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Veröffentlicht am 07.03.2024 06:35

Wichtige Entscheidung im Streit AfD gegen Verfassungsschutz

Für die mündliche Berufungsverhandlung im Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz hat sich das Gericht erneut gegen den größten Sitzungssaal und für die große Halle entschieden. (Foto: Guido Kirchner/dpa)
Für die mündliche Berufungsverhandlung im Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz hat sich das Gericht erneut gegen den größten Sitzungssaal und für die große Halle entschieden. (Foto: Guido Kirchner/dpa)
Für die mündliche Berufungsverhandlung im Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz hat sich das Gericht erneut gegen den größten Sitzungssaal und für die große Halle entschieden. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Ist die AfD ein rechtsextremistischer Verdachtsfall? Und die Jugendorganisation der Partei, die Junge Alternative (JA), auch? Das Verwaltungsgericht in Köln hat diese Beurteilung durch den Nachrichtendienst in der Vorinstanz so bestätigt. Jetzt ist das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) an der Reihe. In einer Berufungsverhandlung klären die obersten NRW-Verwaltungsrichter am 12. und 13. März, ob die Einschätzung des BfV rechtens ist. Weil das Bundesamt seinen Sitz in Köln hat, sind die Gerichte in NRW zuständig.

Für die AfD, die aktuell von Alice Weidel und Tino Chrupalla geleitet wird, kommt der Termin in Münster zur Unzeit. Zwar ist man sich in der Parteispitze sicher, dass eine Niederlage vor dem OVG für die Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen keine große Hypothek darstellen würde. Denn ein Großteil ihrer dortigen Anhängerschaft kauft das Narrativ der AfD, die sich als Opfer eines übergriffigen Staatsapparats inszeniert, der vermeintlich die freie Meinungsäußerung zensieren will.

Vertrauen in Verfassungsschutz im Westen insgesamt größer

Probleme macht das Verfahren der AfD dennoch, weil das viele Menschen im Westen der Bundesrepublik, wo mit der Europawahl am 9. Juni auch ein Urnengang ansteht, anders sehen. Außerdem könnte die Verhandlung die alten Grabenkämpfe zwischen dem immer kleineren Teil der Partei, der auf Mäßigung dringt, und den Radikalen, die eine solche Einschätzung durch den Verfassungsschutz quasi als Auszeichnung begreifen, aufbrechen lassen. Auch einige der rechten Parteien im Ausland, mit denen die AfD im neuen Europaparlament gerne gemeinsame Sache machen würde, dürfte der Ausgang des Verfahrens interessieren.

In Thüringen, wo der AfD-Landeschef Björn Höcke heißt, und in Sachsen werden die jeweiligen Landesverbände der AfD von den dortigen Verfassungsschutzämtern bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet. Die AfD-Brandenburg gilt als Verdachtsfall.

Berge von Akten

Das Mammutverfahren beschäftigt den zuständigen 5. Senat des OVG seit Monaten. Zwar werden die Akten der drei Verfahren heute vollständig digital geführt. Dennoch ist der Umfang riesig. Nach Angaben einer Sprecherin umfassen die Gerichtsakten insgesamt rund 15.000 Seiten. Davon sind etwa 9500 Seiten aus der Berufungsinstanz am OVG. Die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden von 275 Aktenordnern gehalten und am OVG in einem abgetrennten Raum gelagert. Zur mündlichen Verhandlung werden die Beteiligten jeweils ihre eigenen Kopien mitbringen. So verdreifacht sich die Zahl der im Verhandlungssaal bereitzuhaltenden Aktenberge.

Das NRW-Oberverwaltungsgericht hatte in den 75 Jahren seines Bestehens immer wieder vergleichbare Großverfahren mit gesellschaftspolitischer Brisanz. So wurde zum Schnellen Brüter in Kalkar verhandelt, den Atomkraftwerken Hamm-Uentrop und Würgassen, zum Atomzwischenlager Ahaus, zu Steinkohle-Kraftwerken oder über den Braunkohletagebau Garzweiler, den Flughafen Düsseldorf, zur Beobachtung von Politikern oder auch von Scientology durch den Verfassungsschutz. Wegen der begrenzten räumlichen Möglichkeiten ist das NRW-Oberverwaltungsgericht dann auf Gebäude der Universität, Polizei, Bezirksregierung, die Halle Münsterland, Tagungsräume eines Hotels und auch - wie jetzt im März - auf die Eingangshalle des OVG ausgewichen. Wegen der hohen Zahl an Verfahrensbeteiligten, Zuschauern und 95 angemeldeten Journalisten wird im März wieder in der Halle verhandelt.

Letzte Tatsacheninstanz

Es gebe ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD, hatte es zur Begründung in Köln geheißen. Auch im Fall der JA blieb die Klage der Partei im Jahr 2022 ohne Erfolg. In dem seit Jahren andauernden Konflikt zwischen der AfD und dem Bundesamt ist das Oberverwaltungsgericht die letzte Tatsacheninstanz. Das bedeutet: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als mögliche nächste und letzte Instanz nimmt nur noch eine reine Rechtskontrolle vor. Die Aufklärung des Sachverhalts durch ein Gericht sowie Beweisanträge durch die AfD oder das Bundesamt sind nur bis zum OVG möglich.

Dass sich die AfD gegen die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts juristisch zur Wehr setzt, hat keine aufschiebende Wirkung, was die Beobachtung der Partei angeht. Das heißt, dass der Verfassungsschutz in den vergangenen Monaten bereits unter Verwendung nachrichtendienstlicher Mittel wie Observation und das Anzapfen von Informanten (sogenannte V-Leute) erforschen durfte, um herauszufinden, ob sich der Extremismus-Verdacht erhärtet oder nicht.

Ob und in welchem Umfang das Bundesamt von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, ließ die Bundesregierung in einer Antwort auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion offen. „Die erbetenen Informationen berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass auch das geringfügige Risiko eines Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann, heißt es in der Antwort.

Dass der Verfassungsschutz in seinem nächsten Gutachten zu dem Schluss kommen wird, dass die AfD eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung ist, wäre nicht überraschend. Schließlich sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang auch öffentlich, dass er die Partei kontinuierlich auf dem Weg „nach rechtsaußen“ sieht.

Dass seine Behörde noch kein neues Gutachten vorgelegt hat, hängt sicher auch damit zusammen, dass das BfV erst die Entscheidung des OVG abwarten möchte. Um diese neue Bewertung geht es aber jetzt in Münster noch nicht. Die Frage der Berufungsverhandlung dreht sich um die Bewertung als Verdachtsfall, also eine Stufe darunter.

Stufenmodell

Das Stufenmodell des Bundesamtes für Verfassungsschutz sieht zuerst den Prüf-, dann den Verdachtsfall und dann die Feststellung vor, dass das zu beobachtende Objekt eine gesichert extremistische Bestrebung ist. Bei der Jugendorganisation der AfD, der jungen Alternative, ist das Bundesamt bereits auf der dritten Stufe angekommen. Sie wird als gesichert extremistische Bestrebung bewertet. Das Verwaltungsgericht Köln hatte diese Sicht am 5. Februar 2024 bestätigt. Diese Frage ist jetzt aber nicht Teil des Berufungsverfahrens am OVG.

Dreh- und Angelpunkt aller Fragen ist eine Vorschrift im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zum sogenannten Personenzusammenschluss. Inwieweit dieser Punkt auch auf Parteien und ihre Jugendorganisationen anzuwenden ist, wird nach Angaben von Gerichtssprecherin Gudrun Dahme voraussichtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein. Aus diesem Gesetz ergibt sich auch, wann der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über seine Erkenntnisse informieren muss und wann er zum Beispiel auch verdeckt mit Vertrauensleuten arbeiten darf. Bei der ersten Stufe, dem Prüffall, ist nur die Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen erlaubt.

Sollte das OVG die Entscheidung aus der Vorinstanz bestätigen, ändert sich laut Erläuterung von OVG-Sprecherin Gudrun Dahme an der aktuell geltenden Situation für den Verfassungsschutz nichts. Der Inlandsgeheimdienst würde die AfD dann weiter als Verdachtsfall beobachten, so wie seit dem 10. März 2022. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag der Partei zu der Frage abgewiesen.

Am Verwaltungsgericht in Köln hatte Richter Michael Huschens in der Vorinstanz schon vor seinem Urteil verdeutlicht, worum es geht. Der Verfassungsschutz sei ein „Frühwarnsystem“, hatte Huschens gesagt. „Wenn man ein Erdreich hat, das nach Öl riecht, kann man Probebohrungen vornehmen“, sagt er. Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht warten, bis „das Kind in den Brunnen“ gefallen sei.

© dpa-infocom, dpa:240307-99-248004/2


Von dpa
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