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Veröffentlicht am 23.12.2024 04:02, aktualisiert am 23.12.2024 20:14

Täter wirr und radikal – Bemühen um Aufklärung nach Anschlag

Was trieb den Täter von Magdeburg? (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
Was trieb den Täter von Magdeburg? (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
Was trieb den Täter von Magdeburg? (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Nach dem tödlichen Anschlag von Magdeburg bemühen sich die Behörden weiter um Aufklärung. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr, verdichten sich die Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters Taleb A. Zuletzt hatte sich dieser in sozialen Medien zunehmend wirrer und radikaler zu Wort gemeldet. In einem Interview zeigte sich der 50-Jährige jüngst als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge – bezeichnete sich aber als politisch links.

Für diese Einschätzung spricht auch die Entscheidung, dass das Verfahren vorerst weiter in Sachsen-Anhalt geführt wird. Der Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU). Stattdessen hat nun die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg übernommen. Sie spricht von einer Amokfahrt, die Ermittler halten aber auch den Begriff Anschlag für zutreffend. Der Generalbundesanwalt ist zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität. 

Taleb A. war am Freitagabend mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gerast und hatte fünf Menschen getötet und mehr als 200 verletzt. Der Arzt aus Bernburg südlich von Magdeburg stammt aus Saudi-Arabien, lebt seit 2006 in Deutschland und erhielt 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Er war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Zahl der Verletzten gestiegen

Die Zahl der Verletzten hat sich nach Informationen der Staatsanwaltschaft inzwischen erhöht. Sie liege nun bei bis zu 235, sagte ein Sprecher in Magdeburg. Es hätten sich noch Menschen in der Uniklinik und bei Ärzten gemeldet. Nicht auszuschließen sei aber, dass es Doppelzählungen gegeben habe. Bislang war von 200 Verletzten ausgegangen worden. Die Zahl der Todesopfer liege weiter bei fünf, hieß es. 

Bei dem Anschlag wurden ein neunjähriger Junge sowie vier Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren getötet. Bei einem Sondertermin im Universitätsklinikum Magdeburg spendeten am Montag viele Menschen spontan Blut.

„Spiegel“-Bericht: Testament in Auto gefunden

Nach Informationen des „Spiegel“ fanden die Ermittler nach der Tat in dem Auto das Testament des Täters. Darin soll Taleb A. dem Bericht zufolge geschrieben haben, dass nach seinem Tod sein Vermögen an das Deutsche Rote Kreuz übergehen soll. Politische Botschaften waren laut „Spiegel“ nicht in dem Dokument. 

Den zuständigen Bundesbehörden war Taleb A. seit spätestens Anfang 2015 ein Begriff. Wie das Innenministerium in Schwerin auf Anfrage mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.

Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.

Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel (SPD) lebte der heute 50-Jährige von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und absolvierte in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung. Mit der Landesärztekammer habe es Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund habe er versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durchzusetzen. 

Nach Drohungen nicht als Gefährder eingestuft 

Laut Pegel hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. wegen der Drohungen gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge offenbart. Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer sogenannten Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden, sagte Pegel. 

Mit einer Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen. 

Auch in den Monaten vor der Tat hatte die Polizei noch Kontakt zu dem Mann, diesmal in Sachsen-Anhalt. Im September 2023 und Oktober 2024 seien Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg, ohne Details zu nennen.

Warnung vor Rassismus

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, hatte im ZDF gesagt, der Mann habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt. Es sei aber noch nicht abschließend möglich zu sagen, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei.

Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, warnte vor politischer Instrumentalisierung des Anschlags. „Leider wird auch diese Tat nun als Ventil genutzt, um Rassismus freien Lauf zu lassen“, erklärte sie in Berlin. Seit dem Wochenende berichteten Beratungsstellen aus Magdeburg und Umgebung von einer zunehmend feindseligen Stimmung und gewaltsamen Übergriffen gegen Migrantinnen und Migranten und Musliminnen und Muslimen. 

Durchs Raster gefallen?

Am kommenden Montag wollen sich der Bundestags-Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste in Berlin zu Sondersitzungen treffen. Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle hält die Behörden zum Teil für überfordert. Die Raster dort passten auf Täter, die bestimmte islamistische, rechtsextreme oder linksextreme Motive haben, sagte er im Deutschlandfunk. 

Es gebe aber eine „Ohnmacht“, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die über Jahre in wirrer Art und Weise auch Gewaltdrohungen äußerten und etwa unter Verfolgungswahn litten und psychische Probleme haben. Deren Zahl sei „durchaus groß“, so Kuhle. Wenn es dann noch so viele unterschiedliche Zuständigkeiten bei den Behörden gebe, fielen solche Täter durchs Netz.

Der geschäftsführende Bundesjustizminister Volker Wissing (parteilos) äußerte sich ähnlich und wies auf Auffälligkeiten des späteren Täters hin. „Nach dem, was bisher bekannt ist, waren seine politischen Äußerungen jedoch so wirr, dass kein sicherheitsbehördliches Schema auf ihn passte“, sagte Wissing den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

„Ich halte es für möglich, dass wir daraus Konsequenzen für unsere Sicherheitsarchitektur ziehen müssen. Und ich halte es für geboten, dass wir darüber eine ernsthafte Debatte führen“, so Wissing. Es seien aber noch viele Fragen offen. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck äußerte in Flensburg die Hoffnung, der Anschlag möge nicht zum Thema für den Bundestagswahlkampf werden.

© dpa-infocom, dpa:241223-930-325892/7


Von dpa
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