Irgendwie hängt in Bergen alles mit Wasser zusammen. Die Stadt im Südwesten Norwegens liegt eingebettet zwischen den steilen Hängen einer Fjordlandschaft. Das grünblaue Wasser kalt ist wie die Gletscherschmelze und für die Region lebenswichtig. Auch von oben kommt es reichlich: Mit rund 200 Regentagen pro Jahr gilt Bergen als die regenreichste Stadt Europas.
Nach einem entspannten Urlaub klingt das nicht gerade. Doch es gibt ein großes Aber, das viel mit dem zu tun hat, was wir täglich machen: essen. Seit 2015 ist Bergen Unesco-Stadt der Gastronomie: Kulinarische Tradition, nachhaltiger Lebensmittelproduktion und die umgebende Natur gingen eine außergewöhnliche Verbindung ein. Fisch und Meeresfrüchte gehören seit der Hansezeit zum Stolz der Stadt.
Im Stadtteil Bryggen schaukeln schon früh am Morgen die Ausflugsschiffe startklar im Wasser. Bryggen, das ist das historische Hafenviertel Bergens und mit seinen bunten Holzhäusern nicht nur ein Wahrzeichen der Stadt, sondern als Weltkulturerbe von der Unesco ebenfalls gewürdigt. Bryggen ist authentisches Zeugnis der Hansezeit.
Seit dem Mittelalter legten hier Fischerboote an, voll beladen mit Stockfisch. Die Kaufleute der Lübecker Hanse verschifften ihn weiter in Europa, und Bergen wurde reich. Heute drängen sich Kreuzfahrtgäste durch die Reihen der Marktstände, an denen Frisches aus dem Meer verkauft wird, und der Stockfisch mit Geschenkbändchen versehen. Auch Elchsalami oder lokaler Honig sind drapiert.
„Bergen riecht man, bevor man es sieht“, sagt Alf Roald Sætre. Das hätten früher die Fischer gesagt, bevor sie in den Hafen einfuhren. Sætre ist eine außergewöhnliche Figur in der norwegischen Gastronomieszene, ein Geschichtenerzähler und Selfmade-Unternehmer. Er stammt aus einer Bergener Fischerfamilie.
„Mein Großvater begann in den 1880er-Jahren mit der Zucht von Muscheln und Austern, und ich setze die Tradition in dritter Generation fort.“ Mehrmals die Woche taucht er bis zu 30 Meter tief nach Meeresfrüchten, mit über 70 Jahren. Nur dann legt er seinen Cowboyhut ab, sein Markenzeichen, das ihm den Spitznamen „Oyster Dundee“ eingebracht hat. „Das hält mich fit.“
Die Ausbeute, allein etwa 1.000 Jakobsmuscheln in der vergangenen Woche, landet in der Küche seines Restaurants „Cornelius“ - benannt nach dem Großvater - auf einer kleinen Schäreninsel vor Bergen, die nur per Boot erreichbar ist. Jeden Abend bringt die Fähre Gäste aus Bryggen und holt sie vier Stunden später wieder ab. Die 20-minütige Fahrt durch den Fjord ist ein Highlight und Teil des Konzepts.
Sætre und sein Geschäft sind ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Fisch in Bergen und ganz Norwegen nicht nur tief in der Alltagskultur verankert, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Das skandinavische Land ist der zweitgrößte Fisch-Exporteur weltweit.
„Angeln war bei uns Familienprogramm, fast jedes Wochenende ging es aufs Wasser“, sagt die 25-jährige Line Gjertsen. In den Sommermonaten arbeitet die Studentin als Outdoor-Guide im Fischerdorf Vik in Øygarden, rund 35 Kilometer westlich von Bergen.
An diesem Tag steuert sie ein kleines Boot durch die Schären. Es riecht nach Salz, Seetang und Motoröl. Vor einigen Tagen hat Gjertsen Reusen ausgelegt. „Wir schauen nach Hummer“, sagt sie – doch Fehlanzeige. Nur ein paar Seesterne, die schnell ins Wasser zurückbefördert werden. Dann bekommen die Gäste Angelruten. Nach und nach füllt sich ein Plastikeimer mit Makrelen. Noch an Bord werden sie ausgenommen, später an Land filetiert.
Was gefangen wird, wird gegessen – draußen, ohne Schnickschnack: Am Bootshaus gibt es eine Suppe mit Makrelen, Karotten, Zwiebeln und Sahne. Anschließend Waffeln, noch heiß vom Eisen, dazu Erdbeermarmelade oder eine Scheibe Braunkäse.
Der süße karamellartige Molkekäse ist ein norwegisches Kultprodukt. Früher jedoch war er ein Symbol der Not, handgefertigt aus dem, was bei der Käseherstellung übrigblieb: Molke und Sahne - für eine Küche, die mit wenig auskommen musste und den Menschen Improvisation abverlangte.
Bis weit ins 20. Jahrhundert gehörte Norwegen zu den ärmsten Ländern Europas. Fleisch war rar, Obst teuer, verwertet wurde alles, was es gerade gab. Mit den Ölfunden in der Nordsee nach Ende der 1960er-Jahre kamen Wohlstand und Reichtum ins Land. Auch der Braunkäse machte Karriere und fand den Weg in die Supermärkte, an den Souvenirständen in Bryggen gibt es ihn in Herzform.
Frisches Grünzeug ist auch heute noch teuer und der lokale Anbau schwierig. Sternekoch Christopher Haatuft hat seine eigene Lösung gefunden. Wenn er Gemüse oder frische Kräuter für sein Restaurant „Lysverket“ haben möchte, steigt er auf Dächer, etwa dem eines Industriegebäudes im Bergener Stadtteil Kokstad.
Zwischen Bienenstöcken, Beeten und Regenwassertanks wächst dort auf knapp 40 Quadratmetern, was er später in der Küche verarbeiten wird: Salat, Zucchini und andere Sorten, alles in Bioqualität. „Wir haben hier die besten Meeresfrüchte, aber es gibt nur wenig Ackerland, Gemüse ist Mangelware, das meiste wird importiert“, sagt Haatuft.
Gemeinsam mit dem Landschaftsgärtner Sigurd Boasson gründete er das Projekt MatTak – „Essbares Dach“. Die Idee: ungenutzte Flächen in grüne Gärten verwandeln. Gemüseanbau statt Kies, Wildbienen statt Antennen. Kleine Naturbiotope, die Regenwasser speichern, Lebensraum für Vögel und Insekten bieten und das Stadtklima verbessern.
Für Christopher Haatuft ist es mehr als eine pragmatische Lösung. Etwa die Hälfte seines Gemüses stammt inzwischen von den Dächern; Fisch, Fleisch und Milchprodukte liefern Produzenten aus der Region. „Neo-Fjord“ nennt er seine Küche, inspiriert von der rauen Küste, den traditionellen Rezepten und der Idee, dem Klimawandel mit Kreativität zu begegnen.
In einer Stadt, die vom Wasser geprägt ist, von Regen und Meer, zeigt sich Nachhaltigkeit auch dort, wo sie niemand vermutet. Und schmecken kann man sie auf dem Teller eben auch.
Reiseziel: Mit rund 290.000 Einwohnern ist Bergen die zweitgrößte Stadt Norwegens. Sie liegt im Westen des Landes und wird als Tor zu den Fjorden bezeichnet. Bergen ist unter anderem Ausgangspunkt für Ausflüge zum Hardangerfjord und Sognefjord, den längsten und bekanntesten des Landes.
Beste Reisezeit: Von September bis Januar gibt es viele Regentage, was die gute Küche nicht schmälert. Die Chancen auf besseres Wetter stehen ab Mai besser. Im Hochsommer liegen die durchschnittlichen Tagestemperaturen zwischen 15 Grad und 25 Grad.
Anreise: Direktflüge nach Bergen unter anderem von Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München. Der Flughafenshuttle Flybussen fährt direkt ins Zentrum von Bryggen. Tickets sind deutlich günstiger, wenn sie vorab online gekauft werden. Wer spektakuläre norwegische Berg- und Seenlandschaft erleben möchte, kann von Oslo in knapp sieben Stunden mit der Bahn anreisen.
Währung: 11,62 Norwegische Kronen entsprechen einem Euro (Stand: 9.10.2025). Bezahlt wird überall mit EC- oder Kreditkarte. Das Preisniveau ist hoch.
Tipp: Die Bergen Card ermöglicht freien oder ermäßigten Eintritt zu zahlreichen Museen, Sehenswürdigkeiten und kulturellen Einrichtungen in Bergen. Außerdem gilt sie als Fahrkarte für Busse und die Straßenbahn im Stadtgebiet sowie in der umliegenden Region Vestland.
Unterkunft: Im Zentrum von Bergen gibt es zahlreiche Hotels in allen Preisklassen. In Umgebung findet man schöne Fjordhotels am Wasser.
Touren/Aktivitäten: Ganzjährig können halb- oder ganztägige Schiffstouren in Fjorde unter de.visitbergen.com gebucht werden (ab umgerechnet 73 Euro pro Person). FjordExpedition bietet Angel- und Kochtouren in Øygarden außerhalb von Bergen an. Die Tour dauert 5 Stunden und kostet rund 215 Euro, inklusiv Verköstigung, Equipment und Shuttleservice von Bryggen.
Gastronomie: Im „Cornelius Sjømatrestaurant“ gehen Essen, vor allem Seafood, und Entertainment Hand in Hand. Für seine kreative Fjordküche hält das Restaurant „Lysverket“ von Christopher Haatuft einen Michelin-Stern. In uriger Wohnzimmeratmosphäre eines Hansehauses in Bryggen speist man im „Enhjørningen Fiskerestaurant“. Kultiger Hotdog-Imbiss ist der Trekroneren, Spezialität: Rentierbratwurst mit Röstzwiebeln und Preiselbeeren.
Weitere Informationen: visitbergen.com
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