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Veröffentlicht am 17.08.2025 04:32

Kirchenasyl – Balanceakt zwischen Humanität und Recht

Seit 2015 müssen die Kirchengemeinden Behörden über Menschen im Kirchenasyl informieren und ein Dossier schicken. (Symbolbild) (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
Seit 2015 müssen die Kirchengemeinden Behörden über Menschen im Kirchenasyl informieren und ein Dossier schicken. (Symbolbild) (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
Seit 2015 müssen die Kirchengemeinden Behörden über Menschen im Kirchenasyl informieren und ein Dossier schicken. (Symbolbild) (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Beim Thema Kirchenasyl hakt es in der Zusammenarbeit zwischen den Kirchengemeinden in Bayern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Die Kirchen kämen ihrer Pflicht fortlaufend nicht nach, das Kirchenasyl für den Betroffenen zu beenden, sollte das Bamf entschieden haben, dass kein Härtefall vorliegt. Das teilte ein Behördensprecher in Nürnberg mit. 

Die Kirchengemeinden sehen die Lage etwas anders. In einer 2015 getroffenen Vereinbarung zwischen Kirche und Bamf sei es gar nicht vorgesehen, dass der Flüchtling bei einem negativen Bescheid aus Nürnberg das Kirchenasyl zu verlassen habe, heißt es einhellig bei katholischer und evangelischer Kirche in Bayern. „In der Regel verlässt dieser das Kirchenasyl trotz negativer Prüfung nicht, da er weiterhin Angst vor einer Menschenrechtsverletzung hat“, erklärte eine Sprecherin der evangelischen Landeskirche in München. 

Nothilfe im Einzelfall

Kirchenasyl soll Flüchtlingen in besonderen Härtefällen Schutz bieten. „Kirchenasyl ist als „ultima ratio” immer Nothilfe in einem konkreten Einzelfall“, erläuterte das Katholische Büro Bayern. Im Freistaat hätten sich Stand Mitte Juli 28 Menschen, davon vier Kinder, in acht katholischen Gemeinden im Kirchenasyl befunden.

Auch bei der evangelisch-lutherischen Kirche geht es verglichen mit der Gesamtzahl der Asylsuchenden (2024: rund 36.000 Asylerstanträge in Bayern) nur um wenige Fälle von Kirchenasyl - derzeit sind es 19. „Kirchenasyl wird von den Kirchengemeinden sehr zurückhaltend gewährt“, wie die Sprecherin der Landeskirche sagte. Pro Woche erhalte der Berater für Kirchenasyl Anfragen von 20 und 25 Menschen für ein Kirchenasyl. „Die Mehrheit wird abgelehnt.“ 

Die Vereinbarung zwischen Kirchen und Bamf sieht vor, dass die Behörde gemeldete Kirchenasyl-Fälle noch einmal individuell prüft. Dazu legen die Kirchen dem Bamf ein Dossier vor, dass den Härtefall - zum Beispiel nachgewiesene gesundheitliche Probleme - ausführlich begründet. Die Vereinbarung betrifft allerdings nur Fälle, bei denen die Zuständigkeit für das Asylverfahren noch bei einem anderen EU-Mitgliedsland liegt.

Behörde dringt auf Akzeptanz ihrer Entscheidung

„Rechtsstaatliche Entscheidungen sind zu akzeptieren, besonders, wenn sie im Rahmen des Kirchenasylverfahrens nochmals auf persönliche Härten hin überprüft wurden“, sagte der Bamf-Sprecher. „Die Einhaltung dieser Grundregeln ist essenziell, um die Akzeptanz des Kirchenasyls bei Behörden, Gerichten und Öffentlichkeit aufrechterhalten zu können und weiter zu stärken.“ 

Sprich: Aus Behördensicht muss ein Geflüchteter das Kirchenasyl und Deutschland verlassen, sollte das Bamf seinen Fall abermals mit negativem Ausgang geprüft haben - das Asylverfahren soll dann in dem für den Geflüchteten zuständigen Mitgliedstaat durchgeführt werden.

Behörde: Ausreisepflicht erschwert

„Kirchenasyl wird zwar als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert, jedoch obliegt es dem Staat allein, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob eine Person ein Bleiberecht erhält“, erklärte der Bamf-Sprecher.

Der Behörde zufolge akzeptieren Kirchengemeinden Entscheidungen des Bundesamtes dann aber häufig nicht - Flüchtlinge blieben fortlaufend bis zum Ablauf der Überstellungsfrist in ein eigentlich für sie zuständiges Land im Kirchenasyl. „Infolgedessen wird den zuständigen Ausländerbehörden der Vollzug der Ausreisepflicht erschwert, und mehr Asylanträge müssen im nationalen Verfahren entschieden werden“, erläuterte der Behördensprecher.

Gericht sieht nicht Kirchen am Zug

Das Bayerische Oberste Landesgericht urteilte im Februar 2022: „Die Vereinbarung mit dem Bamf enthält keine Verpflichtung kirchlicher Entscheidungsträger zur aktiven Beendigung des „Kirchenasyls” (...).“ 

Laut evangelischer Landeskirche ist es eine Entscheidung des Geflüchteten, ob er in den Räumen der Kirchengemeinde bleibt, und nicht eine der Kirchengemeinde. 

289 Fälle von Kirchenasyl 2024 in Bayern

Im vergangenen Jahr war die Zahl der Fälle von Kirchenasyl in Bayern etwas zurückgegangen. Der Freistaat verzeichnete 289 Fälle, nachdem es im Jahr zuvor 327 waren, wie das Bamf und das Innenministerium zu Jahresbeginn mitteilten. In den Jahren zuvor war die Zahl der Fälle jeweils gestiegen (2020: 110, 2021: 120, 2022: 230).

2024 wurden bundesweit 1.878 Dossiers für ein Kirchenasyl beim Bamf eingereicht. In nur einem Fall erkannte die Behörde demnach eine außergewöhnliche Härte an - und damit ist nicht das EU-Land für das Asylverfahren des Flüchtlings zuständig, dessen Boden er zuerst betrat, sondern Deutschland. Laut Bamf „stellen die gemeldeten Kirchenasylfälle nach fachlicher Einschätzung des Bundesamtes ganz überwiegend keine Härtefälle dar“.

© dpa-infocom, dpa:250817-930-920740/1


Von dpa
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