Im Saal 237 des Hamburger Strafjustizgebäudes - dort, wo ansonsten auch Terrorprozesse geführt werden - findet der jahrelange Sorgerechtsstreit um die Hamburger Unternehmerin Christina Block einen vorläufigen Höhepunkt. Die 52-Jährige ist angeklagt, die Entführung der eigenen Kinder aus der Obhut des Vaters in Dänemark in Auftrag gegeben zu haben. Beihilfe soll ihr Lebenspartner, der ehemalige Sportmoderator Gerhard Delling (66), geleistet haben.
Beide bestreiten die Vorwürfe, ebenso die fünf übrigen Angeklagten. Die Verteidiger kritisieren die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft.
Block und ihr Ex-Mann, der 51 Jahre alte Stephan Hensel, der als Vater der Kinder als Nebenkläger auftritt, sitzen nur wenige Meter voneinander entfernt gegenüber. Dazwischen Delling. Block in blauer Bluse, Delling im dunklen Anzug, offener Kragen. Bis auf die Antworten auf die Fragen zur Person, die die Richterin ihnen zu Anfang stellt, überlassen Block und Delling das Wort ihren Anwälten. Hensel macht sich unentwegt Notizen, während die Verteidiger sprechen.
Der Prozess war mit Spannung erwartet worden. Schon die Entführung der Kinder in der Silvesternacht 2023/2024 hatte für große Schlagzeilen gesorgt. Stunden vor Beginn warteten erste Journalisten vor dem Landgericht.
Der Zuschauerraum des Saals 237 ist zum Prozessauftakt bis auf den letzten Platz besetzt - vor allem mit Medienvertretern, mehr als hundert hatten sich akkreditiert. Wegen seiner Größe war der Saal für das Verfahren vor dem Landgericht ausgewählt worden. Angesetzt sind 37 Verhandlungstermine bis zum 23. Dezember. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.
In ihren Eröffnungsstatements nach der Verlesung der Anklage zeichnen die beiden Anwälte Blocks von ihrer Mandantin das Bild einer verzweifelten Mutter, der die Kinder von Hensel rechtswidrig entzogen und zunehmend entfremdet worden seien. Und dennoch: Block habe zu keiner Zeit einen Auftrag erteilt, ihre Kinder von dem in Dänemark lebenden Vater zurückzuholen, sagte Anwalt Otmar Kury.
Sie sei „nicht schuldig“ und nicht einmal „hinreichend verdächtig.“ Zugleich erhob Kury schwere Vorwürfe gegen Hensel, der dem inzwischen elf Jahre alten Sohn und seiner drei Jahre älteren Schwester den Kontakt zur Mutter entzogen und ihnen damit geschadet habe. Kury kündigte eine umfangreiche Erklärung Blocks an.
Als Tochter des Gründers der gleichnamigen Steak-House-Kette, Eugen Block, sei seine Mandantin sehr prominent, so dass über den jahrelangen Sorgerechtsstreit umfangreich in einer „Schlammlawine“ des Boulevards berichtet worden sei, sagte der zweite Anwalt der 52-Jährigen, Ingo Bott.
Aufgrund des der Familie zugeschriebenen Reichtums hätten sich auch Sicherheitsfirmen an die Blocks gewandt und ihre Hilfe angeboten. Der Anwalt äußerte die Vermutung, dass auch die Entführung der Kinder eine nicht abgesprochene Aktion gewesen sein könnte. Dann sei aber alles so schiefgelaufen, dass gar nicht erst eine Vergütungsforderung erhoben worden sei, sagte Bott.
Der Fall lief laut Anklage so ab: In der Silvesternacht 2023/24 lauerten mehrere Männer Hensel und den beiden Kindern in Süddänemark auf. Die Täter hätten Hensel zusammengeschlagen und die damals 10 und 13 Jahre alten Kinder in ein Auto gezerrt.
Im Laufe der mutmaßlichen Entführung wurde den Kindern nach Angaben der Anklage mit Klebeband der Mund verschlossen, die Tochter an den Händen gefesselt. Der Junge und das Mädchen wurden erst nach Baden-Württemberg gebracht und reisten später mit ihrer Mutter nach Hamburg.
Christina Block kämpft seit Jahren um ihre 2010 geborene Tochter und den 2013 geborenen Sohn. Beide Kinder leben seit 2021 bei ihrem Vater in Dänemark.
Nach Ansicht der Hamburger Staatsanwaltschaft behielt Hensel sie nach einem Wochenendbesuch gemäß seinem Umgangsrecht widerrechtlich bei sich. Immer wieder verwiesen die Verteidiger darauf, die Mutter habe zum Zeitpunkt der Entführung das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht gehabt. „Hier wird dem Elternteil, das Opfer einer Kindesentführung geworden ist“, die Beauftragung einer Kindesentziehung vorgeworfen, kritisierte Dellings Verteidiger David Rieks und stellte die Anklage als abstrus dar.
Delling soll der Anklage zufolge das Zusammentreffen Blocks mit den Kindern in Baden-Württemberg organisiert und ihre gemeinsame Rückkehr mit den Kindern nach Hamburg koordiniert haben. Er wird außerdem verdächtigt, gegenüber Kriminalbeamten falsche Angaben gemacht zu haben. Verteidiger Rieks wies jede Schuld seines Mandanten zurück.
Laut Anklage soll Block den Auftrag zur Entführung der Kinder zusammen mit einem 63-jährigen Deutschen erteilt haben. Die Anklage lautet auf gemeinschaftliche schwere Entziehung von Minderjährigen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Der Mutter wird zudem schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen vorgeworfen.
Für die schwere Entziehung Minderjähriger und die schwere Misshandlung Schutzbefohlener sieht das Strafgesetzbuch eine Mindeststrafe von einem Jahr vor, die Höchststrafe beträgt zehn Jahre Gefängnis.
Ein 35-Jähriger, der nach eigenen Angaben die israelische und portugiesische Staatsangehörigkeit hat, soll zusammen mit fünf weiteren Männern direkt an der Entführung beteiligt gewesen sein. Sein Verteidiger kündigte an, sein der Mandant werde sich zu einem späteren Zeitpunkt umfassend äußern. Seit November sitzt der Mann in U-Haft.
Ein 58-jähriger Deutscher sorgte der Staatsanwaltschaft zufolge als Leiter eines Hamburger Sicherheitsunternehmens für die Bewachung des Anwesens von Block, um eine Flucht der Kinder zu verhindern. Er ist angeklagt wegen Beihilfe zur gemeinschaftlichen schweren Entziehung Minderjähriger in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Demselben Vorwurf müssen sich eine Frau (49) und ein Mann (55) aus Blocks Umfeld stellen.
Der Sorgerechtsstreit zwischen Block und ihrem Ex-Mann beschäftigte auch das Bundesverfassungsgericht. Die Richter wiesen eine Beschwerde von Block ab. In der Begründung hieß es, alle vier Kinder hätten nach der Trennung des Paares 2014 und der Scheidung 2018 zunächst bei der Mutter gelebt. Für Besuche bei dem Vater gab es seit 2015 eine Umgangsregelung. Im Juli 2021 zog die älteste Tochter im Einvernehmen mit der Mutter zu ihrem Vater. Eine weitere Tochter lebt bei der Mutter.
Seit August 2021 leben die beiden jüngsten Kinder beim Vater. Nach einem Wochenendbesuch hatte er mitgeteilt, dass er sie wegen „kindeswohlgefährdenden“ Verhaltens der Mutter nicht zurückbringen werde. Über die genauen Vorwürfe ist offiziell nichts bekannt. Im Herbst 2021 sprach das OLG der Mutter vorläufig das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zu und verpflichtete den Vater zur Herausgabe der Kinder an die Mutter.
Als einziges EU-Land erkennt Dänemark Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedsländer in Sorgerechtsstreitigkeiten nicht automatisch an. Ende 2021 erklärte ein dänisches Amtsgericht die Vollstreckung der deutschen Entscheidung für unzulässig.
Block stellte 2022 in Dänemark einen Antrag auf Rückführung ihrer Kinder, und zwar nach dem dänischen Kindesentführungsgesetz. Daraufhin habe im Februar 2023 ein Gericht festgestellt, dass die Kinder zwar widerrechtlich nach Dänemark gebracht worden seien, sie aber nicht zurückgeführt werden könnten.
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