Zwei Wochen vor dem in der Schweiz geplanten Friedensgipfel hat die Ukraine neue massive russische Angriffe auf die Energieinfrastruktur des Landes beklagt. Das bei einem russischen Raketenangriff beschädigte Wasserkraftwerk an einem Stausee am Fluss Dnipro bei Saporischschja ist nach Behördenangaben in „kritischem Zustand“. Spezialisten müssten die Sicherheit des dazugehörigen Damms untersuchen, sagte der Militärgouverneur von Saporischschja, Iwan Fedorow, im ukrainischen Fernsehen. „Derzeit ist der Verkehr vom linken Ufer zum rechten Ufer vollständig gesperrt.“
Das Wasserkraftwerk wurde in den vergangenen Monaten mehrfach zum Ziel russischen Beschusses. Bei einem massiven Raketenangriff Ende März brach ein Brand aus. Das Kraftwerk wurde stark beschädigt und musste eine Zeit lang abgeschaltet werden. In der Nacht zum Samstag schlugen erneut Raketen in der Anlage ein.
Russland führt seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dabei nimmt Moskau auch immer wieder zivile Ziele wie Städte und besonders Objekte der Energieversorgung ins Visier. Wegen der Stromengpässe wurde die Energieversorgung rationiert und die Strompreise zuletzt erhöht. Im vergangenen Jahr wurde im Kriegsgebiet der Kachowka-Staudamm am Unterlauf des Dnipro zerstört. Die Flut löste eine riesige Umweltkatastrophe aus. Dutzende Menschen starben. Tausende verloren ihr Hab und Gut.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte in Singapur beim Sicherheitsforum Shangri-La-Dialog die ständigen russischen Raketen- und Drohnenangriffe auf die Energie-Infrastruktur des Landes und warb erneut um Hilfe. Vor dem am 15. und 16. Juni in der Schweiz geplanten Friedensgipfel warf er zudem China Störversuche vor. China arbeite daran, „dass Staaten nicht an dem Friedensgipfel teilnehmen“, sagte er.
Russland hatte den geplanten Gipfel zur Beendigung von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine als nicht zielführend kritisiert, was auch Kremlchef Wladimir Putin bei seinem Staatsbesuch im Mai in Peking deutlich gemacht hatte. China, das selbst einen als vage kritisierten Friedensplan vorgelegt hat, sieht die Voraussetzungen für eine Teilnahme an dem Treffen nicht erfüllt, wie Außenamtssprecherin Mao Ning mitgeteilt hatte.
Selenskyj erklärte nun, mehr als 100 Staaten und Organisationen hätten ihre Teilnahme an dem Gipfel bestätigt. Bei dem Treffen in Bürgenstock bei Luzern, zu dem Russland nicht eingeladen ist, solle es vor allem um die Punkte Gefangenenaustausch, Lebensmittel- und atomare Sicherheit gehen, betonte er. Nach dem Gipfel soll ein Plan an Russland übergeben werden.
Beim Shangri-La-Dialog rief Selenskyj die asiatische Region zur Teilnahme an dem Gipfel auf. Kein Land solle sich von Russland einschüchtern lassen. „Russland reist nun in viele Länder der Welt und droht mit der Blockade von Lebensmitteln, Agrarprodukten und chemischen Produkten, mit der Verteuerung von Energie oder übt einfach Druck aus, damit andere Länder der Welt nicht am Gipfel teilnehmen“, sagte Selenskyj. Der Druck auf Moskau müsse durch diplomatische Isolation Russlands und durch eine Stärkung der ukrainischen Armee erhöht werden, um Putin zu stoppen.
Bei einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Singapur wies Selenskyj darauf hin, dass Russlands Störversuche vereitelt werden könnten, indem von den Teilnehmerstaaten auch die jeweiligen Staatschefs zum Gipfel kämen. Damit kritisierte der Ukrainer indirekt erneut, dass US-Präsident Joe Biden nicht in die Schweiz reist. Zuvor hatte Selenskyj beklagt, dass dies Putin in die Hände spiele.
„Die Unterstützung der Vereinigten Staaten für den Kampf der Ukraine gegen die russische Aggression wird niemals nachlassen“, teilte Austin nach dem Treffen mit Selenskyj im sozialen Netzwerk X mit. Die USA hätten sich verpflichtet, die starke Unterstützung einer Koalition von über 50 Ländern aufrechtzuerhalten, um der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Freiheit zu helfen.
Selenskyj wiederum dankte Austin für die jüngsten Zugeständnisse bei der Militärhilfe. Die nun von den USA erlaubten begrenzten Schläge gegen russisches Staatsgebiet dienten der effektiven Gegenwehr gegen Versuche Moskaus, das Kampfgebiet weiter auszudehnen. Die ukrainischen Streitkräfte stehen besonders stark auch in der an Russland grenzenden Region Charkiw unter Druck.
Russland führt nahe Charkiw von seinen Stellungen auf eigenem Staatsgebiet weitgehend ohne starke Gegenwehr Luftschläge gegen die Region um die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Das russische Verteidigungsministerium meldete ein Vordringen in der Region Charkiw sowie die Einnahme eines weiteren Dorfes in der bereits größtenteils besetzten Donezk.
An der Konferenz in der südostasiatischen Wirtschaftsmetropole diskutierten bis Sonntag Hunderte Minister, Militärs und Experten aus aller Welt über die aktuellen Krisenherde und Bedrohungslagen. Auch Themen wie Künstliche Intelligenz, Cyber-Abwehr und künftige Arten der Kriegsführung wurden besprochen.
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