Die gute Nachricht vorab: „Eine Depression - auch wenn sie sich hartnäckig gestaltet - ist eine gut behandelbare Krankheit“, sagt Prof. Mazda Adli. Er leitet an der Berliner Charité den Forschungsbereich Affektive Störungen.
Fällt also im Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin das Wort „therapieresistent“, heißt das nicht, dass gegen die Depression nichts mehr unternommen werden kann. Denn von einer therapieresistenten Depression ist in der Medizin bereits die Rede, wenn zwei verschiedene Antidepressiva in ausreichender Dosierung über vier bis sechs Wochen nicht zu einer Besserung geführt haben.
„Es ist ganz wichtig klarzumachen, dass therapieresistent nicht bedeutet, dass man nicht therapierbar ist, sondern, dass die Krankheit einfach hartnäckig ist“, sagt Mazda Adli. Und ein hartnäckiger Verlauf sei gar nicht selten. Etwa ein Drittel der Patientinnen und Patienten mit Depressionen würde, so Adli, auf zwei Behandlungen mit Medikamenten erst einmal nicht ansprechen.
„Die Patienten, ihre Angehörigen aber auch die Ärzte brauchen dann bei der Behandlung einen langen Atem und viel Geduld.“ Doch: Es gäbe viele Möglichkeiten, Menschen mit einer Depression zu helfen, auch wenn die ersten Medikamente und vielleicht der erste psychotherapeutische Versuch nicht angeschlagen hätten.
Falls sich eine Depression durch die bewährten Behandlungsmethoden nicht verbessert, wird mit einem klar geregelten Stufenplan weitergearbeitet und darüber hinausgeblickt, bis es besser wird.
In Leitlinien für die medikamentöse und therapeutische Behandlung von Depressionen ist festgehalten, welche Möglichkeiten es gibt. Dazu gehören etwa eine Elektrokrampftherapie (EKT) oder eine repetitive transkraniellen Magnetstimulation (rTMS). Bei der EKT wird durch eine kurze elektrische Reizung des Gehirns ein epileptischer Krampfanfall ausgelöst. Bei der rTMS hingegen werden Nervenzellen in einigen Hirnbereichen von außen mithilfe eines Magnetfelds stimuliert.
Beide Methoden der Hirnstimulation sind erprobt. Jedoch liegt bei der rTMS weniger Evidenz vor, also weniger wissenschaftliche Erkenntnisse, dass sie bei einer therapieresistenten Depression helfen kann. Daher wird bislang nur die EKT von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.
Andrea Jungaberle ist Notfallmedizinerin und Anästhesistin und forscht zum Thema Bewusstseinserweiterung - auch bei der Behandlung von Depressionen. Sie betont, dass es wichtig sei, den Patienten mit der Einordnung „therapieresistent“ nicht allein zu lassen und gemeinsam nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten zu suchen.
Viele - so auch Jungaberle - sehen neue Hoffnung für die Depressionsbehandlung in Substanzen, die bisher eher als Drogen bekannt sind.
Dazu gehört etwa Esketamin. Das ist eine Form von Ketamin, das seit langem als Narkosemittel verwendet wird und als Partydroge „Special K“ bekannt ist. In Deutschland wird Esketamin inzwischen als Nasenspray für die kurzfristige Notfallbehandlung schwerer Depressionen und die Behandlung der therapieresistenten Depression eingesetzt.
Prof. Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) leitet eine Studie, in der die antidepressive Wirkung von Psilocybin untersucht wird. Das ist ein Wirkstoff aus halluzinogenen Pilzen. Im ZI und in der Charité Berlin erhalten 144 Patientinnen und Patienten mit behandlungsresistenter Depression unter Aufsicht diese Substanz. Psychotherapeuten bereiten die Probanden auf die Erfahrung vor und arbeiten anschließend das Erlebte in Sitzungen auf.
Gründer betont, dass man eine solche Behandlung nicht mit einem Drogen-Selbstexperiment vergleichen könne: „In Holland sind psilocybin-haltige Trüffel legal und man kann sie dort im Laden kaufen. Es ist aber keineswegs eine Behandlung, so eine Substanz einmal einzunehmen. Man muss dies in einem Behandlungskontext gut vor- und nachbereiten.“
Auch Mazda Adli betont, dass es wichtig sei, solche Substanzen unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen, da sie zu einer Art Entfremdungserleben führen könnten. „Einige Menschen erleben dabei dissoziative Erfahrungen. So haben manche nach der Einnahme das Gefühl, dass sie durch den Raum schweben, dass sich Farben ändern oder die Intensität von Geräuschen. Manche finden das auch gar nicht unangenehm, andere schon und manche Menschen merken einfach gar nichts.“
Gründer erklärt, dass es in klinischen Studien zu diesen alternativen Behandlungsmethoden zunächst lediglich um eine mögliche Zulassung gehe. Erst danach würde entschieden, ob die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Behandlung übernehmen.
„Man muss ein bisschen die Euphorie dämpfen“, sagt Gerhard Gründer. „In den Medien werden die Psychedelika - zumindest in manchen Artikeln - als Allheilmittel gepriesen.“ Aber es gebe bereits jetzt eine Menge Antidepressiva, die verfügbar und wirksam seien. „Aber am Ende sind Psychedelika einfach eine sehr sinnvolle und wahrscheinlich auch aussichtsreiche Ergänzung unserer Therapiemöglichkeiten.“
Andrea Jungaberle beobachtet, dass Deutschland im internationalen Vergleich mit seiner Forschung sehr spät sei. „In der Schweiz läuft es schon wesentlich länger und auch in Großbritannien, Holland und Tschechien gibt es Studien. Deutschland ist jetzt Gott sei Dank auf den Zug aufgesprungen, aber wir sind circa fünf bis zehn Jahre hinterher.“
Auch Mazda Adli findet, dass es in der Depressionsbehandlung Innovationen brauche. „Wir brauchen Neu- und Weiterentwicklungen bei Antidepressiva. Eine Depression ist eine sehr häufige Erkrankung. Ein bestimmtes Antidepressivum hilft nicht jedem und die Behandelbarkeit gewinnt natürlich mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Optionen.“
Eine Psychotherapie gehöre bei einer hartnäckigen Depression immer dazu. Darüber hinaus würden Sport, ein ausgeglichener Tag-und-Nacht-Rhythmus und das Erlernen von selbstfürsorglichem Verhalten die Behandlung unterstützen.
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