einer Hand hat er mich gewürgt und in der anderen Hand hat er das Messer gehalten.“

Fünf Monate später eine Attacke mit Todesopfern

Rund fünf Monate später soll derselbe Mann im Aschaffenburger Park Schöntal zwei Menschen mit einem Küchenmesser getötet haben - möglicherweise im Zustand der Schuldunfähigkeit. Das Sicherungsverfahren gegen den Beschuldigten könnte in dieser Woche vor dem Landgericht Aschaffenburg enden. Die Staatsanwaltschaft will den Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen lassen. 

Anzeige nach Gewalttat von Aschaffenburg

Erst nach der bundesweit beachteten Bluttat geht eine Anzeige bei der Polizei wegen des Vorfalls in Alzenau ein. Die Staatsanwaltschaft Coburg ermittelt gegen vier damals eingesetzte Beamte, drei Verfahren wurden eingestellt. Der nun angeklagte 29-Jährige war damals Sachbearbeiter des Falls. Laut Staatsanwaltschaft hätte er erkennen müssen, dass eine gefährliche Körperverletzung vorliegen könnte – ermittelte jedoch nicht. Für den Ankläger ist das unverständlich und als Strafvereitelung im Amt zu werten. 

Haftstrafe möglich

Strafvereitelung im Amt kann mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder in minder schweren Fällen mit Geldstrafe geahndet werden.

Ob der spätere Angriff in Aschaffenburg durch frühere Ermittlungen hätte verhindert werden können, bleibt spekulativ - und zeitlich angesichts von fünf Monaten zwischen den beiden Attacken eher unwahrscheinlich. 

„Absolute Schlampigkeit“

Am ersten Verhandlungstag wird nach Ansicht von Richter Torsten Kemmerer unter anderem deutlich: „Mir erscheint vieles hier als eine absolute Schlampigkeit (…) und eine fehlende Kommunikation in der Dienstgruppe.“

Wer wusste wann was? Wer hat sich in der Polizeiinspektion Alzenau nach der angeblichen Messerattacke überhaupt intensiv mit der Sache befasst? Wer hat wem was gesagt? Wer hat die Fotos der Verletzten gesehen? Fragen über Fragen, die sich den Prozessbeteiligten aber auch den Beobachtern stellen. 

Die drei Kollegen des Angeklagten haben nach eigener Aussage nicht tiefergehend miteinander über den Fall gesprochen und schon gar nicht verfolgt, ob der Sachbearbeiter Ermittlungen einleitet.

„Ich habe kein Messer gesehen“

Der Angeklagte sagt nichts zu den Vorwürfen. Der 29-Jährige lässt über seinen Verteidiger lediglich erklären: „Er hatte vor Ort keinen Kontakt mit dem Opfer. Er weiß auch nicht, ob unmittelbar am Tatgeschehen ein Messer vorhanden war.“

Der damalige Streifenpartner des 29-Jährigen versichert, bei dem Einsatz kein Messer gesehen zu haben. „Ich habe keines gesehen und habe auch keine Äußerung diesbezüglich wahrgenommen“, sagt der 33-Jährige. Mit der 45-Jährigen habe er nicht gesprochen, auch keine Verletzungen wahrgenommen. Ähnliches sagt der damalige Vorgesetzte des Angeklagten. 

Der Beamte allerdings, der die Wunde des Opfers fotografierte, will indes dem Angeklagten davon erzählt haben. „Ich habe ihm auf jeden Fall von den Verletzungen, die ich gesehen habe, berichtet.“

© dpa-infocom, dpa:251027-930-211323/4


Von dpa
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