Wie viel weniger Treibhausgase sollen die EU-Länder bis 2040 ausstoßen - und wie soll das erreicht werden? Nach langem Ringen um Zahlen und mögliche Flexibilität kommen heute in Brüssel die Umweltminister und -ministerinnen der EU zusammen, um ein Klimaziel bis 2040 festzuzurren. Zudem sollen sie sich auf einen Klimaplan bis 2035 einigen. Der wird für die in wenigen Tagen beginnende Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien gebraucht - und hätte längst eingereicht werden müssen.
Auch losgelöst von Konferenzen drängt die Zeit, wie gewaltige Überschwemmungen oder Dürren immer wieder zeigen. Auf wie viel Grad die Erderwärmung derzeit zusteuert, wird heute Nachmittag in einem Bericht der Vereinten Nationen bekanntgegeben.
Laut EU-Klimagesetz muss die Staatengemeinschaft neben bestehenden Zielen für 2030 und 2050 auch festlegen, um wie viel Prozent die Treibhausgase bis 2040 reduziert werden sollen. Die EU-Kommission schlägt vor, die Emissionen in den nächsten 15 Jahren um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Grundlage dafür sind wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Vorschlag braucht noch die Zustimmung der Mehrheit der EU-Staaten und des Europaparlaments.
In mehreren Staaten regt sich jedoch Widerstand - sie verweisen etwa auf wirtschaftliche Belastungen, Probleme der Industrie und ein angespanntes geopolitisches Umfeld. Für den Beschluss ist eine sogenannte qualifizierte Mehrheit nötig. Dafür müssen 15 der 27 EU-Staaten zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.
Es wird hart verhandelt, um wie viel die Emissionen bis 2040 reduziert werden sollen - um 90 Prozent oder weniger. Außerdem geht es noch um das Wie: Bislang muss die EU ihre Klimaziele durch Treibhausgas-Minderungen auf eigenem Boden erreichen. Auch geht es darum, wie eine Überprüfbarkeit des Ziels in dem Gesetzestext verankert wird.
Ferner sollen laut Kommissionsvorschlag nun bis 2040 drei Prozent durch international anerkannte Klimazertifikate kompensiert werden dürfen. Einige Länder wollen mehr. Linda Kalcher von der Brüsseler Denkfabrik Strategic Perspectives sagt, es bestehe die Gefahr, dass viele Länder fünf Prozent internationale Klimazertifikate nutzen wollten. „Was nach einem Freifahrtschein für die europäische Wirtschaft klingt, sorgt allerdings in der Realität dafür, dass dieses Geld außerhalb der EU investiert wird.“
Außerdem gilt es bei dem heutigen Treffen noch, einen Klimaplan für 2035 zu beschließen. Dieser muss zur COP30 bei den Vereinten Nationen eingereicht werden. Die EU riss schon zwei Fristen dafür, nun - unmittelbar vor der Klimakonferenz - ist es der allerletzte Drücker. Bislang konnten sich die Länder nicht formell auf ein Ziel zur Minderung von Treibhausgasen für die nächsten zehn Jahre einigen, nur auf eine Absichtserklärung mit Zielkorridor. Darin heißt es, die EU wolle ihre Emissionen bis 2035 zwischen 66,25 Prozent und 72,5 Prozent im Vergleich zu 1990 senken.
Das Ziel muss nun noch formell beschlossen werden. Noch verhandelt wird, ob man mit einer konkreten Zahl oder einer Spannbreite als Ziel nach Brasilien reist - und wie diese Zahl oder Spannbreite genau aussehen sollen. Der Klimaplan bis 2035 muss einstimmig beschlossen werden. Die EU gilt als weltweiter Vorreiter in der Klimapolitik - und das Ergebnis der Verhandlungen wird den Ton für die jährliche UN-Klimakonferenz prägen.
Dass es bislang unmöglich war, eine Einigung für ein EU-Klimaziel für 2040 sowie bis 2035 unter den Mitgliedsstaaten zu finden, liegt am Widerstand mehrerer EU-Staaten - Frankreich und Polen etwa zeigten sich bis zuletzt skeptisch.
Auch Deutschland sorgte dafür, dass es bislang zu keiner ausreichenden Mehrheit kam, obwohl der Vorschlag der EU-Kommission in den wesentlichen Punkten den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Klimazielen der schwarz-roten Bundesregierung entspricht: Man wollte zuerst bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs über das Thema sprechen. Vor der Zusammenkunft der Minister nun sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD): „Deutschland unterstützt den 90-Prozent-Vorschlag der Kommission, weil er in Einklang mit unseren nationalen Vorgaben steht.“
Auf diese Fragen geben EU-Diplomaten keine wirkliche Antwort. Fest steht aber, dass die EU ohne Einigung auf ein 2035er Ziel riskiert, mit leeren Händen zur Weltklimakonferenz zu reisen.
Ohne starkes Signal der EU wird es noch unwahrscheinlicher als ohnehin schon, dass die Weltgemeinschaft sich in Brasilien auf einen entschlosseneren Kampf gegen die Klimakrise einigt. Im vergangenen Jahr berechneten die Vereinten Nationen, dass der Erde mit der derzeitigen weltweiten Klimapolitik bis zum Ende des Jahrhunderts 3,1 Grad Erwärmung droht. Das würde nicht nur sehr viel häufigere und heftigere Extremwetterereignisse bedeuten, sondern auch, dass viele Weltregionen unbewohnbar werden. Am Dienstagnachmittag legt das UN-Umweltprogramm UNEP seine Berechnung dazu vor, wie sich diese Prognose entwickelt hat und welche Rolle bereits eingereichte Klimapläne spielen.
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