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Veröffentlicht am 14.08.2022 06:45

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Ein russischer Militärkonvoi ist auf der Straße zum Kernkraftwerk Saporischschja, in einem Gebiet unter russischer Militärkontrolle im Südosten der Ukraine zu sehen. (Foto: Uncredited/AP/dpa)
Ein russischer Militärkonvoi ist auf der Straße zum Kernkraftwerk Saporischschja, in einem Gebiet unter russischer Militärkontrolle im Südosten der Ukraine zu sehen. (Foto: Uncredited/AP/dpa)
Ein russischer Militärkonvoi ist auf der Straße zum Kernkraftwerk Saporischschja, in einem Gebiet unter russischer Militärkontrolle im Südosten der Ukraine zu sehen. (Foto: Uncredited/AP/dpa)

Im Ringen um die Sicherheit des beschossenen ukrainischen Atomkraftwerks (AKW) Saporischschja sieht Moskau die Vereinten Nationen am Zug. Aufgabe des UN-Sekretariats sei es, „grünes Licht zu geben für einen Besuch des AKW von Experten und Expertinnen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), sagte der russische Diplomat Michail Uljanow in einem Interview der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass.

Die Ukraine ihrerseits fordert Sanktionen gegen die russische Atomindustrie. Bei den Gefechten gelingen Kiew nach eigenen Angaben immer wieder Teil-Erfolge. Allerdings habe Moskau im Süden des Donbass „kolossale Kräfte“ zusammengezogen, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Uljanow, der Moskau bei den UN vertritt, erklärte, der Experten-Besuch sei praktisch vorbereitet gewesen. „Das UN-Sekretariat hat ihn im letzten Moment blockiert, ohne die Gründe dafür zu erklären“, so der Diplomat. Dem Vernehmen nach hatten die UN eine Reise von IAEA-Chef Rafael Grossi nicht nur aus Sicherheitsgründen bisher nicht erlaubt, sondern auch weil es Streit gibt um den Reiseweg. Grossi könnte zum Ärger der Ukraine etwa unter russischem Schutz über die von Moskau 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim anreisen. Die Ukraine und Russland werfen sich seit Wochen gegenseitig vor, Europas größtes Kernkraftwerk zu beschießen und damit eine atomare Katastrophe heraufzubeschwören.

In der ukrainischen Stadt Enerhodar am AKW Saporischschja sind am Sonntag erneut Artilleriegeschosse eingeschlagen. Das teilten russische wie ukrainische Quellen mit. Beide Seiten machten jeweils die andere für den Beschuss verantwortlich. Übereinstimmend wurde berichtet, dass ein Zivilist getötet worden sei.

„Die Nationalisten der Ukraine haben ein Wohngebiet von Enerhodar mit Raketen beschossen“, teilte die russische Besatzungsverwaltung der Agentur Tass zufolge mit. Der ukrainische Bürgermeister der Stadt, Dmytro Orlow, sprach von einer „mörderischen Provokation“ der Besatzer. Unabhängige Bestätigungen des Vorfalls gibt es nicht.

Angesichts der Kämpfe um das AKW Saporischschja fordert der ukrainische Präsident Selenskyj den Westen zu Sanktionen gegen Russlands Atomindustrie auf. Die Strafmaßnahmen müssten die Nuklearindustrie des Aggressorstaates treffen, sagte Selenskyj in einer am Samstagabend verbreiteten Videoansprache. Die Atommacht Russland baut oder betreibt in mehreren Ländern Kernkraftwerke und lagert auch radioaktiven Müll bei sich. Russland benutze das AKW im Süden der Ukraine, um die ukrainische Führung und die ganze Welt zu erpressen, sagte Selenskyj.

Laut Selenskyj ist die Lage im Osten der Ukraine weiter schwierig, aber ohne große Veränderungen. Besonders die Region Charkiw werde immer wieder angegriffen, die Verteidigung aber halte. Russland habe im Donbass indes „kolossale Ressourcen“ an Artillerie, Personal und Ausrüstung aufgefahren. Im Süden gelingt es laut Selenskyj dem ukrainischen Militär aber immer wieder, den „russischen Okkupanten“ Schläge zu versetzen. So sei die Autobrücke des Staudamms Nowa Kachowka im Gebiet Cherson nach mehreren Angriffen nicht mehr befahrbar. Obendrein sei nun die letzte der drei einzigen Flussquerungen über den Dnipro zerstört worden. Damit soll der Nachschub für Teile der russischen Armee verhindert werden.

Russland hat bei neuen Raketen- und Artillerieangriffen im Osten der Ukraine nach eigenen Angaben Ziele in Dutzenden Ortschaften beschossen. Die Attacken konzentrierten sich auf die Region Donezk, im benachbarten Gebiet Charkiw sei die Ortschaft Udy eingenommen worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Sonntag in Moskau mit.

Als gute Nachricht bezeichnete Selenskyj den Transport von ukrainischem Getreide und Lebensmitteln über die Häfen im Schwarzen Meer. Inzwischen seien 16 Schiffe mit Mais, Weizen, Soja, Sonnenblumenöl und anderen Produkten ausgelaufen, um die Lage auf dem globalen Lebensmittelmarkt zu entspannen. Die Einnahmen aus dem Verkauf kämen dem Staat und den Landwirten zugute, die nun die neue Saat ausbringen könnten, sagte Selenskyj. „Das ist ein wichtiges Element auf dem Weg zum Sieg“, sagte er.

Die Ukraine hat um internationale Hilfe für die Verfolgung möglicher Kriegsverbrechen gebeten. Es müsse eine internationale Koalition gebildet werden, um die blutigen Taten zu verfolgen, betonte Verteidigungsminister Olexij Resnikow. Er bezog sich besonders auf das Schicksal von ukrainischen Kriegsgefangenen, die in russischer Haft massenhaft getötet und gefoltert würden. „Ich zweifele nicht daran, dass wir nach dem Sieg der Ukraine in diesem Krieg auf dem einen oder anderen Weg jeden aufspüren werden, der an den barbarischen Morden und der Folter beteiligt ist“, sagte Resnikow. Dabei sollten nicht nur die Täter selbst, sondern die Befehlsgeber und jene, die solche Verbrechen rechtfertigten, bestraft werden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International will nach heftiger Kritik an ihrem Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee dessen Entstehungsprozess aufarbeiten. Man werde von externen Experten eine gründliche Prüfung des Vorgangs durchführen lassen, heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur am Samstag vorliegenden Statement der Organisation. In dem Bericht hatte Amnesty der ukrainischen Armee vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. Kiew kritisierte, die Nichtregierungsorganisation habe durch den Fokus auf Verfehlungen der Armee des angegriffenen Landes eine Täter-Opfer-Verkehrung betrieben. Kritiker stellten auch die Methodik des Berichts teilweise in Frage.

© dpa-infocom, dpa:220814-99-380097/12

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