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Veröffentlicht am 18.04.2022 08:00

Fleisch ohne Kühe und Schweine

Petra Kluger, Projektleiterin an der Hochschule für angewandte Chemie in Reutlingen, mit einem Stück künstliches Fleisch. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)
Petra Kluger, Projektleiterin an der Hochschule für angewandte Chemie in Reutlingen, mit einem Stück künstliches Fleisch. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)
Petra Kluger, Projektleiterin an der Hochschule für angewandte Chemie in Reutlingen, mit einem Stück künstliches Fleisch. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Zwei Mal die Woche geht Jannis Wollschlaeger morgens um 6.00 Uhr zum Metzger, direkt nach der Schlachtung. Montags interessiert ihn Rindfleisch, donnerstags ist es Schwein.

„Ich kriege es noch warm“, sagt der Doktorand an der Hochschule Reutlingen, Fakultät für angewandte Chemie. Der 27-Jährige eilt ins Labor, wo er das Muskelfleisch ohne Fett bei 37 Grad akribisch klein schnippelt, es mit Nährstoffen versieht und in einem Behälter in den Inkubator legt. Das Ziel: Adulte Stammzellen zum Vermehren bringen, um Fleisch nachzuzüchten. Dabei hilft ganz am Ende des komplizierten Prozesses ein 3D-Drucker, der ein „Mini-Steak“ druckt. Das Produkt sei essbar, schmecke aber nach wenig, sagt Wollschlaeger.

Laut Wollschlaegers Chefin und Projektleiterin, Petra Kluger, ist es bis zum wirklich essbaren Produkt noch ein weiter Weg. „Dank der Forschung an dem Thema sind in ein paar Jahren allerdings Seitenwürstchen oder Füllungen für Ravioli und Maultaschen mit dem künstlichen Fleisch denkbar.“ Kulturfleisch helfe den Menschen, genug Nahrung zu bekommen, aber auch den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und Wasser und Land zu sparen. „Definitiv kann man sagen, dass so Tierleiden drastisch reduziert werden könnte“, sagt Kluger, Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen.

Das Fleisch aus dem 3D-Drucker hat aus ihrer Sicht viel Potenzial. Die Idee dazu sei nicht neu, hierzulande werde aber zu wenig daran geforscht, sagt Kluger. „Das Thema ist in Deutschland nicht auf der Agenda. Wir haben schon so viele Technologien verschlafen, doch bei dieser Sache könnten wir noch mit einsteigen.“

Im Jahr 2013 wurde von Mark Post und seinem Team an der Universität Maastricht der erste In-vitro-Burger aus Rinderstammzellen vorgestellt. Im Januar 2016 präsentierte das US-amerikanische Start-up Memphis Meats das erste In-vitro-Fleischbällchen.

Auch wenn die Produktion von In-vitro-Fleisch möglich ist, gebe es bisher kein Verfahren, In-vitro-Fleisch im großen Maßstab herzustellen, heißt es in einer Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie. Dies liege vor allem daran, dass die Komponenten eines Produktionsverfahrens von In-vitro-Fleisch noch weiter erforscht werden müssten. Ganz vorne mit dabei seien die USA, die Niederlande, Japan und Israel. Hauptsächlich seien es Forschungsprojekte an Universitäten, gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen (NGO) oder durch NGOs und Investoren geförderte Start-ups, die Invitro-Fleisch weiterentwickelten und auf den Markt bringen wollten.

Aus Sicht des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ist es nicht angebracht, die Probleme in der industriellen Massentierhaltung einfach durch eine andere Methode abzulösen. „Wir müssen das Problem an der Wurzel packen: Unser zu hoher Fleischkonsum. Im Vergleich zu pflanzlicher Erzeugung schneidet auch Laborfleisch im Hinblick auf Energie- und Ressourcenbedarf definitiv schlechter ab“, sagte Landesgeschäftsführer Martin Bachhofer. Heutzutage sei es leichter denn je, sich überwiegend oder ausschließlich pflanzenbasiert gesund zu ernähren. Dies sei aber kein Plädoyer für die komplette Abschaffung der Nutztierhaltung. „Es kommt auf die Art und Weise und auf dem Umfang an: Wir werden auch in der Zukunft noch "echte" Tiere brauchen, die auf der Weide stehen und dadurch artenreiche Lebensräume im Grünland erhalten. Dieses Grünland ist darüber hinaus als CO2-Senke auch für den Klimaschutz wichtig“, sagte Bachhofer.

Ein Gemeinschaftsprojekt der Hochschule Reutlingen mit der Universität Hohenheim wird von der Schweizer Avina Stiftung gefördert. Es untersucht Wege, um die Produktion in industriellen Maßstäben voranzubringen. Die Gelder sind laut Kluger knapp. „Ich verstehe nicht, warum es für dieses Thema so wenig Fördermittel gibt. Wir sind ganz am Anfang einer neuen Technologie, die nicht die Landwirtschaft kaputtmachen, sondern eine ergänzende Alternative bieten will, denn es gibt immer mehr Menschen auf der Welt“, sagt Kluger. So würden mehr als die Hälfte der weltweit produzierten vegetarischen Produkte an Tiere verfüttert. Wenn nun wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine diese beiden Länder als Weizenproduzenten wegfielen, stelle sich die Frage, ob es ethisch vertretbar sei, knappes Getreide an Tiere zu verfüttern.

Laut der Welthandelsorganisation WTO importieren allein in Afrika 35 Länder Weizen und anderes aus Russland oder der Ukraine. Experten warnen, dass der Krieg in der Ukraine Rohstoffe wie Gas, Öl, aber auch Weizen dauerhaft verteuern wird.

© dpa-infocom, dpa:220418-99-950619/4

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