Trotz der vorzeitigen Abreise von US-Präsident Donald Trump und mangelnder Erfolge bei zentralen Streitthemen haben mehrere G7-Staaten ihren Gipfel in Kanada positiv bewertet. „Dieser G7-Gipfel ist weitaus erfolgreicher, als ich es am Anfang gedacht habe“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Kananaskis. Er verwies darauf, dass eine Einigung auf einvernehmliche Erklärungen zu sieben Themen gelungen sei. Der kanadische Premierminister Mark Carney als Gastgeber habe die Gruppe führender demokratischer Wirtschaftsmächte zusammengehalten, lobte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Selbst US-Präsident Donald Trump, der den Gipfel mit seiner vorzeitigen Abreise durcheinanderwirbelte und aus dem Flugzeug gegen Macron keilte, pries den Gipfel: „Ich habe es geliebt. Und ich denke, wir haben viel erledigt bekommen.“ Konkret nannte er dann aber nur die beim Treffen in den Rocky Mountains verkündeten Fortschritte bei seinem Handelspakt mit Großbritannien - was eigentlich aber nichts mit dem G7-Gipfel zu tun hat.
Die Nichtregierungsorganisation Oxfam warf den G7 mit Blick auf die Gipfelergebnisse dagegen vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Staatengruppe habe ihre Chance verpasst, Druck für Frieden im Nahen Osten zu machen, teilte Oxfam mit - und prangerte mangelnde Fortschritte bei Klimaschutz und Entwicklungshilfe an.
Was also kann die Staatengruppe nach dem Gipfel in den Rocky Mountains vorweisen - und was blieb auf der Strecke?
Was erreicht wurde:
Immerhin: Der erste G7-Gipfel in Trumps zweiter Amtszeit ist nicht in einem ganz großen Debakel geendet. Das klingt nach wenig, war aber vorab nicht ausgemacht angesichts der großen Differenzen zwischen dem US-Präsidenten und seinen Kollegen. Man erinnere sich daran, wie Trump in seiner ersten Amtszeit den Kanada-Gipfel der Gruppe von 2018 platzen ließ, indem er seine Zustimmung zur Abschlusserklärung nachträglich zurückzog. Ein Fiasko dieser Größenordnung konnte Gastgeber Carney vermeiden. Der Westen ist noch (zumindest eingeschränkt) gesprächsfähig.
Das ist auch deshalb wichtig, weil ein Großteil der Runde sich schon nächste Woche beim Nato-Gipfel in Den Haag wieder trifft, wo unter dem Druck Trumps ein neues Nato-Ziel für Verteidigungsausgaben beschlossen werden soll. Da geht es letztlich um nicht weniger als die Frage, ob die USA weiter als Schutzmacht für Europa bereitstehen.
Carney kann zumindest ein paar konkrete Ergebnisse vorweisen. Insgesamt sieben Erklärungen verabschiedeten die G7-Chefs, beispielsweise zum Kampf gegen irreguläre Migration und Schleuser. Konkret geht es etwa darum, die Jagd auf Schleuserbanden durch eine noch bessere Überwachung von Geldflüssen zu intensivieren.
Mit einem neuen Aktionsplan für kritische Mineralien wollen die G7-Staaten ihre Abhängigkeit von autoritären Rohstoffmächten wie China verringern und eigene Lieferketten für strategisch wichtige Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder seltene Erden absichern. Und beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz wollen die G7 eine Vorreiterrolle einnehmen – nicht nur für wirtschaftliches Wachstum, sondern auch für gesellschaftlichen Nutzen.
Allerdings: Es handelt sich überwiegend um wenig strittige Themen und Vereinbarungen mit überschaubarer Tragweite. Die richtig heißen Eisen wurden ausgeklammert.
Eine der sieben Erklärungen war eine echte Überraschung: die gemeinsame Positionierung zum Krieg zwischen Israel und dem Iran. Zumindest bei einem der aktuell brisantesten geopolitischen Themen konnte die Runde eine gemeinsame Linie finden: Bekenntnis zum Selbstverteidigungsrecht Israels, Aufruf zum Schutz von Zivilisten - und das Diktum, der Iran dürfe niemals eine Atombombe besitzen. Allerdings: Der Text gibt keinerlei Hinweise, wie ein Ausweg aus der Eskalation gefunden werden könnte. Und Trump lässt nicht nur die G7, sondern die ganze Welt im Unklaren, ob er an der Seite Israels in den Krieg eingreifen will.
Was nicht erreicht wurde:
Beim Ukraine-Krieg ziehen Trump und die Europäer weiterhin nicht an einem Strang. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste eigens nach Kanada, um gemeinsam mit den europäischen G7-Staaten auf Trump einzuwirken. Sie wollen, dass dieser den Druck auf Moskau erhöht und neue US-Sanktionen billigt. Doch als die G7-Chefs am Dienstag mit Selenskyj zusammensaßen, war Trump längst abgereist.
Allerdings zeigt sich Kanzler Merz zuversichtlich, dass es schon bald Bewegung geben könnte: „Ich gehe mit dem vorsichtigen Optimismus zurück nach Deutschland, dass es auch in Amerika in den nächsten Tagen hier Entscheidungen geben wird, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen.“ Kanada und Großbritannien haben bereits weitere Strafmaßnahmen angekündigt, die EU arbeitet derzeit am mittlerweile 18. Paket.
Ein Durchbruch im Zollstreit ist weiter nicht in Sicht. Die in der EU zuständige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach zwar in Kanada mit Trump über das Thema, konkrete Fortschritte konnte sie aber nicht verkünden. Etwas Optimismus verbreitete lediglich Kanzler Merz. Er zeigte sich zuversichtlich, dass es bis zum 9. Juli zumindest einen begrenzten Deal mit den USA geben kann - etwa für ausgewählte Bereiche wie die Autoindustrie. Wenn bis zum 9. Juli keine Einigung erzielt wird, greifen nach derzeitigem Stand neue hohe US-Zölle auf fast alle Exporte aus der EU in die Vereinigten Staaten - und die EU würde ihrerseits mit Zöllen auf Einfuhren aus den USA antworten.
Trump begann den Gipfel schon mit einer Provokation, als er erneut den Ausschluss von Kremlchef Wladimir Putin aus der G8 nach der Annexion der ukrainischen Krim 2014 kritisierte. Die Stunden, die er beim Gipfel dabei war, blieben dann zwar ohne Eklat - doch dieses Maß an Gemeinsamkeit wurde durch sein nachträgliches Austeilen gegen Macron prompt wieder relativiert.
Und mit seiner vorzeitigen Abreise entstand der Eindruck, dass er dem Format G7 als Forum der westlichen Wirtschaftsmächte wenig Bedeutung zumisst - wobei aber erwähnt werden muss, dass auch andere G7-Chefs in der Vergangenheit schon früher von Gipfeln abreisten. Aber ein Signal der Geschlossenheit ging damit von diesem Gipfel eher nicht aus.
Schon vorab war auf eine umfassende gemeinsame Abschlusserklärung verzichtet worden, um ein Scheitern zu verhindern. Das unterstreicht: Bei den großen Streitthemen finden die G7 keine gemeinsame Linie.
Manche Themen, bei denen die G7-Staaten in der Vergangenheit wichtige Akzente setzten, fanden gar nicht erst statt, weil mit Trump ohnehin keine Einigkeit zu erzielen wäre. So etwa die Entwicklungshilfe - die in den USA dafür zuständige Behörde war unter Trump kurzerhand eingestampft worden. Und obwohl die G7-Teilnehmer sich in einer Erklärung zutiefst besorgt zeigen über die „rekordverdächtigen Waldbrände“ in den vergangenen zehn Jahren, wird der Klimawandel als ein wichtiger Faktor auf Druck der USA nicht erwähnt. Beide Themen gehörten bei früheren Gipfeln zum Pflichtprogramm der G7.
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