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Veröffentlicht am 27.07.2022 11:21

Dünne Personaldecke: Pensionierte Lehrkräfte an Schulen

Schülerinnen und Schüler einer Grundschule sitzen mit Abstand in ihrem Klassenraum. Die dünne Personaldecke in deutschen Schulen wird mit pensionierten Lehrern nicht gelöst. (Foto: Marcel Kusch/dpa)
Schülerinnen und Schüler einer Grundschule sitzen mit Abstand in ihrem Klassenraum. Die dünne Personaldecke in deutschen Schulen wird mit pensionierten Lehrern nicht gelöst. (Foto: Marcel Kusch/dpa)
Schülerinnen und Schüler einer Grundschule sitzen mit Abstand in ihrem Klassenraum. Die dünne Personaldecke in deutschen Schulen wird mit pensionierten Lehrern nicht gelöst. (Foto: Marcel Kusch/dpa)

Rolf Büthe könnte seit anderthalb Jahren im Ruhestand sein. Aber der Grundschullehrer an der Christian-Morgenstern-Grundschule in Berlin-Spandau unterrichtet weiter.

Die Frage, ob er noch länger unterrichten wolle, sei ein bisschen überraschend gekommen, sagt der 67-Jährige. „Von selbst hätte ich es gar nicht unbedingt gemacht“, erzählt er. Zugesagt habe er damals aber sofort. „Wir sind heute mit 67 Jahren jünger als unsere Großeltern im gleichen Alter. Mein Opa hat gehinkt zu der Zeit.“ Zuletzt hat Büthe an vier Tagen in der Woche insgesamt 26 Stunden unterrichtet.

Der Lehrer ist einer von sechs pensionierten Lehrkräften an der Christian-Morgenstern-Schule. Dort unterrichten knapp 50 Lehrerinnen und Lehrer rund 580 Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse.

Insgesamt sind an den Berliner Schulen 325 pensionierte Lehrkräfte in diesem Schuljahr als Tarifbeschäftigte aktiv, wie die Senatsverwaltung für Bildung Ende Juli mitteilte. Nach einem Bericht des „Tagesspiegel“ von 2020 waren es im Schuljahr 2019/2002 rund 140 pensionierte Lehrkräfte, im Schuljahr 2018/19 demnach 156.

Im vorletzten Jahr hatte Büthe eine Abschlussklasse und wollte ursprünglich gemeinsam mit den Kindern die Schule verlassen. „Ich hatte die Klasse seit ein paar Jahren, und mit der Zeit wächst man dann auch zusammen“, sagt Büthe. Eine eigene Klasse als Klassenlehrer hat er mittlerweile nicht mehr.

Die Idee, pensionierte Lehrer wieder an die Schulen zurückzuholen, findet Büthe gut. Dass durch den Einsatz von pensionierten Lehrkräften das Problem des Lehrermangels gelöst werden könnte, davon geht er nicht aus.

Auf pensionierte Lehrkräfte zurückzugreifen, findet der Pressesprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin, Markus Hanisch, sinnvoll. Allerdings ist er der Meinung, dass die Zahl an pensionierten Lehrkräften nicht ansatzweise den aktuellen Lehrkräftebedarf decken kann. Nach seiner Einschätzung sind die meisten, die dafür in Frage kommen, Lust darauf haben und sich dazu in der Lage fühlen, schon größtenteils dabei.

Rund 700 öffentliche allgemeinbildende Schulen gibt es in Berlin - mit mehr als 330.000 Schülerinnen und Schülern im vergangenen Schuljahr. Demgegenüber stehen insgesamt 33.988 Lehrerinnen und Lehrer - und 920 Lehrkräfte fehlen laut Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse voraussichtlich zum neuen Schuljahr.

„Berlin hat in den vergangenen Jahren deutlich zu wenig Grundschullehrkräfte an den Universitäten ausgebildet und zu wenig Referendarsplätze in dem Bereich bereitgestellt“, kritisiert der Schulleiter des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Lichtenberg, Arnd Niedermöller, der auch Vorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin ist. Auf diese Mangelsituation hätte die Hauptstadt viel früher reagieren müssen.

Jedes Jahr gebe es in Berlin einen Bedarf von 2000 bis 3000 Lehrkräften, sagt GEW-Pressesprecher Hanisch. An den drei großen Universitäten würden jedes Jahr allerdings nur etwa 800 bis 900 Lehrkräfte ausgebildet. Hanisch fordert mehr Anstrengungen bei der Ausbildung. Zudem sollte das vorhandene Personal seiner Meinung nach besser bezahlt und eingesetzt sowie mehr nicht-pädagogisches Personal eingestellt werden.

Doch das Problem beginnt nach Meinung des Bundesvorsitzenden des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, schon früher - nämlich im Studium. Die Abbrecherzahlen im Lehramtsstudium lägen in manchen Bereichen bei bis zu 60 Prozent, kritisiert er. Die Politik müsse die Studienkapazitäten erhöhen und mit verbesserten Studienbedingungen dafür sorgen, dass es nicht so viele Abbrecher gibt.

Der Lehrerberuf an sich müsse aber auch attraktiver gemacht werden, zum Beispiel durch eine Reduzierung der Arbeitszeit, findet Schulleiter Niedermöller. „26 Stunden an Gymnasien ist eine Katastrophe“, sagt er. „Das ist viel zu viel.“

Der pensionierte Lehrer Rolf Büthe arbeitet im kommenden Schuljahr weniger als bisher, damit lässt er seine Lehrertätigkeit so langsam ausklingen. „Irgendwann ist es aber auch gut“, sagt er.

© dpa-infocom, dpa:220727-99-170876/3

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