Angst vor dem großen sportlichen Absturz hat Gabriel Clemens nicht. Stattdessen reist Deutschlands bekanntester Darts-Profi mit Vorfreude nach London. „Ich habe gute Erinnerungen. Ich mag die WM einfach. Ich liebe es, im Ally Pally zu spielen“, sagte Clemens vor der Rückkehr an die Stätte seines größten Erfolgs. Wenn er am Donnerstag (16.30 Uhr/DAZN und Sport1) auf den walisischen Außenseiter Robert Owen trifft, ist die Fallhöhe gleich aus zwei Gründen so groß wie nie zuvor.
Denn: Die deutschen Profis sind bei dieser WM noch unbesiegt. Und Clemens, der vor zwei Jahren mit einem Sieg gegen Gerwyn Price bis ins WM-Halbfinale gestürmt war, droht nach einem schwachen Jahr aus den Top 32 der Welt zu fallen. Die damals erspielten 100.000 Pfund fallen nach der WM aus der Wertung für die Weltrangliste, die sich aus den Preisgeldern ergibt.
„Dank der ganzen Medienvertreter werde ich immer darauf angesprochen. Das gehört dazu. Mich beeinträchtigt das nicht. Mich beschäftigen diese 100.000 Pfund auch nicht, da mache ich mir wenig Kopf drum“, sagte Clemens. Auf der Anhöhe im Norden Londons hat der Saarländer die Sternstunden seiner bisherigen Laufbahn erlebt. Neben Price (Wales) besiegte er mit Peter Wright aus Schottland einen weiteren Ex-Weltmeister bei der WM.
Geändert hat sich das deutsche Gesamtbild. Clemens wurde als deutsche Nummer eins von Martin Schindler abgelöst, zudem drängen immer mehr Spieler nach oben. Neben dem befreundeten Duo Schindler und Clemens sind auch Florian Hempel, Niko Springer, Ricardo Pietreczko und Kai Gotthardt auf der Insel dabei - sechs Teilnehmer hatte Deutschland zuvor nie. Und Pietreczko (3:0 gegen Zong Xiao Chen) sowie Gotthardt (3:1 gegen Alan Soutar) haben ihre jeweils erste Hürde schon genommen.
Die Rekordanzahl an Teilnehmern und die Auftaktsiege sorgen dafür, dass bis Weihnachten deutsche Tage im Ally Pally warten. Am Donnerstag und Freitag sind je zwei Spieler im Einsatz, am Sonntag und Montag folgen weitere Partien mit deutscher Beteiligung.
Obwohl es abseits von Clemens' Lauf bei der WM 2023 noch immer nicht den großen Coup gab, steigen auch die eigenen Erwartungen der Deutschen. „Ich fahre auf Turniere, weil ich sie gewinnen will. Das gilt auch für die WM“, sagte Pietreczko.
Der Mann mit dem Spitznamen Pikachu steht sinnbildlich für so manche verpasste Chance in den vergangenen WM-Jahren. Im Vorjahr verspielte der Nürnberger eine 3:1-Führung gegen den späteren Titelträger Luke Humphries - und verlor noch mit 3:4. „Ich sage immer scherzhaft: Hätte ich ihn geschlagen, wäre ich Weltmeister geworden“, sagte Pietreczko. Er spricht trotz der bitteren Niederlage von „einem Karrieresprung“.
Einen solchen Sprung wollen in den kommenden Wochen bis zum 3. Januar mehrere deutsche Profis machen. Pietreczko trifft als nächstes auf das niederländische Riesentalent Gian van Veen und gilt dabei als Außenseiter. „Ich mag Gian, wir verstehen uns sehr, sehr gut. Es ist kein angenehmes Los, aber ich glaube, das hat er sich auch gedacht“, sagte Pietreczko bei Sport1.
In der Außenseiter-Rolle befinden sich auch Gotthardt (gegen Ex-Titelträger Stephen Bunting) sowie Springer (im Duell mit WM-Halbfinalist Williams). Wer es in Runde drei schafft, darf nach Weihnachten in die britische Hauptstadt zurückkehren. Dann dürften noch mehr deutsche Fans im Ally Pally vertreten sein als vor den Feiertagen.
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