Hans-Peter Schmidt kann sich noch gut an die stinkende Emscher erinnern. „Als Kinder haben wir das nicht so empfunden. Aber die Mutter hat im Sommer nachts oft die Fenster zugemacht, weil da so ein beißender Geruch kam“, erzählt der 67-Jährige, der am Donnerstagmorgen zufällig zu Fuß eine Emscherbrücke in Castrop-Rauxel überquert.
Schmidt wohnt immer noch in Emschernähe. Doch aus dem einstigen Abwasserfluss ist mittlerweile ein (fast) normales Fließgewässer geworden. Seit Jahresbeginn wird an keiner Stelle mehr Abwasser in Deutschlands einst dreckigsten Fluss geleitet. Der Dreck fließt jetzt durch ein neues Abwassersystem, dessen Bau 30 Jahre dauerte. Am Donnerstag wurde der Abschluss dieses sogenannten Emscher-Umbaus groß gefeiert.
Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist gekommen. Der Umbau sei das „weltweit größte Renaturierungsprojekt“, sagt er und „ein großartiger Beleg für innovative deutsche Ingenieurskunst“. Der Umbau kostete mehr als 5,5 Milliarden Euro, für Scholz „eine großartige Investition in bessere Lebensqualität“. Der SPD-Politiker betont: „Zum Erfolg gehört allerdings auch, dass die Emschergenossenschaft dieses gesamte riesige Infrastrukturvorhaben pünktlich und im Rahmen der veranschlagten Kosten zu einem guten Ende geführt hat. Wir sehen daran: It can be done. Auch in dieser Hinsicht ist der Emscher-Umbau ein echtes Vorbild.“
Die Emscher entspringt in Holzwickede bei Dortmund, durchquert das Ruhrgebiet von Ost nach West und mündet nach 83 Kilometern in Dinslaken in den Rhein. Doch wie kamen frühere Generationen darauf, ihre Abwässer einfach in den Fluss zu leiten? Das geschah vor allem wegen des Kohlebergbaus unter Tage. Unterirdische Abwasserkanäle waren in der Region nicht möglich. Sie wären durch ständige Bodenabsenkungen infolge des Steinkohleabbaus beschädigt worden.
Also wurden natürliche Wasserläufe zu offenen Schmutzwasserkanälen mit Betonsohle umgebaut, in denen Waschlauge, Spülwasser und Schlimmeres ins Klärwerk schwammen. „Wir haben viel an der Emscher gespielt“, erzählt Schmidt. „Wir haben auch zugeguckt, wie Ölfladen in schillernden Farben vorbeikamen. Natürlich auch jede Menge Toilettenpapier und Köttel - und auch Kondome.“
Erst als nur noch wenige Bergwerke übrig waren, begann 1992 der Umbau des Emschersystems mitsamt seinen 35 Nebenflüssen und -bächen. Der Umbau gilt als eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Gebaut wurden unter anderem vier Großkläranlagen, 430 Kilometer Abwasserkanäle und drei große Pumpwerke. Mehr als 150 Kilometer an Flusslandschaften wurden renaturiert, rund 130 Kilometer an neuen Radwegen geschaffen.
Herzstück des Umbaus ist ein 51 Kilometer langer Abwassertunnel, der „Abwasserkanal Emscher“ (AKE). Bis zu 40 Meter tief wurde er in den vergangenen Jahren entlang der Emscher verlegt. Damit das Abwasser über die gesamte Strecke mit ausreichend Gefälle fließen kann, muss die Brühe in drei riesigen Pumpwerken hochgepumpt werden. Das Pumpwerk Oberhausen ist Deutschlands größtes Schmutzwasserpumpwerk. Es kann pro Sekunde 16.500 Liter befördern.
Die Renaturierungsarbeiten an dem geschundenen Fluss dauern weiter an. Auf rund 55 Kilometern ist die Emscher noch begradigt. Erst 2027 soll eine naturnahe Umgestaltung des Gewässers und seiner Nebenflüsse abgeschlossen sein. Wo es möglich ist, sollen die Böschungen abgeflacht werden. An einigen Stellen darf sich die Emscher dann sogar wieder in Kurven durch die Landschaft schlängeln.
Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) betonte, dass durch den Umbau neue „Stadt- und Freiraumqualitäten am Wasser“ sichtbar würden und viele Naturräume entstünden. Der Vorstandschef der Emschergenossenschaft, Uli Paetzel, sagte: „Der Umbau hat sich gelohnt, die Natur kehrt in und an das Gewässer zurück.“ Bereits jetzt könnten über 1000 verschiedene Arten erfasst werden. „Insekten, Schnecken, Muscheln, Krebse und auch vom Aussterben stark bedrohte Tiere wie Kiebitz oder Blauflügel-Prachtlibellen.“
Der nächste Schritt in Sachen Renaturierung steht auch schon an: Noch in diesem Jahr soll die Emscher an ihrer neuen Mündung in den Rhein eine Auenlandschaft erhalten. Vorbereitet wurde sie bereits seit mehreren Jahren.
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