Ob per Videoberatung oder am Telefon: „Seit dem Amoklauf in Graz laufen unsere Leitungen heiß“, sagt Oliver Bayer von der österreichischen Notrufnummer „Rat auf Draht“, einem Pendant zu der deutschen „Nummer gegen Kummer“. Sowohl Kinder als auch Eltern bitten um Beratung, wie sie mit dem Thema und ihrer Angst umgehen sollen.
„Wie sollte ich mit meinem Kind über den Amoklauf mit elf Toten reden?“, sei eine häufige Frage. Sein wichtigster Rat: „Versuchen Sie, das Ereignis nicht zu verheimlichen.“ Das würde nur Unsicherheit und noch mehr Angst erzeugen. Beim Kind würde das Gefühl bleiben: Meine Eltern sagen mir nicht die Wahrheit. Eltern sollten sich bewusst sein, dass das Kind das Ereignis ohnehin mitbekommt.
Wenn kleinere Kinder mit einem reden wollen, sei ein guter Einstieg ins Gespräch, wenn man zuerst zurückfragt: Was weißt Du denn schon darüber? Was hast Du gehört? Dann spricht man faktenbasiert, kindgerecht und ehrlich über das Ereignis - ohne zu beschönigen und ohne zu dramatisieren. Mit älteren Kindern und Jugendlichen sollte man die Berichterstattung gemeinsam hören oder schauen und dann darüber sprechen.
Eine weitere häufige Frage an der Notrufhotline ist: Könnte so ein Amoklauf auch an meiner Schule passieren? „Bei der Antwort sollte man ruhig ehrlich antworten und bei den Fakten bleiben“, so Oliver Bayer. Etwa so: „Das gab es zuvor in Österreich noch nie. So ein Ereignis ist eine Ausnahme, passiert sehr selten. Wir sind immer noch ein sicheres Land.“
Allerdings rät er, die Ängste des Kindes ernst zu nehmen. Jedes Kind geht damit anders um, daher seien alle Gefühle erlaubt: Trauer, Angst, Wut, Frustration, Ärger - alles darf sein und sei auch völlig normal. Was überhaupt nicht hilfreich sei, ist das Thema herunterzuspielen unter dem Motto: „Ach geh, das war doch in Graz, weit weg.“
Stattdessen helfe es nachzufragen, wie es dem Kind geht, so Bayer. Er rät: „Lassen Sie Ihr Kind auch selbst sagen, was es gerade braucht, um sich besser zu fühlen. Und beantworten Sie Fragen wahrheitsgemäß. Wenn Sie etwas selbst nicht beantworten können, ist das keine Schande. Sagen Sie ehrlich: Das weiß ich auch nicht, kann mich aber schlaumachen.“ Dabei gelte, ruhig auch zu zeigen, dass man selbst betroffen ist, und erklärt: Auch mich beschäftigt das. „Ängste zu verstecken, erzeugt nur Unsicherheit“, so Oliver Bayer.
Der Experte hat noch einen weiteren Tipp: „Wenn man über das Ereignis spricht, sollte man bei den Fakten bleiben und keine Gerüchte, die etwa auf Social Media kursieren, verbreiten.“ Auch rät Bayer, nicht groß und breit über den Täter zu sprechen - da dieser einkalkuliert habe, dass die Tat entsprechend nachwirkt. Da reiche es, zu sagen: „Wir kennen die Hintergründe nicht, wissen nicht, was ihn bewegt hat.“
Es seit zwar wichtig, wenn sich Kinder in kindgerechten Nachrichtensendungen oder Webseiten über das Ereignis informieren. „Aber auch bewusste Nachrichtenpausen von Tablet, TV und Co. sollten eingelegt werden“, rät der Experte. Er schlägt gemeinsame Spaziergänge im Wald, Brettspiele oder Besuche im Schwimmbad vor. „Das bringt Entlastung von den „schweren Gefühlen”. Wenn die länger anhalten, sollte man sich aber auch nicht scheuen, sich fremde Hilfe zu holen.“
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