„Wie ein Erdbeben“ - Lokführer schildert Zugunglück | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 13.11.2025 03:31, aktualisiert am 13.11.2025 13:02

„Wie ein Erdbeben“ - Lokführer schildert Zugunglück

Als der Zug entgleiste, waren viele Kinder und Jugendliche an Bord. (Archivbild) (Foto: Angelika Warmuth/dpa)
Als der Zug entgleiste, waren viele Kinder und Jugendliche an Bord. (Archivbild) (Foto: Angelika Warmuth/dpa)
Als der Zug entgleiste, waren viele Kinder und Jugendliche an Bord. (Archivbild) (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Der 35 Jahre alte Lokführer spricht betont ruhig und atmet immer wieder tief ein. „Das kann man sich vorstellen wie ein Erdbeben“, sagt er. „Es gab eine Riesenstaubwolke“. Er sei aus seinem Sitz geschleudert worden. „Dann hab ich meinen Notruf abgesetzt.“

Er lenkte den Zug, der am 3. Juni 2022 in Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen entgleiste, fünf Menschen in den Tod riss und Dutzende verletzte. Im Prozess gegen einen Fahrdienstleiter und einen Bezirksleiter Fahrbahn vor dem Landgericht München II schildert der Lokführer als Zeuge, wie er das Unglück erlebte. 

Plötzlich habe sein Fahrzeug „einen Schlag nach rechts, einen Schlag nach links“ gemacht. Das habe ihm „im Prinzip den Sitz unterm Arsch weggezogen“. Er sei dann in der Fahrerkabine eingeschlossen gewesen, sei von der Feuerwehr befreit worden und habe vom Fenster aus den Fahrgästen, die im Schock über die Gleise geirrt seien, zugerufen, sie sollten vorsichtig sein. 

Schienen „wie ein langgestrecktes Fragezeichen“

Kurz vor der Entgleisung habe er noch eine „Auffälligkeit“ auf der Strecke vor sich gesehen. „Für mich sah es aus wie ein langgestrecktes Fragezeichen.“ Er habe eine Schnellbremsung einleiten wollen, aber das sei zu spät gewesen. „Ich kam nicht mehr dazu.“

Ursache des Zugunglücks waren Gutachten zufolge marode Betonschwellen. Wegen chemischer Reaktionen im Inneren des Stahlbetonkerns waren die Schwellen nicht mehr tragfähig genug. 

Die Staatsanwaltschaft München II wirft dem Fahrdienstleiter und dem Bezirksleiter Fahrbahn fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Sie ist überzeugt, dass die Angeklagten das Unglück mitverursacht haben.

Es gab Hinweise, dass die Gleise an der späteren Unfallstelle problematisch waren. Am Abend vor dem Unglück erhielt der Fahrdienstleiter einen Funkspruch, in dem von Unregelmäßigkeiten am Gleis die Rede war. Da sei ein „Schlenker“ drin, der Zug „hüpfe“. Der Angeklagte sagte, er gebe das weiter – das geschah aber nicht. 

Lokführer: oft problematischer Zustand der Schienen

Auch der Lokführer schilderte einen oft problematischen Zustand der Schienen. „Ich hab mich für den Beruf entschieden und da muss ich mit dem Anlagenzustand klarkommen“, sagte er. Er sei Quereinsteiger mit einer Ausbildung von achteinhalb Monaten und habe „von Gleisbau keine Ahnung“. 

Unregelmäßigkeiten im Schienennetz seien keine Seltenheit. „Diese latenten, kleinen Sachen – da kann ich alle zwei Kilometer melden.“ Der Schaden, der ihm in Garmisch aufgefallen sei, sei aber größer gewesen. Nach Angaben des Lokführers hätte er ihn gemeldet, hätte er die Gelegenheit dazu noch gehabt. Bei einer Schnellbremsung geschehe eine solche Meldung ohnehin.

Der 35-Jährige erlitt nach eigenen Angaben eine Wadenprellungen und Abschürfungen an der Hand. Traumatisiert sei er nicht, sagt er. „Das war eher ein Schock.“ 

„Das schwierigste für einen Lokführer ist immer, diese Stelle wieder zu befahren“, sagte der 35-Jährige. „Da kam mir zugute, dass die Stelle kaum wiederzuerkennen ist, sie sieht komplett anders aus als am Unfalltag.“

Drei Wochen nach dem Unfall habe er wieder arbeiten wollen, sagt er. Nach zehn Wochen sei er wieder voll im Dienst gewesen.

© dpa-infocom, dpa:251113-930-285543/3


Von dpa
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