Die Deutsche Bahn (DB) muss die milliardenschweren Mehrkosten des Bahnprojekts Stuttgart 21 alleine tragen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies am Dienstag die Klagen mehrerer Gesellschaften der Bahn gegen das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, den Verband Region Stuttgart und den Flughafen Stuttgart ab.
Mit den Klagen wollte die DB erreichen, dass sich die Projektpartner finanziell an den Mehrkosten für die Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens beteiligen. Die Klagen seien teils unzulässig und teils zulässig, aber unbegründet, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern bei der Urteilsverkündung. Die Deutsche Bahn will rechtliche Schritte gegen das Urteil prüfen.
Mit der Niederlage vor dem Stuttgarter Gericht dürften auf die Bahn Milliardensummen zukommen. Der Konzern, der offiziell Bauherr von Stuttgart 21 ist, beziffert die Gesamtkosten für das Projekt derzeit auf rund 11 Milliarden Euro und hat zusätzlich einen Puffer von 500 Millionen Euro einkalkuliert. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist jedoch nur die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt. Die Mehrkosten von derzeit mindestens 6,5 Milliarden Euro dürften nach dem Urteil nun bei der Bahn hängen bleiben.
Zentral für das Verfahren war die Auslegung einer sogenannten Sprechklausel im 2009 geschlossenen Finanzierungsvertrag für das Projekt. Diese war für den Umgang mit möglichen Kostensteigerungen vereinbart worden. Darin heißt es: „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) und das Land Gespräche auf.“
Was mit der Klausel genau gemeint ist, war zwischen den S21-Partnern aber höchst umstritten. Die Deutsche Bahn betonte immer wieder, dass sie von einer „gemeinsamen Finanzierungsverantwortung“ ausgehe. Die restlichen Partner sahen das anders und pochten darauf, dass Festbeträge vereinbart worden seien. Die Klausel verpflichtet ihrer Ansicht nach lediglich zu Gesprächen.
Zu dieser Ansicht kommt auch das Gericht. Die Projektpartner hätten im Falle von Mehrkosten ausdrücklich die Aufnahme von Gesprächen verabredet, sagt der Vorsitzende Richter. Daraus könne keine Verhandlungspflicht oder gar ein Anspruch auf Vertragsanpassung abgeleitet werden. Mit der Klausel hätten die Vertragspartner nach Ansicht des Gerichts keine verbindliche Regelung für die Vereinbarung weiterer Finanzierungsbeiträge treffen wollen, so Kern.
Man bedauere das Urteil, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn nach der Verkündung. Man sehe nach wie vor eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung für Stuttgart 21. Die Bahn will nun prüfen, ob sie gegen das Urteil vorgeht. „Wir werden die schriftliche Begründung ganz genau prüfen und dann entscheiden, ob wir Rechtsmittel einlegen.“
Eine direkte Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim ließ das Verwaltungsgericht nicht zu. Die Bahn könne aber innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils einen Antrag auf Zulassung der Berufung zum VGH stellen, so ein Gerichtssprecher. Über diesen Antrag würde dann der VGH entscheiden.
Zu möglichen finanziellen Auswirkungen des Urteils wollte der Bahnsprecher am Dienstag nichts sagen. Der Anwalt des Konzerns hatte aber bereits beim letzten Verhandlungstermin betont, die Bahn sei finanziell „nicht auf Rosen gebettet“.
Das Projekt drohe „endgültig zum Fiasko für die Schiene in Deutschland zu werden“, urteilte der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastel. Deutschland brauche eine sanierte und ausgebaute Schiene. „Deshalb dürfen keine dringend notwendigen Sanierungs-, Aus- und Neubauvorhaben aufgrund der finanziellen Mehrbelastungen zurückgestellt werden“, forderte der Politiker.
Bei den Projektpartnern herrschtedagegen Freude und Genugtuung. „Heute wurde gerichtlich bestätigt, was wir seit Jahren sagen: Die Bahn ist als Projektträgerin für die Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 alleine verantwortlich“, ließ Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) per Pressemitteilung verkünden. Man sehe sich durch das Urteil bestätigt, sagte auch Alexander Lahl, Regionaldirektor des Verbands Region Stuttgart. Auf das Land wären im Falle einer Niederlage vor Gericht Mehrkosten in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro zugekommen. Die Stadt hatte im Vorfeld gewarnt, bei einer Beteiligung müssten Investitionen auf längere Zeit eingestellt werden.
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