So ziemlich jede Frau dürfte dieses Gefühl kennen. Schnellen Schrittes und mit dem Schlüssel in der Hand führen die letzten Meter bis nach Hause durch eine dunkle Unterführung. Für viele Mädchen und Frauen ist der Heimweg in der Nacht mit Angst verbunden. Durch die „Stadtbild“-Debatte um öffentliche Sicherheit und Migration nimmt das Thema jetzt wieder an Fahrt auf.
Seit Wochen wird über die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) diskutiert. Er sagte: Die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte, „aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“.
Erst eine Woche später wurde er konkreter: Probleme machten jene Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiteten und sich nicht an Regeln hielten. Zwischenzeitlich antwortete er auf die Frage, was er mit seiner Äußerung zu Problemen im Stadtbild denn gemeint habe: „Fragen Sie mal Ihre Töchter“.
Die Aussagen sorgten für viel Kritik. In einem offenen Brief stellen jetzt 60 prominente Frauen zehn Forderungen für mehr Sicherheit an Merz, darunter: eine bessere Beleuchtung und Überwachung öffentlicher Räume, sichere Wege, besonders an Bahnhöfen, Haltestellen und in Parks. Doch wie steht es um das Sicherheitsgefühl von Frauen - und welche Angebote helfen, es zu verbessern?
Klar ist: Frauen fühlen sich im öffentlichen Raum häufiger unsicher als Männer. Das zeigt eine 2022 erstmals veröffentlichte Studie des Bundeskriminalamts (BKA) zu „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“. So fühlte sich zum Zeitpunkt der Erhebung der Daten nur jede dritte Frau (33,3 Prozent) nachts im öffentlichen Personennahverkehr „sehr sicher“ oder „eher sicher“.
Für die Männer lag der Wert bei knapp 60 Prozent. Rund 61 Prozent der Frauen gaben an, sich in der eigenen Wohngegend nachts ohne Begleitung sicher zu fühlen, von den männlichen Befragten sagten das rund 83 Prozent.
Auf diese Studie verweist auch Mitarbeiter Daniel von der Telefonhotline Heimwegtelefon. Der Dresdner Verein begleitet deutschlandweit Menschen telefonisch auf ihrem Heimweg bis nach Hause. Dabei wird regelmäßig der Standort durchgegeben.
Zunächst einmal sei man froh, dass überhaupt in Deutschland über das Sicherheitsgefühl gesprochen wird und eine Debatte entsteht, unabhängig von einzelnen politischen Positionen, sagt Daniel.
„Wir glauben, dass sich das Sicherheitsgefühl in öffentlichen Räumen allerdings nicht ausschließlich auf eine Präsenz von migrantischen Personen zurückführen lässt, sondern dass es ganz vielfältige Ursachen hat. Wir haben das Gefühl, hier werden gerade verschiedene Punkte in der Debatte miteinander vermischt, die wahrscheinlich nur bedingt miteinander zu tun haben“.
Unter der bundesweit gültigen Nummer 030 1207 4182 sind Ehrenamtliche des 2011 gegründeten Vereins erreichbar. Die meisten Anrufe kämen von Frauen, sagt Daniel. Die Gründe, weshalb sich Menschen unsicher fühlen, seien sehr vielseitig, vereinzelt riefen auch migrantische Frauen an, die sich wegen Anfeindungen etwa wegen ihres Kopftuchs in der Öffentlichkeit unwohl fühlten.
Häufig meldeten sich auch Anrufer, weil sie das Gefühl hätten, von jemandem verfolgt zu werden, wegen einer zuvor erlebten unangenehmen Situation oder früheren Erfahrungen. Und: „Viele Menschen sagen: ‚Ich kann dir überhaupt nicht sagen, woher das gerade kommt. Das bricht gerade so über mich herein.‘ Menschen können sich auch sehr, sehr unwohl fühlen, obwohl sich niemand sonst auf der Straße befindet“, berichtet der Ehrenamtler.
Der Verein findet: Man könnte vielleicht auch mal die Mütter fragen, wie sicher sie sich gefühlt haben, als sie früher die Töchter waren. „Ich höre manchmal bei meinen Schichten, dass Frauen sagen: 'Ach, da hätte ich mich mal gefreut, wenn es das Angebot schon gegeben hätte, als ich jung war'. Da reden wir über eine Jugend, die teilweise 20 oder 30 Jahre zurückliegt“, sagt Daniel. „Insofern ist dieses Gefühl von ‚Ich fühle mich abends, nachts draußen nicht wohl‘ viel älter als die aktuelle Migrationsdebatte“.
Neben dem Heimwegtelefon gibt es in vielen Städten Deutschlands weitere Projekte, die das Sicherheitsempfinden in der Dunkelheit stärken wollen. In Mannheim, Heidelberg (übrigens schon seit 1992) oder München etwa werden Frauen bei nächtlichen Taxifahrten finanziell unterstützt.
Zudem kann man das Angebot „Halten auf Wunsch“ der Münchner Verkehrsgesellschaft nutzen. Die Busfahrer lassen Fahrgäste ab 21 Uhr - außerhalb des Mittleren Rings und wenn es die Verkehrssituation zulässt - auf Wunsch zwischen den Haltestellen aussteigen. „Die Nutzung war und ist überschaubar und beläuft sich auf aktuell weniger als fünf Haltewünsche in der Woche“, teilt ein Sprecher mit.
Ein anderes Beispiel: sogenannte Nightwalks im niedersächsischen Landkreis Emsland. Die begleiteten Spaziergänge durch dunkle Straßen sollen Frauen helfen, mit bedrohlichen oder unangenehmen Situationen besser umzugehen.
Laut der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises, Marlies Kohne, waren die Anmeldezahlen für die zunächst zwölf Termine insgesamt sehr hoch. Einige Kommunen hätten Zusatztermine organisiert, die direkt wieder ausgebucht waren.
Kohne betont: Das Projekt stehe in keinem Zusammenhang mit der aktuellen „Stadtbild“-Debatte. Vielmehr existierten diese und vergleichbare Angebote schon seit vielen Jahren. Sie sollen Mädchen und Frauen mental stärken, sich selbstbewusst und selbstverständlich im öffentlichen Raum zu bewegen. „Mädchen und Frauen dürfen sich nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen.“
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