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Veröffentlicht am 22.03.2024 04:48

Projekt soll Engpässe im Rhein beseitigen

Der „Jungfrauengrund“ bei Oberwesel: Auch bei Normalwasserstand ragen Steine aus dem Rhein hervor. Der Abschnitt dient der Planung einer durchgehend tieferen Fahrrinne. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der „Jungfrauengrund“ bei Oberwesel: Auch bei Normalwasserstand ragen Steine aus dem Rhein hervor. Der Abschnitt dient der Planung einer durchgehend tieferen Fahrrinne. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der „Jungfrauengrund“ bei Oberwesel: Auch bei Normalwasserstand ragen Steine aus dem Rhein hervor. Der Abschnitt dient der Planung einer durchgehend tieferen Fahrrinne. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Was im Großen an der Untiefe „Jungferngrund“ im Mittelrhein passiert, wird rund 160 Kilometer südlich in einer Halle in Karlsruhe im Kleinen simuliert. Dort, bei der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), ist die Flusspassage verkleinert nachgebaut.

Das Modell soll dazu beitragen, dass das seit Jahrzehnten geplante Riesenprojekt einer durchgehend größeren Fahrrinnentiefe in dem Flusstal einmal bestmöglich umgesetzt wird - bestmöglich für Schifffahrt und Natur, wie BAW-Leiter Christoph Heinzelmann erklärt.

Offiziell heißt das Vorhaben „Abladeoptimierung der Fahrrinnen am Mittelrhein“. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 stuft es als vordringlich ein. Das Projekt hat nach Meinung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der einst auch Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz war, eine „herausragende grenzüberschreitende Bedeutung“.

Konzerne wie BASF haben schon eigene Maßnahmen ergriffen

In der Wirtschaft stößt das Projekt erwartungsgemäß auf Zustimmung. Involviert ist auch ein Projektbeirat mit Vertretern von Hessen und Rheinland-Pfalz. In Hessen sind das Umwelt- und Wirtschaftsministerium dafür, das Projekt in das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz des Bundes aufzunehmen. Das soll langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller machen. Die Ministerien verwiesen darauf, dass der durch das Niedrigwasser 2018 entstandene volkswirtschaftliche Schaden bei fünf Milliarden Euro gelegen habe.

Beim Chemieriesen BASF mit seinem Stammsitz in Ludwigshafen am Rhein beliefen sich die finanziellen Auswirkungen des Niedrigwassers 2018 nach Konzernangaben auf 250 Millionen Euro. Seitdem hat BASF Maßnahmen ergriffen. Mit der Bundesanstalt für Gewässerkunde entstand ein Frühwarnsystem für Niedrigwasser, auch werde mehr auf für Niedrigwasser geeignete Schiffe und alternative Verkehrsträger gesetzt. Und doch werden laut BASF weiter 40 Prozent des Transportvolumens per Schiff abgewickelt.

Mit Blick auf das Fahrrinnen-Bauvorhaben teilte BASF mit: „Leider verzögert sich die Umsetzung dieses enorm wichtigen Projekts durch ein langwieriges Genehmigungsverfahren und Personalmangel in den zuständigen Behörden signifikant.“ Bundesverkehrsminister Wissing verweist auf die von ihm eingesetzte sogenannte Beschleunigungskommission. Auch dank ihr sei eine breit angelegte Stellenoffensive zur Verstärkung des Projektteams mit Ingenieuren und Technikern erfolgt. Die Prozesse innerhalb des Projekts seien optimiert worden, „um den hochkomplexen Fragen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie bestmöglich gerecht zu werden“.

Kritik von Naturschützern

Bei Naturschützern ist das Vorhaben umstritten. In einem Positionspapier des Naturschutzbundes (NABU) heißt es, eine größere Abladetiefe fördere „übergroße Schiffseinheiten auf Kosten der kleineren, besser flussangepassten Schiffe“. Die Entwicklung des Rheins im Klimawandel werde unzureichend berücksichtigt. Vor allem bei Niedrigwasser werde das Leben im Rhein noch stärker auf die Fahrrinne beschränkt. Die als Lebensräume wichtigen Zonen mit flachem Wasser würden verstärkt abgekoppelt oder gingen verloren.

Auch damit so etwas nicht passiert, hat das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein die BAW vor Jahren damit beauftragt, mit Forschung Grundlagen für eine rechtssichere und die Interessen ausgleichende Planung zu legen. Ende 2015 lief das Rhein-Projekt bei der BAW an, wie Andreas Schmidt, Leiter der Abteilung Wasserbau Binnenbereich, erklärt. Es geht es um den Abschnitt von Budenheim bei Mainz bis St. Goar. Auf dem sind laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) pro Jahr rund 50.000 Güterschiffe (Stand: 2021) unterwegs mit fast 60 Millionen Tonnen Ladung. Prognosen sehen in den kommenden Jahren einen Anstieg auf mehr als 75 Millionen Tonnen.

Binnenschifffahrts-Verband spricht von „echtem Nadelöhr“

Allerdings beträgt dort die durchgängig garantierte Fahrrinnentiefe nur 1,90 Meter unter dem Gleichwertigen Wasserstand - ein Niedrigwasserstand, der lediglich an rund 20 Tagen pro Jahr erreicht oder unterschritten wird. Stromauf- und -abwärts sind es 2,10 Meter, also 20 Zentimeter mehr. Das klingt wenig, doch zusätzliche 20 Zentimeter ließen bis zu 200 Tonnen mehr Fracht pro Schiff zu, sagt Thorsten Hüsener vom Projektteam Mittelrhein der BAW.

Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt nennt den Mittelrhein ein „echtes Nadelöhr“. Mit der Abladeoptimierung würden Transporte auch bei Niedrigwasser besser plan- und durchführbar. „Dies ist wichtig, da die rohstoffintensiven Industriestandorte auf die verlässliche Belieferung durch die Binnenschifffahrt angewiesen sind.“

„Kein Flussabschnitt gleicht dem anderen“

Schuld an der geringeren Fahrinnentiefe sind zahlreiche Untiefen. Die sechs neuralgischsten fokussiert das Projekt der Abladeoptimierung, darunter der Jungferngrund bei Oberwesel, der in Karlsruhe nachgebaut wurde. Mit dem Großprojekt soll die Fahrrinnentiefe auch in dem Rhein-Abschnitt auf durchgängig 2,10 Meter gebracht werden - mit möglichst punktuellen, umweltschonenden Eingriffen, die das Hochwasserschutz-Niveau nicht verschlechtern dürfen, wie Sven Wurms, Leiter des Projekts bei der BAW, erklärt. „Es gibt nur sehr individuelle Lösungen“, sagt Hüsener. „Kein Flussabschnitt gleicht dem anderen.“

In Computermodellen und mit dem Rhein-Modell wird bei der BAW geschaut, wo Sedimente von der Strömung in die Fahrrinne getragen. Dann wird geprüft, wie zum Beispiel eine höhere Strömungsgeschwindigkeit erreicht oder der Sedimenttransport gelenkt werden kann. Denkbar sind die Errichtung von Buhnen, quer in den Fluss ragende Bauwerke, längs verlaufende Bauwerke, Grundschwellen auf dem Flussboden oder die Verfüllung von Kolken, Vertiefungen im Flussgrund. Teils wird auch punktuelles Abfräsen von Fels nötig sein.

Jungferngrund als besondere Herausforderung

Am Jungferngrund mit einer gleichnamigen Kiesbank und einem Felseiland namens Tauber Werth macht der Rhein eine 90-Grad-Kurve, Schiffe brauchen für ihre Manöver eine recht breite Fahrrinne, die Strömungsverhältnisse sind komplex. Die Kiesbank als wichtiger Lebensraum und der Rhein-Nebenarm dürfen keinen Schaden nehmen, wie Wurms erklärt. Und so werden alle möglichen Varianten an dem Rheinmodell im Maßstab 1:60 in der Länge und 1:50 in der Höhe nachgespielt. Statt Sediment wird hier Kunststoffgranulat von der Modellströmung transportiert. Denkbare Wasserbauten werden maßstabsgetreu eingebaut und getestet.

Für BAW-Chef Heinzelmann ist die Suche nach solchen viele Faktoren berücksichtigenden Lösungen fast schon „die Quadratur des Kreises“. Das lässt verstehen, warum das Projekt noch viele Jahre dauern dürfte - nicht zuletzt auch wegen der noch anstehenden und zeitraubenden Planfeststellungsverfahren. Das Rheinmodell in Karlsruhe dürfte noch lange stehen, die BAW soll auch nach den Bauarbeiten die ergriffenen Maßnahmen evaluieren.

© dpa-infocom, dpa:240322-99-425395/5


Von dpa
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