Beim Großen Wiesenknopf und der Weißen Teufelskralle nicken die Jurymitglieder begeistert mit dem Kopf. Vorsichtig schreiten sie durch die üppige Wiese. Die Juroren widmen sich an diesem Tag einem Casting der besonderen Art: Dem 1. Deutsch-Tschechischen Streuobstwiesenwettbewerb.
„Die gefährdeten Wiesen sind wichtig für Flora und Fauna. Wir wollen die Leute wieder stolz machen, wenn sie eine solche erhalten“, erklärt Initiator und Jurymitglied Christoph Mann vom Landschaftspflegeverband „Oberes Vogtland“. An diesem Tag ist er mit seinen Kollegen unter anderem im vogtländischen Elsterberg unterwegs, um eine solche Wiese zu inspizieren.
Sechs Streuobstwiesen aus Deutschland und fünf aus Tschechien stellen sich dem Urteil der Experten. Wichtig sei die Qualität des Obstes und ob es weiterverarbeitet werde, etwa zu Saft, erläutert Mann einige Kriterien. „Pluspunkte gibt es auch für Wiesen, die in Ruhe wachsen und blühen dürfen und für alte Bäume mit Nisthöhlen für Vögel.“ Ein Jurymitglied zückt dann den Kescher, macht genau 50 Schläge - und wiegt, wie viele Insekten sich im Netz verfangen haben. Auch für sie sind solche Wiesen wichtige Lebensräume.
Nach Beobachtungen des Naturschutzbundes Sachsen (Nabu) verschwinden immer mehr Streuobstwiesen im Freistaat. „Genaue Daten fehlen, jeder Landkreis registriert die Biotope selbst. Aber niemand führt die Informationen zu einem Überblick zusammen“, sagt Philipp Steuer, der sich als Nabu-Naturschutzreferent mit Streuobstwiesen-Projekten befasst. Überprüfungen im Raum Leipzig hätten gezeigt, dass rund die Hälfte der Anfang der 1990er-Jahre registrierten Streuobstwiesen nicht mehr auffindbar sei.
Ein großes Problem für die Streuobstwiesenbäume sei die anhaltende Dürre. Auch Pflege und Erhalt seien schwierig. „Und wir stellen fest, dass sogenannte Ausgleichspflanzungen bei größeren Bauprojekten oftmals nicht funktionieren“, sagt Steuer. Eigentlich seien Streuobstwiesen gesetzlich geschützte Biotope.
Müssen sie wegen Straßen- oder Wohnungsbau weichen, werden Neupflanzungen an anderer Stelle fällig. Die erfolgten meist nicht in demselben Umfang, seien wirtschaftlich nicht zumutbar oder Flächen dafür nicht verfügbar, erläutert Steuer. „Sie werden oft nicht zeit- oder ortsnah angelegt, so dass die Insekten nicht dorthin übersiedeln können und einfach verschwinden.“
Die Streuobstwiesen seien aber wichtige Hotspots des Artenschutzes und ein Instrument gegen die Klimakrise, konstatiert Steuer. Bis zu 5000 Arten könnten dort nachgewiesen werden, darunter Insekten und viele Wiesenkräuter. „Es bräuchte eine stetige, höhere Förderung. Die bisherigen Zuschüsse decken nicht die Kosten, um sie zu erhalten.“ Bäume müssten geschnitten werden, dazu komme die Mahd, um die Wiesen zu pflegen.
Mit Neuanpflanzungen in der Region Burgstädt (Mittelsachsen) oder in Chemnitz-Hilbersdorf versuchen Nabu-Ortsgruppen die Biotope zu bewahren. „Auf den Wiesen wachsen regionale, ökologisch wertvolle Produkte. Der Verkauf von Säften und Obst könnte bei der Finanzierung helfen. Bislang gibt es in Sachsen kaum einen Markt. In anderen Bundesländern wird das mehr genutzt“, sagt Steuer vom Nabu.
Ungefähr 12.800 Streuobstwiesen mit einer Fläche von 5900 Hektar gibt es in Sachsen, wie das Umweltministerium mit Verweis auf eine aktuelle Auswertung mitteilt. „Sie werden sachsenweit als gefährdeter bis stark gefährdeter Biotoptyp mit negativer Bestandsentwicklung eingestuft“, heißt es.
Die in Sachsen bestehende Förderung „Natürliches Erbe“ soll den Streuobstwiesen helfen, sie wurde Anfang des Jahres überarbeitet und auch auf die Jungbaumpflege ausgeweitet. Über die Zuwendung sei die Pflanzung von 17.250 Obstbäumen und der Sanierungsschnitt an über 23.000 Obstbäumen auf Streuobstwiesen unterstützt worden oder es lägen entsprechende Anträge vor, so das Ministerium.
Welche Streuobstwiese beim grenzüberschreitenden Wettbewerb in Westsachsen und Tschechien das Rennen macht, ist noch geheim. Die Sieger-Wiese wird am kommenden Samstag (18. Juni) auf dem Streuobstwiesentag in der Naturschutzstation „Riedelhof“ in Eubabrunn im Vogtland prämiert.
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