Trierer Amokfahrer steht erneut vor Gericht | FLZ.de | Stage

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Veröffentlicht am 27.02.2024 04:18

Trierer Amokfahrer steht erneut vor Gericht

Petra Lieser mit einem Foto ihrer Tochter Katja in Trier. Katja Lieser war am 1. Dezember 2020 bei einer Amokfahrt getötet worden. (Foto: Birgit Reichert/dpa)
Petra Lieser mit einem Foto ihrer Tochter Katja in Trier. Katja Lieser war am 1. Dezember 2020 bei einer Amokfahrt getötet worden. (Foto: Birgit Reichert/dpa)
Petra Lieser mit einem Foto ihrer Tochter Katja in Trier. Katja Lieser war am 1. Dezember 2020 bei einer Amokfahrt getötet worden. (Foto: Birgit Reichert/dpa)

Es ist totenstill, als der Amokfahrer den Gerichtssaal betritt. Der Mann, der vor gut drei Jahren mit einem Geländewagen durch die Trierer Fußgängerzone raste und gezielt Passanten anfuhr: Fünf Menschen starben unmittelbar, zudem gab es Dutzende Verletzte und Traumatisierte. Viele fragen sich am Dienstag zu Beginn des neu aufgerollten Prozesses um die Amokfahrt vom 1. Dezember 2020: Wird der heute 54-Jährige dieses Mal etwas zu den Vorwürfen sagen? 

Angehörige und Opfer, die vielleicht darauf gehofft hatten, wurden zunächst enttäuscht. Denn erst mal sagte er nichts. „Er wird sich gegebenenfalls in Teilen einlassen, aber noch nicht heute“, erklärte dessen Verteidiger Frank K. Peter.  Oberstaatsanwalt Eric Samel reagierte verärgert: Er wolle „sein Unverständnis“ zum Ausdruck bringen, dass es am Dienstag keine Einlassung gebe. Zeit zur Vorbereitung habe es genügend gegeben. Im ersten, rund einjährigen Prozess hatte der Deutsche geschwiegen. 

Weiteres Todesopfer

Der Prozess wird seit Dienstag in Teilen neu aufgerollt, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das erste Urteil überwiegend aufgehoben hat. Gleich zu Beginn der Verhandlung wurde bekannt, dass ein bei der Tat schwerst verletzter Mann in der Nacht zum Dienstag gestorben ist. Betroffenheit im Gerichtssaal. Der 66-Jährige sei „an den direkten Folgen der bei dem Tatgeschehen erlittenen Verletzungen“ gestorben, teilte dessen Anwalt Andreas Ammer mit. Der Mann war seit der Amokfahrt voll pflegebedürftig gewesen. 

Worum geht es?

In der Teil-Neuauflage des Prozesses steht die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Fokus. Denn nach Ansicht des BGH haben die Trierer Richter Fehler gemacht. Bei dem Mann war eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Deswegen hatte das Gericht ihn generell für vermindert schuldfähig gehalten. Konkret auf die Tat bezogen geprüft und begründet hatte das Gericht die Annahme jedoch nicht, urteilte der BGH. Zudem hatten demnach die Trierer Richter es versäumt, die Auswirkungen des Alkoholkonsums des Angeklagten in Kombination mit seiner Krankheit auf die Schuldfähigkeit zu prüfen.

Dass der Angeklagte der Täter war, ist im neuen Prozess unbestritten. Daher müsse der Teil des Trierer Urteils vom August 2022, der die Amokfahrt vom Abbiegen in die Fußgängerzone bis zur Festnahme des Mannes betreffe, nicht noch mal behandelt werden, sagte der Vorsitzende Richter Armin Hardt. „Wir konzentrieren uns also auf das Geschehen vor und nach der Tat.“

Der Mann war wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete die Unterbringung des Mannes in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an.

Video der polizeilichen Vernehmung

Um sich ein Bild des Angeklagten zu machen, wurde am Dienstag ein erstes Video aus seiner polizeilichen Vernehmung direkt nach der Tat im Gerichtssaal eingespielt. Als ein Polizist ihm sagte, was ihm vorgeworfen werde, erwiderte er: „Oh je.“ Gut gehe es ihm nicht, er spüre im Oberkörper und Kopf ein Ziehen und Druck. Wie viel er am Tattag getrunken habe, wisse er nicht. Man trinke halt, wenn man keine Arbeit habe, sagte er im Video - und zählte etliche Medikamente auf, die er wegen zahlreicher Krankheiten nehme. Er habe keinen Wohnsitz, lebe im Auto und habe kein Hab und Gut. 

Last für Angehörige

Der neue Prozess ist für Opfer und Hinterbliebene eine große Belastung. „Der Albtraum hört nicht auf. Man kommt nicht zur Ruhe“, sagte Petra Lieser, deren Tochter Katja Lieser im Alter von 25 Jahren bei der Amokfahrt getötet wurde. Auch wenn der Prozess „alles noch einmal aufrüttelt“: Sie werde alle zehn Prozesstage bis zum 2. Mai im Gerichtssaal dabei sein, sagte Lieser. „Ich hoffe sehr, dass das in zehn Tagen vorbei ist. Und dass der Täter weggesperrt bleibt.“ Mit einem möglichen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit - damit könne sie nicht leben. Auch wenn er dann noch in die Psychiatrie komme. Dann habe man immer Angst, dass er eines Tages wieder entlassen werde, sagte die 55-Jährige.

„Bei mir ist es absolute Wut. Nicht nur auf den Angeklagten, sondern auch auf unsere Gerichtsbarkeit“, sagte Wolfgang Hilsemer, der bei der Amokfahrt seine Schwester (73) verlor und dessen Schwager später an erlittenen Verletzungen starb. Der neue Prozess werde auch eine Belastung für manche Zeugen sein, sagte er. Insgesamt sind im neu aufgerollten Prozess rund 60 Zeugen geladen.

Was könnte herauskommen?

Nach Ansicht des Trierer Strafrechtsprofessors Mohamad El-Ghazi ist die Frage der Schuldfähigkeit „jetzt grundsätzlich offen“. Das Gericht könnte am Ende erneut zu dem Ergebnis kommen, dass der Mann vermindert schuldfähig sei. Oder dass er schuldunfähig sei: Dann gebe es einen Freispruch, weil man ihn nicht zur Verantwortung ziehen könnte, sagte El-Ghazi.  In dem Fall käme er in ein geschlossenes psychiatrisches Krankenhaus. Bei Schuldfähigkeit bekomme der Angeklagte eine lebenslange Haftstrafe. Als psychiatrischer Gutachter ist nun der Göttinger Universitätsprofessor Jürgen Müller dabei.

Ob der Angeklagte etwas sagen wird oder nicht - für Petra Lieser macht es keinen Unterschied. „Es gibt dafür keine Erklärung“, sagte sie. Seit der Tat sei für sie kein normales Leben mehr möglich. „Katja fehlt uns so sehr.“ Im Garten brenne weiterhin eine weiße Kerze in der Laterne für ihre Tochter. Tag und Nacht. 

© dpa-infocom, dpa:240227-99-136358/4


Von dpa
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