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Veröffentlicht am 05.11.2025 00:08

Wo der Holzweg superlang ist: Das schaurig-schöne Hohe Venn

Ein Farbschauspiel, wenn der Himmel aufreißt: Die vielfältige Vegetation macht das Hochmoor so besonders. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)
Ein Farbschauspiel, wenn der Himmel aufreißt: Die vielfältige Vegetation macht das Hochmoor so besonders. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)
Ein Farbschauspiel, wenn der Himmel aufreißt: Die vielfältige Vegetation macht das Hochmoor so besonders. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)

Ist das der Gipfel? Acht junge Männer haben Belgiens höchsten Punkt in Besitz genommen, sind die Steintreppe von gut zwanzig Stufen hoch gestapft und trinken jetzt ihr Bier. 

Die Plattform, auf der sie es sich gemütlich gemacht haben, liegt auf symbolischen 700 Metern. Sie befindet sich auf einem Erdhügel, der vor gut 100 Jahren unter der Regenschaft von König Albert I. errichtet wurde, um den höchsten Punkt des Landes eigens auf diese Marke zu befördern - denn die umliegende Erhebung, die Botrange, bringt es auf nur 694 Meter. 

Als Tisch dient den Biertrinkern ein alter Gedenkstein, der laut Inschrift an den dritten König erinnert. Ob dieser begeistert über die Inbesitznahme der Biertrinker gewesen wäre? Wohl kaum. Auch Naturführerin Anita Fohn aus dem benachbarten Besucherzentrum hat für die Partygäste allenfalls ein müdes Lächeln übrig. Denn sie hat Interessanteres vor Augen. Wortwörtlich.

Eines der größten Hochmoore Europas

Denn der Signal de Botrange, wie Belgiens höchster „Berg“, rund 40 Kilometer südlich von Aachen in den Ardennen gelegen, auch genannt wird, ist umgeben von einer kargen Hochfläche von stiller Schönheit. Hier und da Heidekraut, kleine Sträucher, Birken. Da, wo sich das Wasser stauen kann, finden sich Torfmoose und Wollgräser, die laut Biologin Fohn bei der Torfbildung eine zentrale Rolle spielen.

Wir sind im Hohen Venn, mit einer Fläche von mehr als 7.200 Fußballfeldern ist es eines der größten zusammenhängenden Hochmoore in Europa. Die Hochebene, wo das Wetter auch außerhalb der eigentlich dafür vorgesehenen Jahreszeit oft herbstlich rau ist, ist grenzübergreifend und erstreckt sich bis ins linksrheinische Deutschland.

Der größere Teil aber ist in der Wallonie, wo der Hohe Venn seit 1957 ein „staatliches Naturschutzgebiet“ ist, laut Anita Fohn das älteste Naturschutzgebiet des Landes. Mit „150 Tage Nebel“ wirbt die Region.

Dem Herbstwetter sei Dank

Die hohe Niederschlagsmenge hat wesentlich zum Entstehungsprozess des Hohen Venn vor rund 10.000 Jahren beigetragen. Undurchlässige Lehmschichten, säurehaltige Böden sowie die permanente Wassersättigung durch Regen, Schnee oder Nebel waren entscheidende Faktoren. 

Die Torfschichten sind oft meterdick und wirken auf den Regen wie ein Schwamm. Dass man so eine Landschaft nicht ohne jede Anstrengung durchqueren kann, liegt auf der Hand. Und man darf es auch nur unter Regeln. Moore und Heiden sind streng geschützt. Wild zu campen ist verboten, das Pflücken von Pflanzenteilen ebenso. Die Fortbewegung abseits der ausgewiesenen Wege? Nur in Begleitung eines Naturführers erlaubt.

An einem Fahnenmast tauchen Verbotsschilder auf. Ab hier müssen Hunde und Fahrräder draußen bleiben, und Menschen werden auf den Holzweg geschickt. Auf über 20 Kilometern wurden Stege errichtet, die Besucher diese Landschaft zu Fuß entdecken lassen. Selbst da, wo die Torfschicht nur dünn ist und man nicht im Morast versinken würde, wäre das Wandern beschwerlich.

Ein Blick über die Ebene. Überall blüht leuchtend braunes Pfeifengras, dessen Schönheit jedoch trügerisch ist. „Das ist unser Unkraut“, sagt die Biologin. Es verdränge typische Moorpflanzen, trockne den Boden aus und begünstige Moorbrände. Und man kann ihm kaum beikommen.

Im Totenwald blüht und grünt es

Ein paar Bohlenwegwindungen weiter, wartet der nächste Hingucker, der „Noir Flohay“, Reste eines Kiefernwaldes, der aus der Ferne wie ein mystisches Gemälde Caspar David Friedrichs anmutet: Eine Ansammlung verkohlter Baumskelette ragt in den Himmel. Beim Näherkommen wird aber deutlich, dass alles weitergeht, auch nach einem Brand. Im Totenwald blüht und grünt es schon wieder.

Die Wanderwege des Hohen Venn führen aber nicht nur durch Torf, Heide und Schutzzonen - auch Wiesen und Wildnis sorgten für Abwechslung, sagt Dany Heck, Tourismusmanager Ostbelgiens. Er hat ein Interesse daran, die Besucherströme möglichst gleichmäßig zu verteilen.

Für ein vielfältiges Naturerlebnis empfiehlt Heck eine Venn-Querung, etwa im Hilltal, für größere Distanzen die autofreien Radwege, über die einfach per Knotenpunktsystem navigiert werden kann - ganz ohne Handy.

Nach den Knotenpunkten kann man auch wandern. „Wandern nach Zahlen“, nennt dies Naturführer Uwe Koch vom Eupener Naturzentrum Haus Ternell. Als promovierter Biologe und Pilzsachverständiger macht er allerdings keinen Hehl daraus, dass ihm die kleinen, verwunschenen Waldpfade lieber sind – allein wegen der Pilze. 

Als er einmal nach Sichtung eines seltenen Exemplars die sicheren Bohlen verließ, versank er mit einem Bein knietief im Morast und musste herausgezogen werden. Das Glück fremder Hilfe hatten andere nicht. Viele Holzkreuze erinnern im Hochmoor an Verirrte, Kriegs- oder Feuertote.

Etwas Morbides haftet einem Aufenthalt im Hohen Venn an, etwas Schaurig-schönes. Passende Geschichten bekommt man mehrfach zu hören, wenn man mit Uwe Koch unterwegs ist.

Selbst Kaiser Karl soll sich hier einst auf einem Jagdausflug verirrt und notgedrungen auf einem großen Quarzit-Felsen übernachtet haben. Seither trägt der Felsen den Namen „Kaiser Karls Bettstatt“. Er ist heute beliebtes Ziel von Geo-Exkursionen. Dabei bekommt man am Gestein erläutert: Im Lauf von Jahrmillionen wurde das Hohe Venn durch Erosion und andere Einflüsse erst zu der Hochebene, die es heute ist. 

Wie hoch mag das hier mal gewesen sein? Geologen hätten bis zu achttausend Meter errechnet, sagt Koch. Was allein die Höhe betrifft: König Albert I. hätte sicher keinen weiteren Handlungsbedarf gesehen.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Das Hohe Venn ist eine Moorlandschaft auf dem Hochplateau der Ardennen an der deutsch-belgischen Grenze. Das Naturreservat wird in drei Zonen unterteilt, ohne Begleitung durch einen Naturführer sind nur die ausgewiesenen Wege erlaubt, alles andere ist Sperrzone.

Elf Gemeinden, darunter zwei französischsprachige, vermarkten die Region mit rund 200 Kilometer Rad- und ebenso viel Wanderwegen. Eine kostenlose Faltkarte kann man hier herunterladen.

Beste Reisezeit: Das Hohe Venn ist eine Ganzjahresdestination, im Herbst ist die Stimmung toll. Im Winter wird unter anderem Ski-Langlauf angeboten.

Anreise: Am besten mit dem eigenen Auto, direkte Busverbindungen gibt es auch von Eupen und Bütgenbach (Bus E23) ins Naturschutzgebiet, aber zeitlich eingeschränkt. 

Unterkunft: etwa im „Sleepwood Hotel Eupen“, Doppelzimmer ab 125 Euro, im „Hotel Eifelland“ in Bütgenbach, Doppelzimmer ab 113 Euro oder im Hotel „Le Val d’Arimont“ in Malmedy, Doppelzimmer ab 92 Euro.

Museen und Führungen: zum Beispiel über das Haus Ternell oder das Maison du Parc de Botrange.

Weitere Informationen: ostbelgien.eu

© dpa-infocom, dpa:251104-930-250700/1


Von dpa
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