Hier zu sein, im deutschen Teamhotel bei der Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm, das hätte Jonas Stockinger vor vier Jahren kaum für möglich gehalten. Es sei „eine Welt zusammengebrochen“, sagt der 25-Jährige über den Anruf, der seine Karriere damals ins Wanken brachte.
Der Deutsche Skiverband (DSV) hatte ihn darüber informiert, dass er vorerst aussortiert sei. Aufhören oder weitermachen? Stockinger stand plötzlich vor dieser Grundsatzfrage - und riesigen Hürden. Doch er kämpfte sich zurück. Genau wie Anton Grammel. Nun erfüllt sich das Duo seinen WM-Traum.
Gemeinsam mit Fabian Gratz vertreten Stockinger und Grammel am Freitag (9.45 und 13.15 Uhr/ZDF und Eurosport) die deutschen Farben im Riesenslalom der Herren. Sie treten als Außenseiter an. Überhaupt dabei zu sein und auf diese gewaltige, mehr als 20 Meter hohe Fan-Tribüne im Zielraum zufahren zu dürfen, empfindet Stockinger aber schon als „Bestätigung, dass es sich gelohnt hat, weiterzukämpfen und all die Strapazen auf sich zu nehmen“.
Grammel geht es da nicht anders. Auch er war 2021 beim DSV durch das Raster gefallen, daraufhin „geschockt“ und „auch ein bisschen wütend“ gewesen. Doch der schwierige Weg durch die Niederungen des Alpinsports, zurück in die Elite, hinein in den Weltcup und bis hin zu dieser WM hat das Duo auch geprägt.
Wenn sie der Verband nicht trägt, muss ein Athlet die Kosten für eine Saison und die dazugehörige Vorbereitung selbst stemmen. Die beiden deutschen Riesenslalomfahrer schlossen sich vorübergehend Privatteams an - Stockinger für zwei Jahre, Grammel für eins. Bei vielen Dingen - der Organisation von Hotels und Trainingsorten etwa - wird einem auch dort geholfen. Man sei „gut versorgt“, sagt Grammel. „Aber es hat seinen Preis.“ Da steige man im Zweifelsfall lieber mal in einer Ferienwohnung ab und koche selbst, meint er.
Trainer, Lift-Tickets, Unterkünfte, Tankfüllungen: All das muss bezahlt werden. An die 30.000 Euro pro Saison habe ihn das gekostet, berichtet Stockinger - und er habe es „echt minimal gehalten“. Unterstützung aus der Familie nahm er nur zähneknirschend an. Seine Ersparnisse hätten nahezu komplett dran glauben müssen, sagt Grammel. Dass sie Sportsoldaten bei der Bundeswehr bleiben konnten und dadurch ein Grundeinkommen hatten, half beiden.
Dennoch habe ihn die Situation „mental eine Zeit lang ganz schön belastet“, sagt Stockinger. Alle Finanzen selbst regeln zu müssen und nicht zu wissen, ob man wirklich auf die große Karriere einzahlt, den Sprung womöglich doch nicht schafft oder gar von einer schweren Verletzung ausgebremst wird - das kann einem schlaflose Nächte bereiten. Erst als er weniger darüber nachgedacht habe, sei er wieder besser Ski gefahren, erklärt Stockinger. Vorige Saison gewann er die Riesenslalom-Wertung im zweitklassigen Europacup.
Grammel machte gerade in jener Saison, die er in Eigenregie bestreiten musste, einen „großen Schritt“, wie er sagt. „Das eine Jahr war sehr teuer, aber auch sehr nachhaltig.“ Er habe „viel daraus gelernt“. Vor allem, den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren. Es sei ein „Kehrpunkt in seiner Karriere“ gewesen.
Um Medaillen fahren die Deutschen am Freitag nicht. Der Schweizer Topstar Marco Odermatt ist einmal mehr der große Favorit. Alexander Schmid, der beste Riesenslalomfahrer des DSV und Parallel-Weltmeister von 2023, fehlt verletzt.
Zumindest in die Top 20 haben es in dieser Saison aber auch schon Stockinger, Grammel und Gratz geschafft. „Ich halte es durchaus für realistisch, dass wir in ein, zwei, drei Jahren ganz vorn mitmischen können“, sagt der 26-jährige Grammel. Die Zuversicht ist ungebrochen - trotz aller Widerstände, die es schon zu überwinden galt.
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