Als vor 35 Jahren die Mauer fiel, ließen die ersten Trophäensammler nicht lange auf sich warten. „Es ging noch am gleichen Abend los“, sagt Cornelia Thiele von der Stiftung Berliner Mauer. „Wir haben Bilder von der Mauer vor dem Brandenburger Tor am 9. November in der Nacht, wo Menschen mit Hammer und Meißel anfangen, auf der Mauer herumzuhauen, Stücke rauszubrechen, sich diese Stücke mitzunehmen.“
Was damals für viele ein Impuls in einem historischen Moment war, wurde für andere bald zum Geschäft. Bis heute können Touristen kleine und größere Brocken der Mauer für wenige Euro kaufen. Die Einzelteile der einst tödlichen Grenze sind ein echter Exportschlager.
Seit Anfang des Jahres betreiben auch die Brüder Sebastian und Julian Sacha das Geschäft mit der Berliner Mauer. Die beiden Westberliner übernahmen im Januar von Volker Pawlowski, der nach der Wende schnell einen Riecher dafür hatte, dass mit der Mauer Geld zu verdienen wäre. Noch 2010 beschrieb der „Spiegel“ ihn als „eine Art Mauer-Monopolist“, mittlerweile hat er sich aus dem Geschäft zurückgezogen.
Die Brüder Sacha beliefern mit ihrem Großhandel Berlin Souvenirs nach eigenen Angaben rund 40 Prozent der Berliner Souvenir-Läden mit Mauerteilen - ein ziemlich staubiges Geschäft.
Denn das Zerkleinern der Mauer und das Zusammenstellen der Souvenirs sind echte Handarbeit. Metallschneider und Kreissägen kommen zum Einsatz, Hammer und Meißel sowieso. Plexiglasplatten werden erhitzt, geprägt und gebogen. Noch bevor die Mauer zerkleinert wird, kommt neue Farbe drauf. Denn die alte blättert mittlerweile ab - und bunt soll das kleine Souvenir dann bitte doch sein.
Eine Bananenkiste mit Mauersteinen täglich verkaufen die Sachas nach eigenen Angaben im Schnitt. Und zwar nicht nur an Berliner Souvenirläden, sondern über ihren Online-Shop in die ganze Welt. Von Bestellungen aus Madagaskar, Brasilien und Australien berichten sie. Die meisten Bestellungen aus dem Ausland kämen jedoch aus China und den USA.
Vorrat haben sie nach eigenen Angaben noch für rund zehn Jahre - wenn das Geschäft so weiterläuft. Derzeit sei es leicht rückläufig.
Allein auf dem Hof in Reinickendorf ragen noch mehrere Mauerelemente in den Himmel. Der offizielle Name der Stützwandelemente der Grenzmauer 75 lautet UL12.41. Ein Stück wiegt 2,6 Tonnen, ist 3,20 Meter hoch, 1,20 Meter breit und - wegen des Fußes - 2,1 Meter tief. Was macht den Reiz des steinernen Souvenirs aus?
Cornelia Thiele, die Kuratorin für die Sammlung und das Archiv der Stiftung Berliner Mauer ist, erinnert an den historischen Moment: Direkt nach dem Mauerfall sei es für viele der sogenannten Mauerspechte ein Akt der Selbstermächtigung gewesen, erstmals an die Grenze heranzukommen und Teil des Abrisses zu werden, sagt sie. Für andere seien die Gesteinsbrocken eine Siegertrophäe gewesen, die zeige, dass man etwas überwunden habe.
„Und ich glaube, auch der Souvenirgedanke hat vom ersten Moment an eine Rolle gespielt: Ich bin hier; hier passiert was Großes“, so Thiele. Vor dem Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie waren schnell fliegende Händler unterwegs, die Mauerstücke an Touristen verkauften.
Aber auch Unternehmen hätten schnell Interesse am Kauf von Mauer-Teilen gezeigt, sagt Thiele. Nationale und internationale Unternehmen wandten sich an die DDR-Botschaften und das Außenhandelsministerium und boten hohe Summen. Die DDR-Regierung wusste ebenfalls um den Wert der Mauerteile und stieg schließlich in das Geschäft ein. Sie gründete die Limex-Agentur, die Auktionen durchführte - eine davon erfolgreich in Monaco.
Aber in den Wirren der Wendezeit samt Währungsreform und Deutscher Einheit kam das DDR-Geschäft mit der Mauer nicht so richtig in Fahrt, wie Thiele sagt. Ab Sommer 1990 wurde die Mauer dann abgerissen und vielfach als Baumaterial verwendet.
Aber warum kaufen viele Touristen noch heute, 35 Jahre später, Einzelteile der Mauer in auf Plexiglas oder in einer Schneekugel geklebt? Ein Mauerstein im Plexiglasbogen der Größe L kostet auf der Homepage von Berlin Souvenirs 17,90 Euro - inklusive Echtheitszertifikat. „Bestellen Sie jetzt ein Stück Geschichte!“ heißt es.
Alexandra Hildebrandt leitet das Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin - ein Ort über die Flucht aus der DDR und den friedvollen Kampf für die Menschenrechte genau dort, wo früher Grenzsoldaten standen.
Sie verweist vor allem auf den Wandel, den die Bedeutung der Mauer erfahren habe: „So lange sie stand, war sie ein Symbol der Teilung“, sagt Hildebrandt. Heute sei sie ein Symbol der Freiheit. Auch Cornelia Thiele betont, dass die Grenze mittlerweile ein positives Symbol sei, ein Symbol der Überwindung.
Ohnehin gewinne die Mauer an Bedeutung. Angesichts des neuen Kalten Kriegs und des Heißen Kriegs zwischen Russland und der Ukraine gerate die Mauer wieder in den Fokus. Für die Souvenir-Verkäufer ist das eine gute Nachricht. Nachschub dürfte es noch lange geben. Unheimlich viele Mauerteile seien in privatem Besitz, nach und nach kämen immer mehr von ihnen auf den Markt, sagt Thiele.
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