Schanzenfest: Wer ist die neue Generation, die den Drachenlord als Kult verehrt? | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 21.12.2025 08:00

Schanzenfest: Wer ist die neue Generation, die den Drachenlord als Kult verehrt?

Zum Schanzenfest im August waren noch rund 4000 Besucherinnen und Besucher gekommen. Obwohl kurzzeitig zum Sturm auf die Schanze aufgerufen wurde, blieb es letztlich ruhig. (Foto: Johannes Zimmermann)
Zum Schanzenfest im August waren noch rund 4000 Besucherinnen und Besucher gekommen. Obwohl kurzzeitig zum Sturm auf die Schanze aufgerufen wurde, blieb es letztlich ruhig. (Foto: Johannes Zimmermann)
Zum Schanzenfest im August waren noch rund 4000 Besucherinnen und Besucher gekommen. Obwohl kurzzeitig zum Sturm auf die Schanze aufgerufen wurde, blieb es letztlich ruhig. (Foto: Johannes Zimmermann)

Sie wollen die Schanze wieder aufbauen, dafür Altschauerberg stürmen und verehren den Youtuber „Drachenlord” als Kultfigur: die Anhänger der „zweiten Generation”. So werden jene genannt, die sich im Sommer und am Samstag in Emskirchen zum Schanzenfest trafen. Aber wer ist diese zweite Generation? Eine Spurensuche mit Hindernissen.

Die Schanze im Emskirchener Ortsteil Altschauerberg – einst war sie ein heruntergekommener Bauernhof, die Fassaden von Farbbeutel-Attacken geprägt. Heute erinnert nur noch eine Wand mit Graffiti an jenes Gelände, auf dem einst der Drachenlord gehaust hatte. Der Komplettabriss war eine unmittelbare Folge des Schanzenfestes im August. Zuvor hatten noch Nebengebäude gestanden – doch Ziegel wurden vom Dach gestohlen, Steine herausgerissen. Ja, Trophäen der Schanze sind in der Szene begehrt. Die Marktgemeinde Emskirchen zog die Reißleine.

Altschauerberg, ein kleines Dorf. Weite Wiesen, ein hügeliger Wald. Doch die Idylle trügt. Altschauerberg ist und war Schau-Ort des „schlimmsten Cybermobbingfalls Deutschlands”, sagt Matthias Schwarzer vom Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er ist ein Kenner des Internets, hat sich viel mit dem Komplex Cybermobbing auseinandergesetzt und kennt den Hass im Netz.

Das steckt hinter der Kooperation

Manche Themen erfordern einen erheblichen Rechercheaufwand. Daher schließen sich immer wieder Journalistinnen und Journalisten verschiedener Medien zusammen, um gemeinsam an einem solchen Thema zu arbeiten. Dadurch ergänzen sich auch unterschiedliche Quellen und unterschiedliche Perspektiven. Unsere Hintergrundreportage über die zweite Generation, die Drachenlord-Fans, welche die beiden Schanzenfeste 2025 besuchten, ist in einem Kooperationsprojekt mit dem Bayerischen Rundfunk entstanden. Ein Dreierteam aus zwei BR-Redakteurinnen und einem FLZ-Redakteur hat mit vielen Menschen gesprochen, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen. Dieser Text ist eine Komponente der Zusammenarbeit, in deren Rahmen auch eine Videoreportage und Hörfunkbeiträge entstanden sind.

Hater nennen sich auch all jene, die den Drachenlord in Altschauerberg besucht haben. Aber nicht zum Kaffeetrinken. Sie wollten provozieren. Solange, bis Rainer Winkler, so heißt der Drachenlord bürgerlich, ausgerastet ist, zuschlug. Geklappt hat das eigentlich immer. Aber wer ist dieser Drachenlord eigentlich? „Zuerst war er nur eine lokale Kultfigur aus der lokalen Metal-Szene”, sagt Gregor Schmalzried, Digitalexperte beim Bayerischen Rundfunk (BR) und Drachenlord-Szenekenner. Schmalzried hat das Drachengame, also die Verstrickungen rund um Rainer Winkler, schon immer fasziniert. Ihn erinnert das an eine Reality-Soap, nur ohne Drehbuch. „Das ist wie ein Autounfall: Man kann nicht wegschauen.”

Februar 2014: Vom Tag X

Der Tag X im Drachenlord-Fall liegt weit zurück, im Februar 2014: Ein Hater soll die Kontaktdaten von Rainer Winklers Schwester ausgemacht und sie in einem Anruf mit verzerrter Stimme bedroht haben. So lautet zumindest Winklers Version. Aus Wut gab der Drachenlord seine Adresse preis, forderte die Hater auf, ihn doch zu besuchen. Damit löste er eine ungeahnte Lawine des Hasses aus, die jahrelang niemand einfangen wird – weder die Gemeinde noch die Polizei oder die Landespolitik. Psychoterror, Schreiattacken, Wildpinkler und körperliche Angriffe prägten den neuen Alltag Altschauerbergs. Die lokale Kultfigur bekam plötzlich bundesweite Aufmerksamkeit.

„Der Fall Drachenlord hat Tür und Tor geöffnet für viele weitere Fälle dieser Art”, sagt Schwarzer. „Er hat ein Handbuch geliefert”, ein Handbuch des Cybermobbings. Was passiert, wenn der anonyme Hass aus dem Internet in die reale Welt schwappt, hat der Fall Rainer Winkler erstmals gezeigt. Ein Novum, ein Stück ungewollter Internetgeschichte.

Das Schanzenfest im August 2018 hatte Tausende Hater nach Altschauerberg getrieben. „Das war schon surreal”, sagt der BR-Digitalexperte Schmalzried. „Da stellt sich dann heraus, das sind wirklich echte Leute und jetzt sind die da plötzlich alle in Altschauerberg.” Und: „Was mich damals schon fasziniert hat, ist, wie breit der Querschnitt eigentlich ist.” Leute mit Kindern, Berufstätige, für die das einfach ein Hobby war, Schüler und Studenten – alle von der Sensationslust getrieben.

Im August war alles anders

Das Schanzenfest im August 2025 aber war anders. Rainer Winkler wurde plötzlich nicht mehr entmenschlicht, sondern als Popstar, als Kultfigur gefeiert. In Emskirchen verkaufte die zweite Generation sogar Fan-Artikel, schwenkte überlebensgroße Rainer-Winkler-Fahnen. „Baut die Schanze wieder auf”, skandierten die Teilnehmer. Die meisten jung, halbstark, erlebnisorientiert. Es hat sich etwas verändert. Nur was?

Diese Frage zu klären, gestaltet sich gar nicht so einfach. Medienpsychologen, Internetexperten, die Bürgermeisterin, Anwohner: Sie alle wollen nicht mehr darüber reden – aus Angst, wieder zur Zielscheibe der Hater zu werden. Denn wer sich zu Rainer Winkler geäußert hatte, wurde unweigerlich Teil des Drachengames. Und auf die Drohungen via E-Mail und Fax sowie die Pizzalieferungen als Markenzeichen der Hater-Schar können sie alle gerne verzichten.

Matthias Schwarzer vom RND aber hat sich getraut. Er spricht bei den neuesten Entwicklungen vom „Comeback des Drachenlords” auf der Plattform „TikTok”. Der Drachenlord wurde zum Meme, seine Videos wurden geremixt von der jüngeren Generation, parodiert. Denn, so sagt Schwarzer: „Der Drachenlord als Figur hat ja durchaus einen gewissen Comedyfaktor.” Seine unglücklichen Aussagen, der Dialekt. Und plötzlich hat sich um Rainer Winkler ein neuer Hype entwickelt, „ohne dass die Menschen tatsächlich wussten, was hinter diesem Fall steckt”, ist Matthias Schwarzer überzeugt. „Das TikTok-Publikum ist sehr jung. Die haben gar nicht mitbekommen, was mit ihm passiert ist.”

Von den „Level 0ern” und „TikTok-Dullies”

Das sorgt bisweilen für kuriose Blüten. Die Hater der ersten Generation, also der Mobber-Generation, distanzierten sich in den sozialen Medien nach dem Schanzenfest im August 2025 offen vom Nachwuchs, bezeichneten die Neuen als „Level 0er” – eine Anlehnung an den Amateurstatus im Drachengame. Alternativ hat sich der Begriff „TikTok-Dullies” eingebürgert. Manche der früheren Psychoterroristen fordern die zweite Generation gar auf, den Altschauerbergern doch endlich ihre Ruhe zu lassen. Schwarzer sagt dazu: „Die Original-Hater waren nicht wirklich begeistert von dem, was da lief.” Das deuten zumindest die Beiträge „in den dunklen Ecken des Internets” an.

Der RND-Experte sieht in den neuerlichen Schanzenfesten das „Comeback der sogenannten Facebook-Party”. Unsinnige Events wurden da erstellt, Geburtstagsfeiern von Wildfremden gekapert. Social-Media-Pilgertouren sozusagen. „Es ist gerade zu beobachten, dass so etwas auf TikTok passiert.” Als Beispiel nennt der Journalist die Treffen in den Parks der Großstädte, bei denen junge Menschen Pudding mit Gabeln löffelten. Das Motto lautet: „Die Welt ist so kompliziert geworden, wir machen hier jetzt eine Art Gegenbewegung.”

Die zweite Generation der Drachenlord-Besuchenden sei einfach anders, sagt Schwarzer: „Diese jungen Leute, die im Sommer da auf diesem Fest waren, würde ich persönlich nicht als Drachenlord-Hater bezeichnen. Wir sollten nicht eine Gruppe pauschalisieren. Ich habe keine Anlasspunkte gesehen, dass dieses Fest mit Hass behaftet war. Es ging nicht darum, den Drachenlord zu haten.” Keine Selbstjustiz mehr, eher eine Art Erinnerungsmarsch.

„Halligalli” und Social-Media-Videos

Rückendeckung für diese Meinung bekommt Matthias Schwarzer ausgerechnet von der Polizei. Marc Siegl, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, war im August in Altschauerberg dabei. Zwar hatte die Polizei damals bei weitem nicht mit 4000 Schanzenfest-Gästen gerechnet und einzelne Männer hätten dazu aufgerufen, die Polizeikette zu durchbrechen. Doch eine wirklich aufgeladene oder gar aggressive Stimmung konnte er trotzdem nicht feststellen.

Die Polizei habe ihr Ziel erreicht, die Menschen von der Schanze fernzuhalten. Der zweiten Generation sei es um „Halligalli” gegangen, um Videos, mit denen sie wirksam dokumentierten, dass sie dabei waren, bei einem der Schanzenfeste 2025, wobei die Winteredition wegen geringer Nachfrage und Dank der Polizei quasi ausfiel. „Die meisten waren zwischen 14 und 25 Jahren”, sagt Siegl. Die Generation TikTok eben.

Der Trend könnte kurzlebig sein

Matthias Schwarzer hat dann noch eine Prognose, welche die Verantwortlichen der Marktgemeinde Emskirchen, des Landratsamtes in Neustadt an der Aisch und der Polizei vermutlich gerne hören: TikTok ist eher für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne bekannt. Bedeutet: „Trends, die gestern noch total hip waren, können morgen auch schon wieder völlig uninteressant sein.” Das hoffen wohl auch die Altschauerberger.

So oder so bleibt der Fall Rainer Winkler einzigartig:. „Es gibt keine zweite Geschichte wie die des Drachenlords”, sagt BR-Experte Gregor Schmalzried. Und: „Man versteht diese Geschichte auch nur, wenn man Zuhause ist in der Internetkultur.” Geltungssucht, Aufmerksamkeitsdrang und die vermeintliche Sicherheit der Anonymität bilden dabei den sozialen Sprengstoff – auf beiden Seiten.

„Viele sind auf der Suche nach einer einfachen Erklärung dafür”, sagt Schmalzried. „Doch das Phänomen ist zu kompliziert, um es einfach zu erklären. Es ist wie so eine Serie, die vor ein paar Jahren mal lief, und die Zitate gibt es immer noch.” Der Drachenlord ist also nunmehr Kult und nicht mehr Hassobjekt. Schmalzried findet: „Das ist das Beste, was wir haben kriegen können, aus dieser ganzen Misere.”


Von ISABEL POGNER, ANNIKA SVITIL UND JOHANNES ZIMMERMANN
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