Berlin (dpa/tmn)- Es klemmt im Weihnachtsgeschäft – und das ist diesmal ausnahmsweise eine gute Nachricht. Denn sogenannte Klemm- oder Noppenbausteine stehen ganz oben auf den Hitlisten der Spielwarenbranche.
Noch vor wenigen Jahren konnte man diese Plastikklötzchen synonym auch mit „Lego“ übersetzen. Doch so, wie es mehr Taschentücher als „Tempo“ und mehr Kleber als „Uhu“ gibt, tobt auch auf den Baustellen der Spielzimmer mittlerweile ein harter Konkurrenzkampf.
„Denn seit vor ein paar Jahren Legos entscheidende Patente ausgelaufen sind, drängen immer mehr Anbieter auf den Markt“, sagt Axel Dammler vom Marktforscher Iconkids & Youth International Research. Und wie so oft, wenn ein Monopol fällt, profitieren die Verbraucher davon: „Die Preise sinken, die Auswahl wird größer.“ Davon profitieren nicht nur - die Auswahl der Themenwelten ist riesig - aber insbesondere die Autofans.
Zwar gibt es auch bei Lego seit vielen Jahren beliebte Fahrzeugmodelle, doch seitdem fast ein Dutzend neuer Firmen wie Bluebrixx, Cobi, Cada oder der Mattel Brick Shop den Markt bedienen, sind selbst die Nischen mittlerweile gut besetzt. „Denn alles was rollt, läuft unter den Spielwaren“, sagt Dammler. Das gilt auch bei den Klemmbausteinen. Und außerdem treiben die Autobauer selbst das werbewirksame Geschäft mit dem Nachwuchs und kooperieren über Lizenzen mit den Spielwarenherstellern.
Die Entwicklung neuer Modelle ist dabei kein Kinderspiel – egal ob sie ein paar Dutzend oder viele tausend Teile haben. Jedenfalls sobald ein Fahrzeughersteller direkt involviert ist, läuft bei prestigeträchtigen und hochpreisigen Sets ein wochenlanger Prozess, an dem Spielzeug- und Automobildesigner gemeinsam mitwirken.
So waren Lego-Experten etwa mehrfach bei Lamborghini in Sant'Agata Bolognese und haben zusammen mit Designchef Mitja Borkert die möglichst exakte Miniatur des Hypercars Sián entwickelt, berichtet der Sportwagenhersteller. Und Milan Reindl, Senior Designer bei Lego Technic, erzählt in einem Blogbeitrag über die Entstehung der fast 2.900 Teile umfassenden Mercedes G-Klasse freimütig davon, wie schwer sich die Geländeeigenschaften des Originals ins Modell haben übertragen lassen.
„Die größte Herausforderung war es, den Federweg so gut wie beim echten Auto zu gestalten. Ich glaube, dass unsere Version das Original in Bezug auf die Winkel, die der Federweg erreichen kann, sogar leicht übertrifft“, heißt es von Reindl, der dafür eigens zehn neue Bausteine entwickeln ließ. Für Ausflüge in die Wüste mag das zwar trotzdem nicht reichen, aber im Wohnzimmer kennt das Auto jetzt kein Hindernis. Dass es auch einfacher geht, beweisen diverse Plattformen im Internet, sagt Kay Engelhardt. Er betreibt den Blog „Steine-Kanal.de“ und beschreibt die Genese neuer Modelle als oftmals private Tüftelei - mal mit einer speziellen Software wie Bricklink Studio und mal ganz klassisch in Handarbeit. Den digitalen Netzwerken sei Dank, bleiben solche Entwürfe dann aber nicht lange Privatsache. „Sondern oft werden sie auf Plattformen wie Rebrickable.com gehandelt und auch viele Steinehersteller nutzen Entwürfe der privaten Designer, um ihre Kollektion zu erweitern.“
Deshalb ist die Auswahl heute großer denn je und es gibt mittlerweile auch viele regionale Modelle, sagt Branchenanalyst Dammler: „Ein globaler Gigant wie Lego kann nur Modelle anbieten, die auf der ganzen Welt funktionieren.“ Aber die kleinen Player können auch die Nischen besetzen.
Egal, ob japanischer Neuwagen, französischer Oldtimer oder deutscher Dauerbrenner, Stadtflitzer, Supersportler oder Schwerlaster, Straßenauto oder Rennwagen - es gebe deshalb kaum mehr ein Fahrzeugmodell, dass es nicht auch als Bausatz gibt. Und auch Segmente wie Militärfahrzeuge, die Lego bislang bewusst ausgespart habe, würden deshalb mittlerweile angeboten.
Das Ergebnis der Entwicklung ist allerdings von Marke zu Marke unterschiedlich, sagt Brick-Blogger Engelhardt und will nicht alle Hersteller über einen Kamm scheren. Zwar hätten sich die Qualitäten der Steine mittlerweile weitgehend angeglichen. Doch nach wie vor könne es sich lohnen, auf die Klemmkraft der einzelnen Elemente zu achten, auf die Farbgüte oder darauf, ob der Spritzguss Spuren hinterlassen habe.
Und natürlich hätten unterschiedliche Marken unterschiedliche Preise: „Lego kann es sich leisten, mehr zu verlangen“, meint Engelhardt. „Denn der Name ist stark und die Investition ist nachhaltig, weil sich die Steine später auch gebraucht wieder verkaufen lassen.“Große, zum Teil auch bewusste Unterschiede gäbe es vor allem bei den Bauanleitungen, sagt Engelhardt. Mal sind sie gedruckt, mal digital und mal gibt es beides. Manche sind feinteilig gegliedert und mit wenigen Steinen pro Bauabschnitt und manche fassen viele Schritte in einem Bild zusammen. „Da muss man schauen, ob man es einfach mag oder die Herausforderung sucht“, sagt Engelhardt.
Und natürlich unterscheiden sich die einzelnen Sets neben Maßstab und Teilezahl in Detailtreue, Funktionsumfang und Originalität. „Es gibt perfekt nachgebildete Innenräume oder leere Höhlen, manche Autos muss man schieben, andere fahren mit Fernsteuerung, und je nach Lizenz oder Kooperation sind die Modelle maßstabsgerechte Kopien bis zur letzten Schraube oder leicht verfremdet und ohne Markenzeichen“, skizziert Engelhardt die Bandbreite.
Zwar laufen die Klemmbausteine unter der Rubrik „Spielzeuge“. Doch gespielt wird damit eigentlich kaum mehr, so Engelhardt: Klar, Kinder nähmen die Sets wieder auseinander und kreierten gerne etwas Neues. Doch je älter die Kunden werden, desto mehr überwiegt der Aspekt des Sammelns.
Und angesichts von Preisen von mehrere hundert Euro, vielen tausend Teilen, Bauzeiten von mehreren Tagen und jeder Menge Elektronik sind es längst die Erwachsenen, die das Gros der Kunden stellten. „Kidults“ nennt die Branche diese spielfreudigen Erwachsenen.
Bluebrixx-Gründer und Branchenguru Klaus Kiunke etwa begrüßt die vielleicht wichtigste Zielgruppe in seinen Blogbeiträgen gerne mit „Hallo Afobs!“ für „Adult Fan of Bricks“ - übersetzt: erwachsene Fans von Noppensteinen. Seit Jahren werden diese von Lego und längst auch von der Konkurrenz mit entsprechenden Profi- oder Adult-Modellen umgarnt. „Die werden meist nur einmal aufgebaut und stehen dann in der Vitrine. Zum Spielen sind die viel zu schade“, sagt Engelhardt.
Zwar treibt der Konkurrenzdruck unter den Herstellern immer wildere Blüten, die Modelle werden großer, komplexer und damit natürlich auch teurer. Aber niemand treibt es so toll wie sie Autohersteller selbst. In steter Regelmäßigkeit bauen sie - dann gerne aus vielem hunderttausend Steinen - zur Premiere neuer Bausätze auch ein Exemplar in 1:1 und beweisen dann bisweilen sogar die Fahrtauglichkeit. Beim Grand Prix in Miami zum Beispiel war deshalb nach wochenlanger Bauarbeit in einem Werk in Tschechien das gesamte Formel-1-Feld zur Fahrerparade in zehn lebensgroßen Lego-Rennern auf der Strecke.
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