Olympiasieger Jiri Prskavec erinnert sich: „Als Kind bin ich mit meinen Eltern auf der Berounka gepaddelt. Ich komme ja aus einer Paddlerfamilie.“ Heute urteilt der 32-jährige Tscheche, der bei Olympia in Tokio 2021 Gold im Kanuslalom gewann und selbst in der Freizeit im Leistungsmodus zu denken scheint: „Der Fluss ist mir zu flach. Es gibt keine Wellen.“
Recht hat er, der Profi. Die Berounka eignet sich nicht für jene, die im Kanu Kicks wie Stromschnellen suchen. Ruhig zieht sie sich durch Hügelwelten im westlichen Mittelböhmen. Wer auf eine mehrtägige Tour geht, lässt sich auf die (Wieder-)Entdeckung der Langsamkeit ein. Ein Plus für Anfänger oder jene, die es relaxed mögen.
Auftakt in Zbecno, unser Einstiegspunkt liegt eine Autostunde westlich von Prag. Am Morgen liegen die Kanus startbereit auf der Wiese des Campingplatzes. Paddel, Schwimmwesten, wasserdichte Tonnen. Alles ist da. Der Verleiher hat verlässlich geliefert, aber damit erschöpft sich der Service.
Niemand ist da, um eine Einführung, eine Gewässerkarte an die Hand oder den Hinweis zu geben, auf Warnschilder vor tückischen Wehren zu achten. Typisch tschechisch? Man nimmt es locker. Zug um Zug ist man auf sich allein gestellt und muss lernen, die Berounka zu lesen.
Libellen tanzen übers Wasser. Im Sonnenlicht leuchten sie blau und golden. Kuckucksrufe hallen über den Fluss. Eine Entenkolonne zieht vorbei. Unsere Kanus nehmen stromabwärts gemächlich Fahrt auf, streichen über Teppiche aus Wasserpflanzen. Der Boden ist nicht tief, die Strömung kaum spürbar.
Die Berounka zwingt ihren Befahrern den eigenen Rhythmus auf, zieht in einen Sog der Entspannung. Man drückt den inneren Off-Knopf, gewinnt Abstand von digitalen Dauerbombardements daheim, schärft den Blick für die Natur. Im Wasser verschwimmen die Spiegelbilder von Bäumen und Felswänden. Ein Windstoß raschelt durch Ufergräser. Tothölzer ragen wie überdimensionale Zahnstocher auf. Ein Wehr erfordert den ersten Ausstieg.
Um falschen Erwartungen vorzubeugen: Die Berounka windet sich nicht fern von Besiedlung durch tschechische Wildnis. Es geht unter Brücken hindurch. Häuser und Strommasten tauchen auf, Autos. Das Rattern einer Bahn und die Rufe von Anglern, auf die Leinen zu achten, durchbrechen das Plätschern des Flusses.
Das Land ist hügelig und grün durchtränkt, frei von Industrieparks, Motorbootverkehr. Und eigentlich von Andrang. Allerdings paddeln die Tschechen an Wochenenden und in Ferienzeiten selbst gerne. So wie die Jugendgruppe, die uns gerade unter Ahoi-Rufen und Begleitmusik überholt. Der Spuk ist rasch vorbei.
Die Nähe zur Zivilisation hat ihre Vorteile. Orte bieten Quartiere und Gelegenheit, die Kalorien am Ende der Kanutage aufzustocken. Spätestens jetzt registriert man, dass Paddeln auf der Berounka auch heißt, kostengünstige Urlaubstage zu verbringen. Ein halber Liter Bier kostet im Lokal umgerechnet unter zwei, ein deftiges Tellergericht kaum zehn, ein einfacher Zeltplatz pro Person fünf, ein Doppelzimmer in einer Frühstückspension 70 Euro.
Neuerliche Kehrseite ist die Verständigung. Dass manche Tschechen einzig ihre Sprache sprechen und Speisekarten vielfach nur auf Tschechisch vorliegen, könnte man jedoch als Pluspunkte auslegen. Das hier ist kein Terrain für internationalen Übertourismus.
Im Etappenziel Nizbor öffnet die Glashütte ihre Besucherpforten. Zdenek Kolar ist einer von neun Glasbläsern, denen man in der Halle zuschauen darf. Es zischt und dampft. Die Fenster stehen offen. Der 52-Jährige trägt kurze Hose, Schlappen, ein schweißverkrustetes Shirt. In den Öfen erreicht die Temperatur bis zu 1.450 Grad. Ein heißer Job.
Unterwegs nach Beroun erfrischt eine Brise. Fische springen. Zwei Wehre erfordern Tragepassagen. Plötzlich steigt ein Schwan mit peitschenden Flügelschlägen auf, fliegt geradewegs auf uns zu und landet kurz vor dem Kanu. Erst jetzt bemerken wir den Grund in der Ferne: drei grau gefiederte Jungtiere. Wir machen einen weiten Bogen. Kurz vor Beroun verbreitert sich der Fluss zu einem See, reguliert durch ein erneutes Stauwehr, beliebt unter Badenden und Stehpaddlern.
Das finale Ziel heißt Karlstejn. Ein Schmetterling lässt sich kurz als Bugfigur nieder. In einer Biegung steigen Graureiher auf. Vor dem massigen Fels Alkazar machen wir Pause. Kletterer hängen in der nackten Wand. Biker flitzen parallel zum Fluss auf dem Radweg vorbei. Tschechien ist eine Sportnation, und Paddeln steht beim Nationalsport in der Spitzengruppe neben Fußball und Eishockey.
Kurz vor Karlstejn, wo sich eine vielbesuchte Trutzburg im Hügelgrün versteckt, nehmen zwei Nutrias vor unseren Kanus Reißaus. Haarige Köpfe und Rücken ragen aus dem Wasser. Wir hören auf zu paddeln, lassen uns in der sachten Strömung treiben. Trotzdem wittern die Nagetiere Gefahr und legen einen kräftigen Zahn zu. Ihr Tempo bis zum Ufergestrüpp ist rekordverdächtig - das könnte Olympiasieger Prskavec gefallen.
Reiseziel: Die Berounka fließt in Tschechien von Pilsen, wo sie aus dem Zusammenfluss der Flüsse Mze und Radbuza entsteht, durch das westliche Mittelböhmen und mündet nach knapp 140 Kilometern in die Moldau.
Reisezeit: Mai bis September, stets abhängig vom Wasserstand. Die populärsten Monate sind Juni und Juli, die ruhigsten Mai und September.
Anreise: per Flugzeug oder Bahn nach Prag, dann weiter mit dem Zug ins Berounka-Gebiet, zum Beispiel nach Pilsen. Stromabwärts ist Karlstejn als Endpunkt einer Tour gut ans Bahnnetz angeschlossen.
Einreise: Der Personalausweis genügt.
Währung: Zahlungsmittel ist die Tschechische Krone. Vielerorts werden Euro akzeptiert; 1 Euro entspricht knapp 25 Kronen (Stand: 15.08.2025).
Touren/Aktivitäten: Die Berounka ist auf einer Länge von etwa 100 Kilometern von Pilsen bis Karlstejn befahrbar; dafür brauchen Paddler gewöhnlich fünf bis sechs Tage. Ein kürzeres 30-Kilometer-Stück führt von Zbecno nach Karlstejn. Es gibt verschiedene Kanuverleiher, darunter A.S.K. und Dronte. Der Tagespreis für ein Zweierkanu liegt um 400 bis 550 Kronen (rund 16 bis 22 Euro), abhängig von der Mietdauer. Gegen Aufpreis kann man das Gepäck transportieren und Kanus zu einem gewünschten Startpunkt bringen lassen. Paddeltouren auf der Berounka eignen sich auch für Familien mit Kindern.
Unterkunft: Unterwegs nächtigt man auf Campingplätzen (dazu muss man das eigene Zelt mitbringen), in Pensionen oder Hotels; Quartiere sollte man vorab reservieren.
Weitere Infos: visitczechia.com
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