Am Anfang und am Ende des langen Burgenstraßen-Radwegs stehen zwei kunstsinnige Persönlichkeiten: der pfälzische Kurfürst Carl Theodor und Bayreuths Markgräfin Wilhelmine. Beide eint, dass sie sich nicht nach ihrer herausgehobenen Stellung gedrängt, die Herausforderung aber tatkräftig angenommen haben.
Carl Theodor, der leidenschaftliche Flötist, wird eher zufällig Pfälzer Kurfürst. Er nutzt die neue Macht aber sogleich dafür, in Mannheim den Grundstein für ein neues Residenzschloss zu legen.
Das wird einen Hauch von Versailles verströmen - dank der repräsentativen Seitenflügel, dem gewaltigen Ehrenhof und dem Rittersaal mit seinen Sichtachsen, wo der Blick an prunkvollen Malereien und fein ziselierten Stuckarbeiten hängen bleibt.
Als Friedrich der Große Mannheim besucht, ist er hingerissen von dem architektonischen Juwel - obwohl noch nicht einmal dessen Mittelbau fertig ist. Friedrichs Schwester Wilhelmine, verheiratet mit dem Markgrafen von Bayreuth, ist indes ebenfalls nicht untätig.
Kaum in der süddeutschen Provinz gelandet, lässt sie in Bayreuth das Neue Schloss erbauen. Außerdem den Musenhof schlechthin: das Opernhaus mit seiner kunstvoll bemalten Decke, den pompös ausgestatteten Logen und der 30 Meter tiefen Bühne, das zum Inbegriff überragender Kunst wird. Seit 2012 zählt es zum Weltkulturerbe.
Die Schlösser in Mannheim und Bayreuth sind zwei von mehr als 60, die sich an der Burgenstraße aufreihen, einer der ältesten Ferienstraßen Deutschlands. Ursprünglich führte die Route, die sich quer durch Süddeutschland windet, nur von Mannheim bis Nürnberg. 1994 verlängerte man sie bis nach Prag.
Doch weil sich die Zusammenarbeit mit den tschechischen Nachbarn schwierig gestaltete, ist nun bei Bayreuth Schluss.
Autofahrer - vor allem in Oldtimern - folgen schon lange den Wegweisern mit den stilisierten Burgzinnen. Doch auch im Radsattel ist die Route zu bewältigen. Mal gemächlich, mal flott geht es über rund 860 Kilometer über sonnenbeschienene Feldwege, durch stille Wälder und in Grün leuchtenden Rebgärten.
Nur ganz selten müssen die Radfahrer auf Autostraßen ausweichen, meist nur für ein kurzes Stück.
Hinter Heidelberg, der Neckarstadt mit der wohl schönsten Schlossruine Deutschlands, beginnt einer der lohnenswertesten Abschnitte des Burgenstraßen-Radweges. Alle paar Kilometer lugt eine andere Burg hervor.
Allein im Städtchen Neckarsteinach, das sich fotogen an eine Flussschleife kuschelt, sind es vier Burgen. Die alten Gemäuer - Vorderburg, Mittelburg, Hinterburg und die Schadeck - liegen so dicht nebeneinander, dass die Kommunikation der Bewohner in früheren Zeiten wohl mühelos per Zuruf funktioniert haben dürfte.
Wer einige Neckar-Schleifen weiter bei Gundelsheim mit dem Rad zum Calvarienberg hochstrampelt, wird mit sagenhaften Ausblicken belohnt: auf den Fluss, auf das Himmelreich - eine der steilsten Reblagen Württembergs - und auf die Burgen Hornberg und Guttenberg.
Die erste ist eine Ritterburg der Superlative, nach dem Heidelberger Schloss die größte und am besten erhaltene Burgruine am Neckar und einst Heimat von Götz von Berlichingen, dem rauflustigsten Reichsritter des Spätmittelalters.
Die andere gilt als eine der letzten unzerstörten Staufer-Burgen Deutschlands und ist seit fast 600 Jahren im Besitz der Freiherren von Gemmingen. Mittlerweile kümmert sich die 17. Generation um das mittelalterliche Anwesen und die Deutsche Greifenwarte mit Adlern, Geiern und anderen Greifvögeln. Von Frühjahr bis Herbst gibt es täglich Flugvorführungen, im Winter nur am Wochenende.
Man muss kein Mittelalterfan sein, um sich von den Burgen entlang des Radweges in den Bann ziehen zu lassen.
Von der malerisch gelegenen Burgruine Weibertreu in Weinsberg bleibt das steinerne Album in Erinnerung, in dem die Namen berühmter Besucher der Burg verewigt sind.
Bei Schloss Neuenstein mit seinem Kunst- und Raritätenkabinett ist es die schiere Größe. Diese ehemalige Residenz der Grafen von Hohenlohe wurde in staufischer Zeit als Wasserburg erbaut und ist ein gutes Beispiel für die Baulust des fränkischen Adelsgeschlechtes: Ob in Öhringen, in Waldenburg oder in Kirchberg an der Jagst, in ihrem ehemaligen Herrschaftsgebiet entstanden jede Menge Residenzen.
Bayern steht der Burgen-Seligkeit Baden-Württembergs kaum nach. Im Freistaat führt der Radweg unter anderem südlich von Nürnberg zur Burg Abenberg mit ihrem Klöppelmuseum und zur Burg Rabenstein in der Fränkischen Schweiz, die auf einen Bergsporn gebaut wurde. Ebenso zur Burg Egloffstein mit ihrem kühlen Felsenkeller oder zur Hohenzollernfeste Plassenburg, einer riesigen Festungsanlage bei Kulmbach.
Wer das Mittelalter mit allen Sinnen erfassen möchte, sollte auf der Cadolzburg im Kreis Fürth einen längeren Aufenthalt einplanen. Hier wartet eine Erlebniswelt, in der Besucher auf Zeitreise gehen können - gehüllt in passende Kostüme und begleitet vom Hofnarren Contz.
Die Veste Heldburg ist die einzige Sehenswürdigkeit entlang der Burgenstraße auf thüringischem Boden. Aus der Ferne erinnert die Schöne aus dem Märchenbuch ein wenig an Schloss Neuschwanstein. Keine Frage: Der Bauherr Georg II. von Sachsen-Meiningen konnte auf dem 403 Meter hohen Felsen seine romantischen Vorstellungen ausleben. Sein passender Spitzname: der Theaterherzog.
Seit 2016 beherbergt die Veste das Deutsche Burgenmuseum. Dieses erzählt in einem großen Rundumschlag die Geschichte der Burgen auf europäischem Boden, von Ritterorden und Kriegstaktiken, und davon, wie die Nationalsozialisten versuchten, den Burgenmythos für ihre Ideologie zu vereinnahmen.
Unbedingt ansehen sollte man sich die 20 Quadratmeter große Wandmalerei einer Ritterschlacht. Das gute Stück hat rund 800 Jahre auf dem Buckel. Danach geht's wieder aufs Rad.
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