Daa-dam, Daa-dam: 50 Jahre „Der weiße Hai“ | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 16.06.2025 08:07

Daa-dam, Daa-dam: 50 Jahre „Der weiße Hai“

Die Schauspieler Richard Dreyfuss (links) als Meeresbiologe und Robert Shaw (rechts) als Haifänger Quint in einer Szene des Film „Der weiße Hai“ von Universal. Zum 50. Leinwandjubiläum bringt Universal Pictures den Film dieses Jahr auch in ausgewählte Kinos zurück. (Foto: Universal Pictures/dpa)
Die Schauspieler Richard Dreyfuss (links) als Meeresbiologe und Robert Shaw (rechts) als Haifänger Quint in einer Szene des Film „Der weiße Hai“ von Universal. Zum 50. Leinwandjubiläum bringt Universal Pictures den Film dieses Jahr auch in ausgewählte Kinos zurück. (Foto: Universal Pictures/dpa)
Die Schauspieler Richard Dreyfuss (links) als Meeresbiologe und Robert Shaw (rechts) als Haifänger Quint in einer Szene des Film „Der weiße Hai“ von Universal. Zum 50. Leinwandjubiläum bringt Universal Pictures den Film dieses Jahr auch in ausgewählte Kinos zurück. (Foto: Universal Pictures/dpa)

Als vor 50 Jahren „Der weiße Hai“ herauskam, war die deutsche Kinolandschaft noch nicht von großen Multiplex-Centern, sondern von vielen kleineren „Lichtspielhäusern“ geprägt. Wichtige Werbeträger waren Plakate und Szenenfotos, die im Eingangsbereich eines jeden Kinos in Glaskästen ausgestellt waren. 

Das Plakat von „Der weiße Hai“ gehört zu den einprägsamsten überhaupt: ein gigantischer Hai-Kopf mit geöffnetem Maul unter einer schwimmenden Frau. 

Zum 50. Leinwandjubiläum (Kinostart in den USA war am 20. Juni 1975, in Westdeutschland jedoch erst im Dezember '75) bringt Universal Pictures den Film dieses Jahr auch in ausgewählte Kinos zurück.

In Kombination mit den veröffentlichten Szenenbildern konnte man sich vor 50 Jahren die Schrecken des Films als westdeutsches Grundschulkind lebhaft ausmalen. Der Besuch des Films war natürlich unmöglich - es gab eine Altersbeschränkung ab 16 - aber die Bilder setzten ein Kopfkino in Gang. 

Dies führte dazu, dass man täglich sowohl auf dem Hinweg als auch auf dem Rückweg von der Schule längere Verweil-Pausen vor dem Kino einlegte.

Ohne es zu wissen, kam man der Quintessenz des Films damit schon sehr nahe: Denn in den ersten 80 Minuten ist der Hai selbst kaum zu sehen. Der damals erst 28-jährige Regisseur Steven Spielberg setzte auf eine altbekannte Erkenntnis des Horror-Genres: Angst wird nicht durch das erzeugt, was man sieht, sondern durch das, was man erahnt. 

Daa-dam. Daa-dam. Da-dum da-dum da-dum da-dum.

Dementsprechend beschränkte er sich weitgehend auf Andeutungen, etwa durch die Musik von John Williams mit dem alarmierenden Daa-dam, Daa-dam. Oder durch Unterwasseraufnahmen aus der Perspektive des Hais. 

Eine der besten Szenen ist die, in der ein ganzer Anglersteg durch die Kraft des Riesenfischs abgerissen wird und ins Meer schnellt - sich dann plötzlich umdreht und auf einen ins Wasser gestürzten Angler zurast. Auch hier ist von dem Monster selbst nichts zu sehen.

Dieses Stilelement macht den Reiz des Films wesentlich aus – genutzt wurde es allerdings großenteils aus reiner Verlegenheit. Die siebeneinhalb Meter lange, sündhaft teure mechanische Hai-Attrappe, die für den Film gebaut worden war (nebst zwei kleineren), funktionierte nämlich nicht. 

„Bruce“, wie Spielberg das Modell nach seinem Anwalt nannte, versank zu Beginn der Dreharbeiten gluckernd im Meer. „Der Schwanz schaute aus dem Wasser und wedelte wie Flipper“, erinnerte sich Spielberg später in einem TV-Interview. 

„Es gab noch eine Explosion, und die ganzen pneumatischen Kabel flogen herum wie Schlangen. Dann wurde es still. Es gab einen letzten Rülpser aus Blasen, und das war das letzte Mal, dass wir den Hai sahen - für ungefähr drei Wochen.“ 

Nun musste er also einen Hai-Film ohne Hai drehen. Und als er ihn irgendwann wieder bekam, schielte er, und der Kiefer schloss nicht richtig. Spielberg befürchtete, dass „Bruce“ zur Lachnummer werden würde, und entschloss sich deshalb, ihn so wenig wie möglich zu zeigen. 

Spielberg befürchtete einen Riesen-Flop

Damit nicht genug der Schwierigkeiten: Ungefähr in der Mitte des Films verlagert sich die Handlung von der Küste aufs offene Meer. Einen längeren Dreh auf See hatte bis dahin aber noch niemand gewagt - aus gutem Grund, wie sich zeigte. 

 

Die Arbeiten im Sommer 1974 vor der Ostküsten-Insel Martha’s Vineyard erwiesen sich als ungeheuer nervenaufreibend. Nicht nur, dass die Schauspieler seekrank wurden. Es war Regatta-Saison, was dazu führte, dass ständig irgendein Segelboot am Horizont auftauchte.

Und dann musste der Dreh jedes Mal ausgesetzt werden, schließlich sollte es auf der Leinwand so aussehen, als finde der Endkampf mit dem Hai in der Einsamkeit des Ozeans statt. Die Möglichkeit, ein Boot aus dem Hintergrund wegzuretuschieren, gab es damals technisch noch nicht. 

So verdreifachte sich die Zahl der Drehtage ebenso wie die Kosten. Er sei überzeugt gewesen, dass dies das Ende seiner Karriere bedeuten würde, sagt Spielberg im Rückblick in einer Dokumentation von „National Geographic“. „Ich hatte danach noch jahrelang Alpträume. Ich war dann immer noch am Set und der Dreh würde nie zu Ende gehen.“

Tatsächlich spielte „Der weiße Hai“, der in den USA im Juni seinen Kinostart hatte, seine Produktionskosten x-fach wieder ein, er wurde der bis dato erfolgreichste Film der Kinogeschichte. 

Im Rückblick gilt „Jaws“ (Kiefer) - wie der Film im Original heißt - als Geburtsstunde des Sommer-Blockbusters. Es ist heute nahezu vergessen, dass es bis dahin oft geheißen hatte, Kinos hätten keine Zukunft mehr – man könne sich Filme ja auch im Fernsehen anschauen. 

„Der weiße Hai“ läutete eine neue Ära von kostspieligen Hollywood-Produktionen ein, die mit einem bis dahin beispiellosen Werbeaufwand lanciert wurden und einen Teil ihrer Erlöse aus dem Merchandising bezogen. Sie zu sehen, wurde zum Erlebnis stilisiert, das nur auf der großen Kinoleinwand in der Gemeinschaft mit vielen anderen möglich war.

Heute scheint der Film die Trump-Ära vorwegzunehmen

Auch heute, nach einem halben Jahrhundert, funktioniert der Thriller noch. Eine der drei Hauptfiguren, der bärbeißige Hai-Jäger Quint, wirkt durch die Brille von 2025 wie ein Menetekel der Trump-Ära: Er lehnt die Wissenschaft des Meeresbiologen Matt Hooper ab und verspottet ihn als verwöhnten Städter.

Während der Hai-Jagd steigert er sich in Rache-Fantasien hinein und bricht mutwillig jeden Kontakt zur Außenwelt ab. Durch sein verantwortungsloses Verhalten bringt er das Boot zum Sinken – wofür er selbst mit dem Leben bezahlt. 

Der eigentliche Unsympath ist jedoch der Bürgermeister des Badeortes, der die Strände aus Profitgier um jeden Preis offen halten will. Der kommunistische kubanische Staatschef Fidel Castro bezeichnete den „weißen Hai“ deshalb als „wunderbare Parabel auf die Korrumpiertheit des Kapitalismus“. 

Urängste aktiviert

Die vielleicht nachhaltigste Wirkung hat der Film dadurch entfaltet, dass er bei zahllosen Menschen Urängste vor dem Schwimmen im Meer aktivierte. Es ist die Paranoia, nicht zu wissen, was sich unter der Wasseroberfläche befindet.

„Sehen Sie sich diesen Film an, bevor Sie schwimmen gehen“, hieß es in der Werbung. Zugleich wurden Haie, insbesondere Weiße Haie, dämonisiert, was zur Dezimierung der Bestände beitrug. 

In den vergangenen Jahren hat sich das Bild glücklicherweise gewandelt, auch dies unter Einwirkung der Medien: Millionenfach geteilte Filme in den sozialen Netzwerken zeigen Taucherinnen und Taucher, die ohne Schutz mit Weißen Haien schwimmen und diese sogar berühren. 

Hier wird deutlich, dass Steven Spielbergs Killerfisch kaum realer ist als der T-Rex aus „Jurassic Park“, den er 20 Jahre später auf die Leinwand brachte. Den Monstern ist er treu geblieben - aber einen Film auf dem Wasser hat er nie wieder gedreht.

© dpa-infocom, dpa:250616-930-674786/1


Von dpa
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