Als die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. vor rund zwei Jahren in Dresden zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, löste das heftige Proteste in der linksradikalen Szene aus. Das Oberlandesgericht (OLG) sprach die Angeklagte damals wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme sowie der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig. Sowohl E. als auch die Bundesanwaltschaft legten gegen das Urteil Revision ein. Daher widmet sich nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe dem Fall.
Die 29-jährige E. selbst wird heute bei der mündlichen Verhandlung am BGH nicht erwartet. Der Haftbefehl gegen sie wurde mit dem Dresdner Urteil 2023 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt – nach zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft kam sie also trotz der verhängten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten zunächst frei.
Die Reststrafe muss sie erst verbüßen, wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte. In der Regel klicken dann nicht sofort die Handschellen, sondern es folgt eine Ladung zum Haftantritt.
Der BGH prüft das Dresdner Urteil dabei ausschließlich auf Rechtsfehler. Er hört also keine Zeugen und erhebt keine Beweise. Die obersten Strafrichter Deutschlands können das Urteil der Vorinstanz dann bestätigen, selbst abändern oder aufheben. Im letzten Fall müsste in Dresden neu über die strittigen Teile verhandelt werden. Ob der Karlsruher Senat schon heute eine Entscheidung fällt, ist unklar. (Az. 3 StR 173/24)
In Dresden waren neben E. auch drei Männer angeklagt. Die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft wogen schwer. Nach Überzeugung der Anklagebehörde hatte die Gruppe zwischen 2018 und 2020 tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach brutal zusammengeschlagen. Laut Anklage wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedrohlich.
E. gilt bei der Bundesanwaltschaft als ein Kopf der Gruppe. In mindestens zwei Fällen soll sie das Kommando geführt haben. Die Karlsruher Behörde hatte acht Jahre Haft für E. gefordert. Ihre Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert und argumentiert, der Prozess sei politisch motiviert und am falschen Ort geführt.
Gegen das OLG-Urteil hatten Sympathisanten am Tag der Verkündung in mehreren Städten protestiert. Dabei kam es teilweise zu Ausschreitungen und Zusammenstößen. In Leipzig wurde eine Versammlung nach Angaben der Polizei für beendet erklärt, nachdem Flaschen und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen wurden. Solidaritäts-Kundgebungen für Lina E. gab es unter anderem auch in Berlin, Hamburg und Dresden.
Auch heute wird mit Protesten gerechnet. Unter anderem hat die Karlsruher Ortsgruppe der „Roten Hilfe“ vor dem BGH zu einer Kundgebung aufgerufen, „um den Prozess durch solidarische Präsenz zu begleiten“. Das Gericht hatte für die Verhandlung die Anmelde- und Zugangsregelungen für Pressevertreter und Zuschauer verschärft.
Die Gruppe um Lina E. sorgte zuletzt häufiger für Schlagzeilen. Im November konnte die Bundesanwaltschaft einen lange untergetauchten mutmaßlichen Komplizen festnehmen lassen - Johann G. Der frühere Lebensgefährte von E. soll laut der Behörde innerhalb der Gruppe eine „herausgehobene Stellung“ eingenommen haben. Unter anderem soll er im Februar 2023 in der ungarischen Hauptstadt Budapest gemeinsam mit anderen Menschen angegriffen haben, die aus Sicht der Angreifer dem rechten Spektrum zuzuordnen waren.
Im Zusammenhang mit dem Überfall auf tatsächliche und vermeintliche Neonazis in Budapest hatten sich im Januar sieben ebenfalls untergetauchte Personen den Behörden gestellt. Ihre Verteidiger wollen eine Auslieferung nach Ungarn verhindern und fordern ein Strafverfahren in Deutschland. Denn: Ihren Mandanten drohe in Ungarn eine Verurteilung zu einer „überlangen Haftstrafe“ von bis zu 24 Jahren, das dortige Verfahren genüge rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht, die Haftbedingungen seien menschenunwürdig.
Für Aufsehen sorgte vergangenen Sommer auch der Fall einer weiteren Beschuldigten in dem Komplex. Die in Jena geborene Person, die sich als non-binär identifiziert und als „Maja“ bekannt ist, wurde im Dezember 2023 in Berlin verhaftet und im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert - obwohl das Bundesverfassungsgericht das im Eilverfahren untersagte. Doch die Entscheidung aus Karlsruhe kam wenige Minuten zu spät. Bis heute sorgt die eilige Auslieferung für Kritik. Heute will das Bundesverfassungsgericht in der Sache seine Entscheidung im Hauptverfahren bekanntgeben.
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