Greenhorn unterm Ahorn: Kanadische Wildnis für Anfänger | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 25.09.2023 04:17

Greenhorn unterm Ahorn: Kanadische Wildnis für Anfänger

Spiegelzauber im Seenland: Der Haliburton Forest ist mit seiner landschaftlichen Vielfalt auch was fürs Auge - bei Schönwetter in jedem Fall. (Foto: Andreas Drouve/dpa-tmn)
Spiegelzauber im Seenland: Der Haliburton Forest ist mit seiner landschaftlichen Vielfalt auch was fürs Auge - bei Schönwetter in jedem Fall. (Foto: Andreas Drouve/dpa-tmn)
Spiegelzauber im Seenland: Der Haliburton Forest ist mit seiner landschaftlichen Vielfalt auch was fürs Auge - bei Schönwetter in jedem Fall. (Foto: Andreas Drouve/dpa-tmn)

Er knirscht, er knarrt, er schwankt - und er hält. Der Canopy Walk, ein Baumwipfelpfad, verschafft neue Perspektiven im Haliburton Forest. Ahorn und Hemlocktannen werfen Schatten auf den Boden, der sich unter dem Brettersteg in der Tiefe verliert. Die Rinden von Gelbbirken sind derart zerfranst, als hätten sich Schlangen gehäutet. Mächtig steigt eine Weymouth-Kiefer auf, aus den Stämmen der Baumart wurden früher Schiffsmasten gemacht.

In Höhen bis zu zwanzig Metern steht der Spaziergang für kontrollierten Nervenkitzel von Besuchern, die in Sicherheitsgeschirren stecken und über Seile mit Aufhängungen verbunden sind. Dabei war der Ursprung des Pfads „rein wissenschaftlich“, versichert Peter Schleifenbaum: „Unten sah man den Wald vor lauter Bäumen nicht, aber oben in den Kronen sah man ihn besser. Dort fanden Forscher fünf Wespenarten, die vorher nie beschrieben worden waren.“

Sauerländer trifft Schwarzbär

Schleifenbaum, 60 Jahre alt, ist - obwohl gebürtiger Sauerländer - das Urgestein des privaten Haliburton Forest in Kanadas südöstlicher Provinz Ontario. Obgleich er sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, lebt er noch immer direkt nebenan.

Kürzlich stand ein Schwarzbär auf dem Feuerholzstapel seines Hauses und schaute rein. Wildnis bleibt Wildnis. Doch im Haliburton Forest ist sie in geordneten Bahnen leicht zugänglich. Das Angebot an angeleiteten Outdoor-Aktivitäten ist groß.

Kauf im Kalten Krieg

Sümpfe, Wälder, Bäche und hundert Seen setzen sich im Haliburton Forest zu einem Naturmosaik zusammen, das auf 450 Quadratkilometer angewachsen ist. Zu Beginn der Sechzigerjahre kaufte Peter Schleifenbaums Vater Adolf den kleineren Urgrund der Ländereien.

„In der heißen Phase des Kalten Krieges wollte er sein Geld etwas weiter weg vom Ostblock anlegen“, erinnert sich Schleifenbaum. „Der Wald war von einem Sägewerk aufgegeben, das beste Holz rausgeschlagen worden. Alle sagten: Was für eine verrückte Idee, da kauft ein Europäer ein ausgeblutetes Stück Land.“

Angelegte Campingplätze und Wintertrails für Schneemobile spülten erste Gelder in die Kasse. Adolf Schleifenbaum lebte nie vor Ort, sondern lancierte die Geschäfte über einen Verwalter. Ob der früh verstorbene Vater bereits beim Kauf ein touristischer Visionär war, vermag Sohn Peter nicht zu beurteilen. Für ihn, der Forstwirtschaft in Göttingen studierte, stand aus Gründen der Nicht-Einmischung ins Familienbusiness fest: „Ich gehe nie nach Kanada.“

Letztlich tat er das Gegenteil, wanderte mit seiner Familie aus, übernahm als junger Mann Haliburton und brachte das vernachlässigte Gelände auf Vordermann.

Unterwegs mit einer Wolfheulerin

„Mein Job war es zunächst aufzuräumen“, blickt Schleifenbaum zurück und setzte parallel zu ökologischer Waldwirtschaft auf das Fremdenverkehrspotenzial und der Wildnis als Ort als Erholung. Übernachten kann man heute campend, in Apartments oder in urigen Blockhütten, teils am Seeufer. Den Bekanntheitsgrad steigerte er durch den Baumkronenweg und ein Wolfzentrum mit reichlich Auslauf für die Tiere.

Wenn Juliana Vantellingen abends mit Gästen loszieht, ist das echt zum Heulen. Die 29-jährige bezeichnet sich als „Wolfsheulerin“ und bekommt auf ihre Laute oft ein Wolfskonzert aus dem Großgehege als Antwort. „Ich habe unter der Dusche geübt“, sagt sie. Das Ganze wirkt allerdings gekünstelt. Die Tiere wurden allesamt nicht in freier Wildbahn geboren.

Spannender ist es, in die urwüchsigere Natur aufzubrechen, ob bei einem Kanutrip, zu Fuß oder per Rad. Der Haliburton Forest ist von Wanderwegen und einem Netz aus Pisten durchzogen, die mit Mountainbikes oder Autos befahrbar sind.

Im quasi unberührteren Nordteil geht das Wald- und Seenland, das im Sinn der Fauna nicht umzäunt ist, in den Provinzpark Algonquin über. Überlaufen ist es selbst in der sommerlichen Hochsaison nicht. Plötzlich huscht ein Fuchs über den Weg. Da entdeckt man Baumpilze, Fährten von wilden Wölfen und Fleisch fressende Pflanzen, die Insekten in die Falle locken.

Flüchtende Bären

„Die zahlreichen Salamander hier sind Indikatoren für einen gesunden Wald“, sagt Adam Gorgolewski. Der 32-jährige Forstwissenschaftler koordiniert die Forschungsvorhaben im Haliburton Forest. Er selbst hat seine Master- und Doktorarbeit über Haliburton verfasst und schätzt, dass jeweils hundert Elche und Schwarzbären im Park verbreitet sind. „Die laufen weg“, bremst er die Sorgen vor einer Begegnung mit Bären.

Nicht aufzuhalten sei die gegenwärtige, durch Insektenexkremente und Pilze ausgelöste Buchenrindenkrankheit. Sie sorge dafür, dass die Buchen - als eine von über zwei Dutzend Baumarten im Park - in den nächsten zehn Jahren absterben.

„Doch es wird neuer Bewuchs entstehen“, prognostiziert Gorgolewski, der zwischen Februar und April die Produktion des parkeigenen Ahornsirups leitet. Kein Tag vergeht bei ihm daheim ohne: „Statt Zucker gebe ich immer Ahornsirup in den Tee.“

Für Süßes dieser Art kann sich auch Peter Schleifenbaum begeistern. Doch es gibt Dinge, die vermisst er in seiner Wahlheimat Kanada: tausendjährige Kirchen, Kopfsteinpflaster und Kirchengeläut. Er lenkt aber ein: „Hier ist die Wildnis, da schlägt mein Försterherz höher.“

Info-Kasten: Ontario

An- und Einreise: Flug nach Toronto (etwa direkt ab Frankfurt/M), ab dort im Mietwagen etwa 250 Kilometer nordostwärts zum Haliburton Forest. Voraussetzung für die Einreise nach Kanada ist die elektronische Reisegenehmigung (eTA).

Reisezeit: Ganzjährig. Im Sommer jedoch schwirren zwischen Anfang Juni und Mitte Juli viele Moskitos umher. Im Herbst bieten sich unter anderem Paddeln, Wandern und Mountainbiking an. Im Winter verwandeln sich die Pisten im Park in Schneemobilrouten. Dann sind auch begleitete Schneemobiltouren, Schneeschuhwandern, Eisklettern und geführtes Eisangeln im Angebot.

Hinweis: Wer im Haliburton Forest kein Übernachtungsgast ist, muss einen Tagespass lösen. Outdoor-Aktivitäten kosten teilweise extra. Weiterführende Informationen: www.destinationontario.com; www.haliburtonforest.com

© dpa-infocom, dpa:230922-99-291241/3


Von dpa
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