Kult oder Banalisierung: Söders gefährliche Gratwanderung | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 12.10.2025 06:02

Kult oder Banalisierung: Söders gefährliche Gratwanderung

Auch wenn Markus Söder eigentlich nicht gerne Bier trinkt - fürs Foto auf dem Oktoberfest gehört auch für ihn der Maßkrug natürlich dazu. (Archivbild) (Foto: Peter Kneffel/dpa)
Auch wenn Markus Söder eigentlich nicht gerne Bier trinkt - fürs Foto auf dem Oktoberfest gehört auch für ihn der Maßkrug natürlich dazu. (Archivbild) (Foto: Peter Kneffel/dpa)
Auch wenn Markus Söder eigentlich nicht gerne Bier trinkt - fürs Foto auf dem Oktoberfest gehört auch für ihn der Maßkrug natürlich dazu. (Archivbild) (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Politiker Markus Söder liebt Rampenlicht nicht einfach nur. Er braucht es auch. Indien, Ingolstadt, Helgoland - wann und wo auch immer der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident auftaucht, die Aufmerksamkeit ist dem Polit-Promi sicher. Anders als in der analogen Welt muss sich aber auch ein Markus Söder anstrengen, um in den sozialen Netzwerken nicht unterzugehen. Obwohl seine Strategie extrem erfolgreich ist, in Summe hat er bei Twitter, Instagram, TikTok und Facebook fast zwei Millionen Follower, macht der dortige Söder-Kult ihm in der CSU nicht nur Freunde. 

Fremdschämen wegen Wiesn-Hit „Sweet Caroline“?

Zuletzt wurde in der CSU wohl kein Beitrag von Söder so kontrovers diskutiert wie sein eigens im Tonstudio aufgenommener Wiesn-Hit „Sweet Caroline“. „Das geht vom Kopfschütteln bis zum Fremdschämen“, heißt es von einem CSU-Vorstand, ähnliches hört man auch andernorts in der Partei. Das sei unterhalb der Würde des Ministerpräsidenten. „Das ist nicht das, was sich der konservative Teil der Bevölkerung von einem Ministerpräsidenten erwartet.“ 

In der Parteibasis ist die Rede von „Banalisierung der Politik“. Söder giere nach Klicks, das tue seinem Ego gut, bringe der CSU aber weder Stimmung noch Stimmen. „Wenn Social Media eine so große Wirkung haben soll – warum haben wir bei der Bundestagswahl dann nur gut 37 Prozent bekommen? Und dann müssten wir doch auch in den Umfragen besser dastehen.“

Söder: „Kommunikation ist oft eine Gratwanderung“ 

„Kommunikation findet immer mehr in sozialen Medien statt“, sagt Söder, der hörbar bemüht ist, der Kritik mit Argumenten zu begegnen. „Der Staatsmann ist in der analogen Welt immer erkennbar, in der digitalen geht es aber auch um die Reichweite von Botschaften. Die erzielt man auch durch unterhaltsame Posts - das ist oft eine Gratwanderung zwischen zu viel und zu wenig. Deshalb ist das Auftreten in den sozialen Medien immer eine Frage der richtigen Dosierung.“

Millionenfach angesehene Beiträge mit und ohne politische Inhalte

Rund 75 Prozent von Söders Beiträgen transportieren politische Botschaften, das verbliebene Viertel besteht aus Fotos von Mittagessen, Hunden, Selfies mit anderen Promis und Co. Manche Beiträge werden millionenfach angesehen - etwa wenn Söder am Dönerspieß schnippelt oder er in einer Rede die Abschiebung von kriminellen Afghanen fordert. 

„Jede Kommunikation, die Menschen erreicht, ist wichtig. Im Netz tobt rund um die Uhr eine Schlacht der Meinungen – da muss man Präsenz zeigen“, betont Söder. Gerade die Jüngeren informieren sich über TikTok, Instagram oder X. „Heute gewinnt man keine Wahl ohne Social Media.“ 

Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München, attestiert Söder eine Form moderner politischer Kommunikation. Auch sie sieht darin aber durchaus eine Gratwanderung.

Söder: „Erfolg der Extremisten im Netz beruht auf Radikalität.“ 

Hinzu kommt, dass insbesondere die AfD in besagten Netzwerken extrem aktiv und erfolgreich ist und Söder sich hier wie im Parlament als personifizierte Brandmauer versteht, die AfD-Chefin Alice Weidel und Co das Feld nicht kampflos überlassen will: „Der Erfolg der Extremisten im Netz beruht auf Radikalität. Auf einer totalen Vereinfachung, das wollen wir in der Mitte nicht. Deshalb müssen wir andere Wege finden.“ Am Ende gehe es um Wirksamkeit: „Popularität führt zu Bindekraft.“ Es müsse aber auch die reale Politik funktionieren: „Das ist in Bayern der Fall, die Fakten sind eindeutig.“ 

Im Herbst 2025 schallt Söder aber auch noch von anderen Stellen parteiintern Kritik entgegen. Und dies nicht nur hinter verschlossenen Türen. Im Magazin „Stern“ nennt Horst Seehofer Söders Dauerattacke gegen die Grünen eine „strategische Fehlentscheidung“. Seehofers Vorgänger Erwin Huber wirft Söder vor, die CSU-Festlegung auf die Freien Wähler als Regierungspartner in Bayern nutze nur „dem Trittbrettfahrer Hubert Aiwanger“. Parteiintern mögen derartige Wortbeiträge kaum eine Rolle spielen, außerhalb der CSU kratzen sie dennoch an seiner demonstrativen Stärke.

Junge Union kritisiert Mütterrente und „Christian-Lindner-Syndrom“

Auch bei der Landesversammlung der Jungen Union musste sich Söder kürzlich öffentliche Kritik gefallen lassen: So stieß die Mütterrente - neben Asyl das milliardenschwere Kernthema der CSU im Bund - beim Parteinachwuchs auf wenig Gegenliebe. Bezogen auf Söders Machtrolle warnte ein Redner gar vor dem „Christian-Lindner-Syndrom“ in der CSU. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Mehrheit der JU-Redner Söder mit Standing Ovations applaudierte und die Zeit, in der CSU-Chefs die JU fürchten mussten, schon lange vorbei ist.

Gleichwohl ist der Vorwurf, Söder verstehe seine Arbeit als One-Man-Show, weder neu noch gänzlich von der Hand zu weisen. Tatsache ist, Söder ist im Moment absolut ungefährdet an der Spitze. Tatsache ist aber auch, dass die Partei seit Söder niemanden hervorgebracht hat, dem derzeit zugetraut wird, den Franken zu beerben. Darüber spricht in der CSU niemand laut, in kleinen Runden ist es aber längst Thema. 

Niemand in der CSU reicht an Söders Strahlkraft heran

Söders Strahlkraft ist innerhalb der CSU im Moment für niemand anderen auch nur ansatzweise erreichbar. Sein Glück sei es, dass es keinen zweiten Söder gebe. Ihn dafür ganz alleine verantwortlich zu machen, greift aber zu kurz. Zwar habe Söder auch dazu beigetragen, dass ihm niemand gefährlich werden könne, heißt es. Wahr ist aber auch, dass sich niemand in der CSU mit einem vergleichbaren Machtwillen und strategischen Denken aufdrängt.

„Es gibt keine Revolutionsführer“, fasst es ein Parteivorstandsmitglied zusammen. Die nächsten Gradmesser für Söder sind dessen Wiederwahl auf dem CSU-Parteitag Mitte Dezember und die Kommunalwahl im Frühjahr 2026. Die Söder-Dämmerung hat noch nicht begonnen.

© dpa-infocom, dpa:251012-930-151561/1


Von dpa
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