Es ist eigentlich kaum zu glauben: Seit einem Monat sollen sich vier Kinder im kolumbianischen Dschungel alleine durchschlagen. Nach einem Flugzeugabsturz suchen Einsatzkräfte fieberhaft nach den Geschwistern im Alter von 13, 9 und 4 Jahren sowie einem Jahr. Zwischenzeitlich gibt es sogar Berichte über eine Rettung der Vier. Berichte, die sich wenig später jedoch als falsch entpuppen.
Nun aber haben Soldaten eine neue Spur. Die Suchmannschaften hätten zerbrochene Äste und geöffnete Lebensmittelpakete gefunden, sagte ein Militärsprecher im Fernsehsender Caracol am Dienstag (Ortszeit). Ein im Schlamm entdeckter Fußabdruck könnte zu dem 13-jährigen Mädchen gehören. „Die Suche wurde nicht eingestellt und wir hoffen weiterhin, die Kinder mit Hilfe von Satelliten zu finden, die den Soldaten und Indigenen in dem Gebiet Orientierung geben“, schrieben die Streitkräfte auf Twitter.
Die Geschwister waren am 1. Mai mit einer Propellermaschine vom Typ Cessna 206 im Department Caquetá im Süden des Landes abgestürzt. Private Kleinflugzeuge sind in der unwegsamen Region oft die einzige Möglichkeit, größere Strecken zurückzulegen. Bei dem Unglück kamen ihre Mutter, der Pilot und ein indigener Anführer ums Leben.
Auf der Suche nach den Kindern fanden die Soldaten Schuhe, Windeln, Haargummis, eine lila Schere, eine Babyflasche, eine aus Blättern und Ästen gebaute Notunterkunft sowie halbverzehrte Früchte. „Wir müssen sie finden“, sagte der Kommandeur der Suchaktion „Operation Hoffnung“, General Pedro Arnulfo Sánchez, mit gebrochener Stimme im Fernsehsender RCN.
Anhand der gefundenen Gegenstände und Spuren konnten die Soldaten den bisher zurückgelegten Weg der Kinder rekonstruieren. Demnach entfernten sie sich zunächst von der Absturzstelle vier Kilometer Richtung Westen. Dann stießen sie offenbar auf ein Hindernis und wendeten sich gen Norden. „Es gibt geografische Grenzen in dem Gelände wie zum Beispiel Flüsse, die für die Kinder schwierig zu überwinden sind“, sagte Oberst Fausto Avellaneda am Mittwoch im Fernsehsender Caracol.
Allerdings ist der Regenwald in der Region sehr dicht, was die Suche nach den Vermissten erheblich erschwert. Zudem regnet es praktisch ununterbrochen. „Wir glauben, dass wir sehr nahe an ihnen dran sind“, sagte General Sánchez. „Wir gehen davon aus, dass wir schon einmal bis auf 100 Meter an sie herangekommen sind. Aber hier kann man nicht weiter als 20 Meter sehen.“
Seit Wochen durchkämmen Soldaten und Indigene ein Gebiet von etwa der Größe der Hauptstadt Bogotá. Mit Helikoptern und Spürhunden suchen sie in dem unwegsamen Gelände nach den Kindern. Dabei kämpfen die Suchmannschaften mit widrigen Verhältnissen. Sie haben nur wenig zu essen und sind wegen des Dauerregens ständig durchnässt, wie einer der Versorgungspiloten im Fernsehsender Caracol sagte. In von den Streitkräften veröffentlichten Videos war zu sehen, wie sich Soldaten bei heftigem Regen zu dem Flugzeugwrack durchkämpfen. In einem anderen Clip seilen sich Einsatzkräfte von einem Hubschrauber aus auf eine Lichtung ab.
Auch der Vater der Kinder beteiligt sich an der Suche. „Mir geht es nicht gut. Das ist ein harter Schlag“, sagte Manuel Ranoque vor einigen Tagen in einem Lager der Suchmannschaften im Regenwald. „Aber ich habe noch Hoffnung, wieder bei meinen Kindern zu sein, bei meiner Familie. Das ist das Wichtigste.“
Die Kinder gehören selbst zu einer indigenen Gemeinschaft, ihre Kenntnis der Region könnte ihnen geholfen haben, nach dem Absturz im Dschungel zu überleben. Ihre Großmutter Fátima Valencia vertraut vor allem auf die älteste Schwester. „Sie war immer wie die Mutter, sie hat die anderen mit in den Wald genommen“, sagte sie im Radiosender La FM. „Sie kennt die Pflanzen und Früchte. Wir Indigene lernen von klein auf, welche man essen kann und welche nicht.“
Der Fall erinnert an die Deutsch-Peruanerin Juliane Koepcke, die 1971 einen Flugzeugabsturz im peruanischen Regenwald überlebte und nach zehn Tagen gerettet wurde. Da ihre Eltern als Biologen im Amazonasgebiet forschten, war ihr die Umgebung vertraut und sie konnte sich bis zu einem Fluss durchschlagen, wo sie schließlich von Waldarbeitern gefunden wurde.
Die Kinder in Kolumbien waren Medienberichten zufolge mit ihrer Mutter auf dem Weg zu ihrem Vater, der nach ständigen Drohungen durch eine Splittergruppe der Guerillaorganisation Farc aus der Region geflohen war. Zwar hat sich die Sicherheitslage nach dem Friedensabkommen 2016 zwischen der Regierung und der Farc verbessert, allerdings werden noch immer Teile des südamerikanischen Landes von illegalen Gruppen kontrolliert. Vor allem Indigene, soziale Aktivisten und Umweltschützer geraten immer wieder in das Visier der kriminellen Banden.
„Vielleicht haben sie Angst und verstecken sich“, sagte der Großvater der Kinder, Fidencio Valencia, im Fernsehsender Caracol, angesichts der schlechten Erfahrungen seiner Enkel mit bewaffneten Gruppen. „Möglicherweise wissen sie nicht, dass nach ihnen gesucht wird, oder sie befürchten, dass ihnen etwas angetan werden könnte.“
Um den Kindern die Angst zu nehmen, spielen die Soldaten nun eine von der Großmutter in ihrer indigenen Sprache aufgenommene Botschaft ab. „Ich bin eure Oma Fátima, ihr versteht mich“, heißt es in der Aufnahme, die aus Lautsprechen durch den Dschungel schallt. „Bleibt ruhig. Sie suchen euch. Hört auf das Mikrofon, bleibt, wo ihr seid, damit sie euch holen können.“
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