Damit Freundschaften Bestand haben, braucht es auch ein gewisses Maß an Toleranz und Humor. „Gelegentlich ärgert man sich über jeden“, sagt Psychotherapeut Wolfgang Krüger. Im Interview erklärt er, wie man mit Streitigkeiten und Entfremdung am besten umgeht und wann es vielleicht an der Zeit ist, loszulassen.
Frage: Innerhalb eines Freundeskreises gab es Streit. Ist es trotzdem möglich, sich für eine Feier zusammenzureißen und die gemeinsame Zeit genießen zu können?
Wolfgang Krüger: Das hängt von der Freundschaft ab. Wenn wir ständig Dauerkonflikte haben, die wir nicht klären können, ist es ein Hinweis auf Entfremdung und dass es zum Teil keine gemeinsame Basis mehr gibt. Darauf reagieren wir, indem wir uns von dem anderen vollständig zurückziehen oder ihn herunterstufen. Freunde, die uns ganz wichtig waren und innerlich auf Platz sechs unserer Freundschaftsskala standen, stufen wir dann nur noch auf Platz 13 ein.
Das merken wir spätestens dann, wenn wir sie nicht mehr zum Geburtstag einladen. Wenn wir uns stärker von ihnen entfernt haben und nicht mehr so viel erwarten, können wir mit dem anderen wieder souveräner umgehen. Das ist möglich, weil wir die Tatsache, dass die Freunde schwierig sind, in irgendeiner Weise akzeptieren und gar nicht mehr um eine Veränderung ringen. Dann kann ich mit dem anderen auch wieder umgehen und mich bei einer Einladung im Notfall über den Kartoffelsalat mit ihm unterhalten.
Frage: Konflikte können für Freundschaften zur Zerreißprobe werden. Wie ist es überhaupt möglich, Streitpunkte zu überwinden oder diese auszuklammern?
Krüger: Es gibt einige Schleichwege, wenn man merkt, dass man sich über Konfliktthemen nicht unterhalten kann. Zum Beispiel über den Ukraine-Krieg - soll man Waffen liefern oder nicht? Oder über die Klimakatastrophe oder über Corona. Dann habe ich die Möglichkeit, aus der Konfliktebene herauszugehen und auf eine persönliche Ebene zu wechseln. Dann fragt man: Wie seid ihr bisher im Leben mit Krisen umgegangen? So kann man von der eigentlichen Problematik weg und hin zu existenziellen Fragen des Lebens kommen.
Dann kann es sein, dass man sich mit Freunden, mit denen man sich beispielsweise nicht über Corona unterhalten konnte, plötzlich über andere menschliche Themen reden kann.
Betrifft es aber Lebenswerte, in denen jemand völlig andere Meinungen vertritt, reagiert man betroffen bis etwas skeptisch. Passiert das in vielen Bereichen, färbt sich eine Freundschaft ein und man merkt, dass der andere eine andere Wertewelt hat. Dann kann es sein, dass man den anderen herunterstuft, weil man merkt, wie fremd derjenige in seiner Art, das Leben zu sehen, geworden ist.
Es gibt im Grunde zwei Möglichkeiten: Um Konflikte ringen oder resignieren und sich zurückziehen. Wir können Streitthemen nur ausklammern, wenn sie im Alltag keine allzu große Rolle spielen und keine lebenspraktische Bedeutung haben. Also Themen wie Sport, Rauchen oder auch religiöse Ansichten.
Frage: Ab welchem Punkt ist es ratsam, sich von der Beziehung besser zu trennen?
Krüger: Dafür gibt es keine klaren Kriterien, weil wir in jeder Freundschaft akzeptieren müssen, dass es einen Knochen gibt, an dem wir nagen. Gelegentlich ärgert man sich über jeden. Wir brauchen in Freundschaften auch eine gewisse Toleranz und Humor. Wenn man sich aber monatelang immer ärgert, kommt man ins Grübeln. Zum Beispiel weil eine Freundin nur anruft, um ihr Zeug loszuwerden. Ihr geht es danach besser, mir aber schlechter.
Es gibt einen Punkt, an dem man merkt, es geht uns in den Freundschaften nicht gut. Dann fängt man an, sie zu überprüfen und guckt mal genauer hin. Und wenn das noch zwei, drei Mal passiert, hat man irgendwann keine Lust mehr. Es ist immer eine Bilanz.
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