Thomas Tuchel lächelte bei seiner pointierten Abschiedserklärung. Nach einer „sehr, sehr turbulenten letzten Woche“ ohne die spektakuläre „180-Grad-Wende“ beim FC Bayern sah es gefühlsmäßig in ihm aber anders aus. „Ich bin ein bisschen traurig, weil ich ungern Mannschaften verlasse“, sagte der 50-Jährige, der das neue Club-Angebot für ein längeres Miteinander publik machte. „Wir haben keine Einigung gefunden für eine weitere Zusammenarbeit, und deshalb bleibt es bei der Vereinbarung aus dem Februar.“
Nach entscheidenden Niederlagen auf dem Weg zur ersten titellosen Saison seit 2012 hatten die Bayern-Bosse vor drei Monaten die Trennung von dem anfangs bis 2025 verpflichteten Tuchel schon in diesem Sommer beschlossen. Die fast perfekte Champions-League-Saison mit dem bitteren wie unglücklichen K.o. gegen Real Madrid im Halbfinal entflammte die Trainer-Club-Beziehung neu - und hätte beinahe für eine einzigartige Volte gesorgt.
Stattdessen muss Sportvorstand Max Eberl nach der nächsten Trainer-Watschn nun abermals umplanen: Roberto De Zerbi vom englischen Erstligisten Brighton & Hove Albion gilt weiter als aussichtsreicher Kandidat. Oder doch der frühere Sieben-Titel-Trainer Hansi Flick? In der beispiellosen Bayern-Odyssee würde aber auch eine völlig neue Variante nicht mehr erstaunen.
Auf „einzelne Punkte“ und die Beweggründe der gescheiterten Einigung mochte Tuchel am Tag vor seinem finalen Bayern-Akt mit dem Bundesliga-Auswärtsspiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) bei der TSG 1899 Hoffenheim nicht öffentlich eingehen. Es sei aber nur um „minimale“ Dinge gegangen, sagte er bei der Pressekonferenz am Freitag.
Um nicht als Not- oder Übergangslösung wahrgenommen zu werden, hätte Tuchel einen Vertrag bis 2026 gebraucht. Das könnte ein Knackpunkt gewesen sein. Möglicherweise hatte Tuchel nach dem großen Transferausschuss im Sommer 2023 in der nächsten Wechselperiode auch ein größeres Mitspracherecht für sich eingefordert.
„Es ist nicht mein Verständnis, dass ich den Zettel abgebe oder einen Spielernamen nenne und sage: Okay, jetzt könnt ihr mir den holen, ansonsten kann ich nicht mehr trainieren oder bin weg oder sonst was“, wiegelte Tuchel ab. Er hob aber gleichzeitig „ein bisschen stolz“ hervor, dass er maßgeblich für den 100-Millionen-Transfer von Harry Kane, der kurz vor der Ehrung als Torschützenkönig in Hoffenheim weiterhin verletzt fehlt, verantwortlich war.
In der Bilanz von Tuchels 15-monatiger Amtszeit an der Säbener Straße drängt sich nach den starken letzten Königsklassen-Monaten die Frage auf, ob der richtige Mann nicht einfach nur zur falschen Zeit am eigentlich richtigen Ort war. In einer Knall-auf-Fall-Aktion hatten sich die früheren Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic im März 2023 vom heutigen Bundestrainer Julian Nagelsmann getrennt. Tuchel übernahm. In der Anfangsphase kassierte er sportlich kräftige Dämpfer mit dem Aus in DFB-Pokal und Champions League. Mit seiner Klassifizierung von „Thomas-Müller-Spielen“ prägte er eine überflüssige Debatte.
„Wir haben uns natürlich mit vollem Gewissen auch für Bayern entschieden, auch mit dem Wissen der Historie und der Historie der vorherigen Trainer“, bekräftigte Tuchel. Dass von den damaligen Entscheidungsträgern beim längst nicht komplett vollzogenen Club-Umbruch wenige Monate später „kein Einziger“ mehr am Tisch saß, machte es nicht leichter.
„Bei der Größe des Clubs zu erwarten, dass einfach nur Sonnenschein und flaches Wasser ist, wäre sehr naiv“, beschrieb Tuchel die speziellen Bayern-Verhältnisse. „Das wird mal stürmisch. Und es wird auch mal Wellen geben. Und da wird man ein bisschen seekrank.“
Durchgeschüttelt wurde Tuchel wenige Wochen vor dem Ende seiner nur mit der Meisterschaft 2023 dekorierten Bayern-Amtszeit auch von der unerwarteten Kritik von Ehrenpräsident Uli Hoeneß. Der hatte bemängelt, dass Tuchel junge Spieler nicht ausreichend entwickele. Der Coach fühlte sich in seiner „Trainerehre“ verletzt.
„Wenn nicht ausdrücklich mein Name genannt worden wäre, hätte ich mich überhaupt nicht angesprochen gefühlt. Und wenn es nicht auch noch Uli gewesen wäre, wäre alles nicht so schlimm gewesen“, sagte Tuchel nun. Man habe sich im Rahmen des Champions-League-Spiels gegen Real Madrid aber getroffen - „und dann das Thema auch begraben“.
Weniger leicht als diesen Zwist kann Tuchel das nach der ersten Trennungserklärung im Februar für ihn zu „1000 Prozent“ entschiedene Bayern-Aus nun ein zweites Mal hinter sich lassen. Vielleicht sei keinem am Ende klar, warum man sich überhaupt zur Trennung entschieden habe, sinnierte er. Das Frühjahr 2024, vor allem die Spiele in der Champions League, hätten „zusammengeschweißt“. Klar ist nun auch, warum Tuchel vor dem letzten Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg nicht offiziell verabschiedet worden war.
„Man kann natürlich sagen, dass eine titellose Saison mit Bayern München nie zufriedenstellend ist“, sagte Tuchel. Aber wenn man „das Buch nicht nur auf der Titelseite“ lesen würde, sondern es durchblättere, sei das Fazit differenziert. Bayer Leverkusen war in der Liga einfach zu gut für diesen FC Bayern, der mit seiner Punkteausbeute in vielen Spielzeiten auch deutscher Meister geworden wäre. Dem peinlichen Pokal-Aus gegen Drittligist Saarbrücken stand eine furiose Königsklassen-Saison entgegen.
„Ich glaube, dass wir immer unsere Spuren hinterlassen“, sagte Tuchel. „Wir haben das Recht, auch mit erhobenem Kopf aus diesen 15 Monaten rauszugehen.“
Wo es für den früheren Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea weitergeht, ist offen. Er könne es nicht sagen, so der 50-Jährige. Tuchel gilt als Kandidat für den Trainerposten bei Manchester United, falls es dort mit Erik ten Hag nicht weitergehen sollte.
Ten Hag wurde wiederholt als Variante für den FC Bayern kolportiert. Nachdem die Zukunft von Xabi Alonso (Bayer Leverkusen), Nagelsmann, Österreichs Teamchef Ralf Rangnick nicht in München liegt, könnte auch das Comeback von Flick wieder zum Thema werden.
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