Freezing, auf Deutsch „Einfrieren“: So heißt in der Medizin eine Gangstörung, die typisch für die Parkinson-Erkrankung ist. Laufen? Geht auf einmal nicht mehr.
„Patienten sprechen davon, dass die Füße am Boden kleben bleiben“, sagt Professor Andrés Ceballos-Baumann. Er ist Chefarzt der Parkinson Fachklinik, die zur Schön Klinik in München-Schwabing gehört. „Im Verlauf der Parkinson-Krankheit sind fast alle Patienten davon betroffen.“
Die Parkinson-Erkrankung gibt es in unterschiedlichen Formen. In rund drei Viertel der Fälle handelt es sich um das idiopathische Parkinson-Syndrom, also die typische Form der Krankheit. Dabei sterben bestimmte Nervenzellen im Gehirn ab, wie die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen schreibt.
Betroffen sind die Nervenzellen, die Dopamin produzieren - ein Botenstoff, der wichtig ist, damit wir Bewegungen steuern können. Durch den Dopaminmangel entstehen die typischen Symptome einer Parkinson-Krankheit: Zittern, steife Muskeln, verlangsamte Bewegungen, Gleichgewichtsstörungen - und das Freezing.
Oft trifft das Freezing bei Parkinson erst nach und nach auf. „Wenn es ganz zu Beginn der Krankheit zum Freezing kommt, sind Zweifel berechtigt, ob es wirklich die typische Form der Parkinson-Krankheit ist und nicht doch ein anderes Parkinson-Syndrom“, sagt Andrés Ceballos-Baumann.
Ob und wann genau das Freezing auftritt, hat laut dem Neurologen auch mit den Medikamenten zu tun. Denn Parkinson wird in erster Linie medikamentös behandelt - oft durch eine sogenannte Dopamin-Ersatztherapie.
Doch ihre Wirkung unterliegt Schwankungen. Es gibt sogenannte Off-Phasen, in denen die Medikamente die Symptome einer Parkinson-Erkrankung schlechter unter Kontrolle bringen. „Und in diesen Off-Phasen kann das Freezing besonders häufig oder besonders stark sein“, erklärt Andrés Ceballos-Baumann.
Oft tritt es beim Losgehen auf. „Die Ampel schaltet auf Grün - und die Patienten kommen nicht von der Stelle“, beschreibt es der Neurologe. Ein Zustand, der wenige Sekunden andauern kann, aber auch eine halbe Minute. „Manchmal ist die Ampel dann schon wieder rot.“
Aber auch unter Zeitdruck kann es zum Freezing kommen - das klingelnde Telefon im Flur oder der Gedanke „Ich muss an der nächsten Haltestelle aus dem Bus aussteigen.“
Offene Türen oder Türschwellen können ebenfalls eine solche Blockade auslösen. „Das kann auch die automatische Tür im Supermarkt sein, die dann zum Problem wird“, sagt Ceballos-Baumann. Viele Betroffene kostet es daher Überwindung, das Haus zu verlassen. Denn die Angst ist da, unter den Blicken anderer „einzufrieren“.
Auch beim Umdrehen kann es zum Freezing kommen. Zum Beispiel, wenn man in der Küche etwas aus dem Kühlschrank holen möchte. „Der Oberkörper geht zwar mit, aber die Füße bleiben wie festgeklebt am Boden.“ Kommt es dann zum Sturz, kann das heikel enden: Oft fallen Betroffene auf die Hüfte - es drohen komplizierte Knochenbrüche.
Das Freezing löst ein starkes Gefühl der Machtlosigkeit aus. Die gute Nachricht: Es gibt Strategien, mit denen sich Betroffene aus solchen Situationen wieder herausholen können.
Die schlechte Nachricht: Das Vorgehen, das für alle gleichermaßen gut funktioniert, gibt es laut Ceballos-Baumann nicht. „Das alles muss individuell eingeübt und immer wieder wiederholt werden.“
Am besten beginnt man damit möglichst früh. Der Schlüssel sind sogenannte Hinweisreize. Das sind äußere Reize, die aus der Starre hinaushelfen.
Dazu einige Beispiele: „Man kann auf der Stelle leicht wippen und aus diesem Wippen den nächsten Schritt setzen“, sagt Ceballos-Baumann. Oder man gibt sich einen leichten Klaps auf den Oberschenkel und signalisiert dem Fuß so, sich zu heben. Man kann auch auf das Ticken einer Uhr hören - als Taktgeber - oder innerlich zählen.
Und es kann helfen, in der Wohnung Striche auf den Boden zu malen oder zu kleben. Sie können als Hinweisreiz funktionieren und den Impuls geben, darüber hinwegzusteigen. Viele Betroffene können laut Ceballos-Baumann nämlich gut Stufen steigen - „Treppen sind wie Striche auf dem Boden.“
Es gibt auch Hilfsmittel speziell für Parkinson-Patienten. Zum Beispiel einen Gehstock, an dessen Griff man einen Hebel betätigen kann. „Dann springt unten am Boden eine kleine Querleiste heraus, die der Patient übersteigen kann“, sagt Ceballos-Baumann.
Oder es gibt Rollatoren, die auf Knopfdruck eine Laserlinie auf den Boden werfen. Die günstigere Alternative: „Eine gut sichtbare Kordel zwischen den unteren Rädern des Rollators aufspannen. Dort kann man einen kleinen Ball ranhängen, gegen den man treten kann.“
Aber: Hinweisreize können sich abnutzen. „Wenn die Patienten immer einen Takt hören - das Ticken einer Uhr - dann nehmen sie ihn irgendwann nicht mehr wahr. Das ist die Schwierigkeit.“
Ein guter Anfang: Verständnis entwickeln und zeigen. „Denn es ist für Außenstehende nicht einfach zu begreifen, dass jemand flüssig die Treppe hoch- und runtergeht, aber dann plötzlich vor einer Tür stehen bleibt“, sagt Andrés Ceballos-Baumann.
Was Angehörige ebenfalls tun können: den Patienten oder die Patienten an seine erlernten Strategien erinnern. Oder selbst als Taktgeber einspringen: „Eins - zwei - eins - zwei - eins - zwei“. Was auch funktionieren kann: einen Fuß vor den Fuß des Betroffenen setzen - und ihn oder sie dann bitten, hinüberzusteigen.
Wichtig ist aber auch, dass Angehörige darauf achten, ob Freezing vermehrt auftritt. Denn das kann laut Andrés Ceballos-Baumann darauf hindeuten, dass die Medikamente neu eingestellt werden müssen oder sie nicht regelmäßig eingenommen werden.
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