Als die deutschen Handballerinnen 2008 in Peking letztmals bei Olympia gespielt hatten, war die derzeitige Co-Kapitänin Emily Bölk gerade einmal zehn Jahre alt. Es folgten London, Rio und Tokio mit drei verpassten Teilnahmen in Serie. 16 Jahre waren die Handball-Frauen zum Zuschauen verurteilt - fast eine kleine Ewigkeit.
Nach dem überragenden Qualiturnier vor eigener Kulisse ist die Auswahl zurück auf der größten Sportbühne der Welt. Für Bölk und ihre Mitspielerinnen geht ein Traum in Erfüllung - und der Deutsche Handballbund (DHB) hofft auf mehr Popularität. „Ich verspreche mir davon, dass der Mädchen-Handball einen Schub bekommt und es noch mehr Trainer gibt, die sich in diesem Bereich engagieren, um den Mädels bessere Trainingsmöglichkeiten zu geben“, sagte Bundestrainer Markus Gaugisch.
In vielen Teamsportarten in Deutschland ist die Kluft zwischen Männern und Frauen groß - nicht nur, aber auch medial. Während beispielsweise mit der Handballnationalmannschaft der Männer bei Welt- und Europameisterschaften regelmäßig ein Millionenpublikum vor den Bildschirmen mitfiebert, lief die Frauen-WM Ende des vergangenen Jahres nicht einmal im Free-TV. Bei Olympia im Sommer wird das anders sein. Beide Teams werden medial präsent sein.
Zur geballten Frauenpower in Paris tragen außer den Handballerinnen auch die Basketballerinnen, Fußballerinnen und Hockeyspielerinnen bei. Das sind mindestens so viele Mannschaften wie bei den Männern. Und im Sportgeschichtsbuch muss man für Vergleichbares schon etwas zurückblättern: Vier Frauenteams in den klassischen Spielsportarten gab es zuletzt 1996 in Atlanta, als Deutschland im Handball, Volleyball, Hockey und Fußball vertreten war. Die Hoffnung beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) ist groß, dass man nach Paris nicht wieder 28 Jahre warten muss, um vier Frauenteams an den Start zu bringen.
Der Grundstein dafür könnte sein, dass die fünf großen Teamsportarten in Deutschland - Fußball, Handball, Basketball, Volleyball und Eishockey - in den kommenden Jahren verstärkt den Frauensport entwickeln wollen. Teamsport Deutschland, eine 2018 gegründete Interessengemeinschaft der Mannschaftssportverbände, hat eine intensive Förderung in die Wege geleitet.
Ob sich bei Olympischen Spielen aus der Momentaufnahme ein Trend entwickeln wird, bleibt abzuwarten. „Wir müssen als Europäer immer wieder berücksichtigen, dass es in keinem anderen Kontinent auch nur annähernd so schwer ist, sich für Olympische Spiele zu qualifizieren. Große Überraschungen sind hier immer genauso möglich wie unerwartete Enttäuschungen, da können ein schlechter Tag oder die Verletzung einer Schlüsselspielerin ausreichen“, sagte Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport beim DOSB.
Historisches schafften die Basketballerinnen, als sie sich im Februar bei einem Turnier in Brasilien für Paris qualifizierten. Erstmals ist das Nationalteam bei Olympischen Spielen dabei. „Die Olympia-Qualifikation war das i-Tüpfelchen, das wir in der Kürze der Zeit erreichen sollten“, sagte der Präsident des Deutschen Basketball Bunds (DBB), Ingo Weiss. „Wir sind vor vier Jahren hingegangen und haben gesagt: Das, was wir für die Männer gemacht haben, wollen wir auch für die Frauen machen. Wir wollten Frauen-Basketball auf ein anderes Level bringen.“ Neue Standards habe der DBB setzen wollen. „Wir wollten das Drumherum so gestalten, wie man das vom Männerbereich kennt.“ Geld, das mit Veranstaltungen der Männer reingeholt worden sei, investiere der DBB zum Teil in den Frauen-Basketball, sagte Weiss.
Passend zum Aufschwung steigen zwei große Turniere demnächst in Deutschland. 2025 findet die Frauen-EM mit einer Vorrunden-Gruppe in Hamburg statt, 2026 die Weltmeisterschaft in Berlin. Die Nationalmannschaft sei ein Symbol für den steigenden Wert des Frauensports in Deutschland, so Weiss. „Wir müssen das verstetigen und dürfen das nicht nur bei Olympischen Spielen hochleben lassen.“
Nicht so überraschend wie die Teilnahme der Basketballerinnen ist die der Hockeyspielerinnen und Fußballerinnen. Die Damen-Hockeynationalmannschaft - Spitzname „Danas“ - ist seit 1984 ununterbrochen dabei und steht damit ähnlich wie das männliche Pendant für Konstanz wie keine andere Auswahl. Für die „Danas“ war die Teilnahme Pflicht, im Sommer soll die Kür mit dem Gewinn einer Medaille folgen.
Ein Auf und Ab erlebten zuletzt die Fußball-Frauen, die bei großen Meisterschaften und auch abseits davon noch die größte Aufmerksamkeit genießen. Nach der Goldmedaille 2016 in Rio schafften es die Fußballerinnen nicht, sich das Ticket für Tokio zu holen. Der Frust war groß, doch die Vorfreude ist nun umso größer - wie bei Nationalspielerin Sarai Linder vom Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim. „Olympia finde ich cooler als eine Weltmeisterschaft. Es ist einfach etwas Besonderes. Alle Sportarten sind dabei. Auch solche, die sonst nicht im Fokus sind. Fußball ist sogar nur eine Hintergrundsportart, die Aufmerksamkeit liegt woanders.“
Ob die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit im Sommer auch auf dem Frauenturnier im Volleyball liegt, wird sich zeigen - und ist abhängig von einer schwarz-rot-goldenen Teilnahme. Die Auswahl braucht in der Volleyball Nations League (VNL) ab Mitte Mai viele Siege, um in der Weltrangliste von Platz zwölf noch auf den zehnten Rang zu klettern, der gleichbedeutend mit dem Olympia-Ticket ist. Es sei die „wichtigste VNL, die wir je gespielt haben“, sagte Kapitänin Lena Stigrot. Sollten es auch die Volleyballerinnen zu Olympia schaffen, wäre das für Team Deutschland etwas Besonderes: Noch nie zuvor hatten sich seit der Wiedervereinigung fünf deutsche Frauenteams in den klassischen Spielsportarten qualifiziert.
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