Aktivisten prangern „Massaker“ an Alawiten in Syrien an | FLZ.de | Stage

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 09.03.2025 05:26, aktualisiert am 09.03.2025 15:21

Aktivisten prangern „Massaker“ an Alawiten in Syrien an

Die syrischen Streitkräfte liefern sich heftige Gefechte mit Anhängern des gestürzten Ex-Präsidenten al-Assad. (Archivbild)   (Foto: Moawia Atrash/dpa)
Die syrischen Streitkräfte liefern sich heftige Gefechte mit Anhängern des gestürzten Ex-Präsidenten al-Assad. (Archivbild) (Foto: Moawia Atrash/dpa)
Die syrischen Streitkräfte liefern sich heftige Gefechte mit Anhängern des gestürzten Ex-Präsidenten al-Assad. (Archivbild) (Foto: Moawia Atrash/dpa)

Die Hoffnungen auf neue Stabilität in Syrien haben sich vorerst zerschlagen: Drei Monate nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad erschüttert eine schwere Welle von Gewalt das arabische Land. Nach Schätzungen von Aktivisten wurden dabei mehr als 1.000 Menschen getötet, davon rund 750 Zivilisten. Sicherheitskräfte der islamistischen Übergangsregierung hätten dabei regelrechte „Massaker“ unter den Angehörigen der religiösen Minderheit der Alawiten angerichtet, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. 

Die Opferzahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Angaben der Beobachtungsstelle mit Sitz in London, die das Kriegsgeschehen in Syrien mit einem Netz aus Informanten verfolgt, gelten aber als in der Regel verlässlich. Die Übergangsregierung veröffentlichte bisher keine Opferzahlen. 

Der Minderheit der alawitischen Religionsgemeinschaft gehört auch Ex-Präsident Assad an. Viele von ihnen leben in der Provinz Latakia am Mittelmeer. Die Assad-Familie hatte in Syrien mehr als fünf Jahrzehnte mit brutalsten Methoden geherrscht. Nach dem Sturz Assads, der im Dezember nach Russland floh, gab es bereits Sorge vor Zusammenstößen zwischen Anhängern Assads und Verbündeten der Übergangsregierung mit Sitz in Damaskus.

Präsident spricht von „erwarteten Herausforderungen“

Syriens Präsident Ahmed al-Scharaa sagte, die Ereignisse der vergangenen Tage seien „im Rahmen der erwarteten Herausforderungen“. Bei einer Rede in einer Moschee rief er zur nationalen Einheit auf und sagte, die syrischen Gemeinden könnten friedlich zusammenleben.

Das Blutvergießen hatte am Donnerstag begonnen. Nach Darstellung der neuen Machthaber überfielen bewaffnete Anhänger der gestürzten Assad-Regierung Sicherheitskräfte in der Nähe der Küstenstadt Dschabla in der Provinz Latakia. Die Angriffe schienen koordiniert zu sein, schrieb das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington. Am Freitag verlegte die Übergangsregierung deswegen größere Truppenkontingente in die Region. Seitens der Regierungstruppen seien Artilleriegeschütze, Panzer und Raketenwerfer eingesetzt worden, hieß es.

Angst unter den Alawiten 

Vor allem unter den Alawiten seien Angst und Schrecken weit verbreitet, sagte ein Bewohner. „Es gibt viele Übergriffe und Tötungen aufgrund der Religionszugehörigkeit. Es kommt auch zu Diebstählen“, schilderte er. Unter den Todesopfern seien auch Frauen und Kinder, berichtete die Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Sie sprach von Massakern in 29 Orten der Gouvernements Latakia, Tartus, Hama und Homs und warf Kämpfern der islamistischen Übergangsregierung Kriegsverbrechen vor. 

Die Anhänger des gestürzten al-Assad würden versuchen, diese Morde zu nutzen, um Minderheitengruppen zu mobilisieren, heißt es in einem Bericht des ISW. Vor allem unter den Alawiten wachse das Gefühl, dass die Interimsregierung der neuen islamistischen Machthaber sie unterdrückt und ausgrenzt. Für Übergangspräsident al-Scharaa sind die Auseinandersetzungen die erste große Prüfung. Der frühere Rebellenchef hatte sich am Freitagabend an die Bevölkerung gewandt und erklärt, Überbleibsel der Ex-Regierung hätten mit ihren Angriffen versucht, „das neue Syrien zu testen“. 

Assad-„Überbleibsel“ sollen bis in die Berge verfolgt werden

Nach Angaben der Übergangsregierung kam es auch über das Wochenende zu Kämpfen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Damaskus kündigte an, dass „Überbleibsel und Offiziere des nicht mehr bestehenden Assad-Regimes auf dem Land und in den Bergen“ verfolgt würden.

Syrien-Experte Karam Shaar schrieb bei X, die Regierung habe durch die Gewalt an den Alawiten viele Fortschritte der vergangenen Monate zurückgedreht gemacht. Forderungen der Übergangsregierung etwa an die EU und die USA, Sanktionen umgehend aufzuheben, seien damit weniger glaubhaft, schrieb Shaar. 

Der Auswärtige Dienst der EU teilte dagegen mit, „pro-Assad-Elemente“ hätten laut Berichten in syrischen Küstengebieten Angriffe auf Kräfte der Übergangsregierung verübt. Die Stellungnahme wurde im Internet teils vehement kritisiert. Der niederländische Europaabgeordnete Sander Smit vom Mitte-Rechts-Bündnis EVP bezeichnete sie als eine „irreführende Aussage“. Die EU rief auch dazu auf, dass die Zivilbevölkerung unter allen Umständen geschützt werden müsse.

© dpa-infocom, dpa:250309-930-397982/2


Von dpa
north