Die Europäische Kommission nimmt den chinesischen Online-Marktplatz Temu wegen möglicher Verstöße gegen EU-Recht unter die Lupe. Die Brüsseler Behörde leitete dazu ein formales Verfahren ein. Sie prüft laut einer Mitteilung etwa, ob die Plattform genug gegen den Verkauf illegaler Produkte unternehme. Außerdem solle die potenziell süchtig machende Gestaltung des Dienstes untersucht werden.
Dem Online-Marktplatz wird unter anderem vorgeworfen, nicht genug gegen illegale Produkte zu tun. Bestimmte unseriöse Händler würden wieder auf der Plattform auftauchen, nachdem sie gesperrt worden seien, hieß es von der Kommission. Außerdem bestehe das Risiko, dass die Plattform durch Belohnungsprogramme süchtig mache. Das könne negative Folgen für das körperliche und geistige Wohlbefinden einer Person haben. Die Kommission will nun weiter Beweise sammeln, etwa durch Befragungen.
In einer Voruntersuchung hatte die Brüsseler Behörde bereits detaillierte Informationen von Temu über die Maßnahmen verlangt, mit denen ein Wiederauftauchen von Händlern verhindert werden soll, die illegale Produkte auf ihrem Online-Marktplatz verkaufen. Die Kommission wollte auch Auskunft, wie die Risiken für Verbraucher eingedämmt werden.
Temu teilte als Reaktion auf das EU-Verfahren mit, dass es seine Verpflichtungen ernst nehme und kontinuierlich investiere, um sein Regelungssystem zu stärken und die Verbraucherinteressen auf seiner Plattform zu schützen. „Wir werden vollumfänglich mit den Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um unser gemeinsames Ziel eines sicheren und vertrauenswürdigen Marktplatzes für Verbraucher zu unterstützen“, so das Unternehmen.
Die Brüsseler Behörde hatte bereits ähnliche Verfahren gegen X (früher Twitter), Tiktok und AliExpress eröffnet. Große Online-Plattformen werden von einem neuen EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA) verpflichtet, strikt gegen illegale Inhalte im Netz vorzugehen.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) begrüßt die Entscheidung. „Die massenhaften Rechtsverstöße vieler Händler aus Fernost, die über die Plattform Temu verkaufen, dürfen nicht hingenommen werden“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Es sei richtig und wichtig, dass die EU-Kommission tätig werde. Wer Waren in der EU anbiete, müsse sich auch an die Regeln halten. Andernfalls würden heimische Handelsunternehmen im Wettbewerb benachteiligt. Bei der Feststellung von Verstößen durch Temu erwarte man von der EU konsequente Strafen.
Verbraucherschützer halten die Eröffnung des Verfahrens gegen Temu ebenfalls für richtig. „Über Online-Marktplätze gelangen immer wieder gefährliche Produkte auf den europäischen Binnenmarkt“, sagte Stefanie Grunert vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Der vzbv habe Temu in der Vergangenheit bereits dafür abgemahnt.
Wirtschafts-Staatssekretär Sven Giegold betonte in Berlin, mit der Verfahrenseinleitung gegen Temu unterstreiche die EU-Kommission ihren entschlossenen Einsatz für einen fairen Wettbewerb im Onlinehandel und den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor illegalen Produkten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz setze sich seit Längerem für ein entschiedenes und abgestimmtes Vorgehen der EU gegen weitgehend unkontrollierte Direktimporte aus Drittstaaten über E-Commerce-Plattformen ein.
Bei Kunden in Deutschland erfreut sich Temu großer Beliebtheit. Experten führen dies vor allem auf die niedrigen Preise zurück. Der Anbieter zählt nach anderthalb Jahren am Markt bereits zu den größten Onlinehändlern in Deutschland.
Laut einer Untersuchung der zum Meinungsforschungsinstitut YouGov gehörenden Consumer Panel Services GfK (CPS), landete das Shoppingportal gemessen an der Anzahl der Bestellungen im ersten Halbjahr 2024 auf dem sechsten Platz der Top-Onlinehändler. Von Januar bis Juni kauften demnach etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland bei Temu ein. Das Unternehmen ist erst seit April 2023 hierzulande aktiv. Laut CPS sind zwei Drittel der Käufer weiblich, die Hälfte älter als 50.
Dennoch gibt es auch bei Konsumenten Bedenken. 62 Prozent sehen ein großes Risiko, dass die bei Marktplätzen wie Temu bestellten Artikel von minderwertiger Qualität sind. Das zeigt eine vor einigen Monaten durchgeführte Umfrage des Kölner Handelsforschungsinstitut IFH. Zwei Drittel der Befragten können sich demnach nicht vorstellen, bei dieser Art von Anbietern zu kaufen. 83 Prozent geben die mangelnde Qualität der Produkte als Grund an, 60 Prozent haben Angst vor Produktfälschungen.
Auch Handelsvertreter, Politiker und Verbraucherschützer kritisieren unter anderem Produktqualität, unfaire Wettbewerbsbedingungen und mangelnde Kontrollen. Beklagt wird auch, dass die Anbieter von rechtlichen Schlupflöchern wie der 150-Euro-Zollfreigrenze profitierten. Die Plattform weist solche Vorwürfe zurück.
Das Brüsseler Verfahren gegen Temu fällt in eine Zeit wachsender wirtschaftlicher Spannungen mit China. Seit Mittwoch gelten EU-Zusatzzölle auf aus China importierte Elektroautos. Vor dem Beschluss der EU-Kommission hatte Anfang des Monats eine ausreichend große Mehrheit der EU-Staaten für die Strafzölle gestimmt. Deutschland votierte gegen die Maßnahme - aus Sorge vor einem neuen großen Handelskonflikt und möglichen Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Hersteller.
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